1,5-Grad-Ziel in Klimadebatte: Eine gefährlichere Welt

Der neue Chef des Weltklimarats hat nur scheinbar Entwarnung gegeben. Eine Erderwärmung um 1,5 Grad führt zu vielen Problemen und sozialen Spannungen.

Ein traditionelles Tor steht am Stadtrand von Peking in den Fluten

Ein Taifun sorgte für heftige Regenfälle und Überschwemmungen in Peking Foto: Ng Han Guan/ap

Manchmal machen Sätze Karriere, entwickeln ein Eigenleben, sind nicht mehr einzufangen. Der Klimaforscher Jim Skea hat vor Kurzem so einen Satz gesagt: „Die Welt wird nicht untergehen, wenn es um mehr als 1,5 Grad wärmer wird“, verkündete er in einem Interview mit dem Spiegel. Anlass war seine Wahl zum Chef des Weltklimarats IPCC, der sozusagen als Goldstandard der Klimaforschung gilt. Wie eine Welle der Erleichterung schwappten die Worte durch die Schlagzeilen: „Wer ist der Anti-Panik-Professor?“, fragte die Bild. „Weltklima-Chef fordert Ende der Panikmache“, hieß es in der Berliner Zeitung.

Die Marke 1,5 Grad hat Symbolwert: Kleine Inselstaaten, die den eigenen Untergang im wortwörtlichen Sinne zu Recht befürchten, haben sie ins Pariser Weltklimaabkommen hineinverhandelt. Damit haben so gut wie alle Staaten versprochen, „Anstrengungen zu unternehmen“, damit die Erde im Schnitt nicht mehr als 1,5 Grad heißer wird als vor der CO2-intensiven Industrialisierung.

Klappt das nicht, ist vielleicht nicht unmittelbar der Weltuntergang zu befürchten – ansonsten allerdings so einiges. „Die klimabedingten Risiken für natürliche und menschliche Systeme sind bei einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad höher als heute“, heißt es in einem Sonderbericht des Weltklimarats von 2018, der sich mit dem 1,5-Grad-Ziel befasst hat. Konkreter: „Klimabedingte Risiken für Gesundheit, Lebensgrundlagen, Ernährungssicherheit und Wasserversorgung, menschliche Sicherheit und Wirtschaftswachstum werden laut Projektionen bei einer Erwärmung um 1,5 Grad zunehmen und bei 2 Grad noch weiter ansteigen.“

Wärmere Luft kann zu stärkeren Regenfällen führen

Was das bedeuten könnte, darauf hat auch das Jahr 2023 schon einen Vorgeschmack gegeben. In Peking hat ein Tropensturm gerade zu sintflutartigen Fluten geführt, mehrere Menschen sind bereits gestorben, etliche werden vermisst. Zehntausende mussten die Stadt verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Eine Studie, die den genauen Anteil des Klimawandels an dem Sturm bemisst, existiert noch nicht. Klar ist aber: Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen, was Stürme und Regenfälle mächtiger macht. Und wärmer wird die Luft im Schnitt eben durch die Klimakrise.

Das war zuletzt konkret auch in China der Fall. Anfang Juli hatte Peking noch neue Temperaturrekorde weit über 40 Grad gemeldet. Eine Studie der Forschungsinitiative World Weather Attribution war zu dem Schluss gekommen, dass der Klimawandel diese Extremhitze 50-mal wahrscheinlicher gemacht hatte. Und die Juli-Hitze, die derweil in Nordamerika und im Mittelmeerraum auftrat, wäre demnach sogar praktisch unmöglich gewesen, hätte der Mensch die Atmosphäre nicht mit Treibhausgas über­lastet. Der Juli 2023 war im weltweiten Schnitt der heißeste Monat seit Beginn der Tem­peraturaufzeichnungen.

Je nach Region führt das nicht unbedingt zu Tropenstürmen. Es treibt aber die Zahl der Hitzetoten in die Höhe. Da der Sommer noch nicht vorbei ist, gibt es keine abschließenden Zahlen, für das Jahr 2022 sind spanische Wis­sen­schaft­le­r:in­nen aber auf mehr als 60.000 Fälle für Europa gekommen.

Außerdem begünstigt Hitze das Austrocknen des Bodens und damit auch das Ausbreiten von Waldbränden wie zuletzt in Griechenland. Die Brände haben Tote gefordert, hunderte in die Evakuierung getrieben und nebenbei die für viele Urlaubsinseln so wichtigen Tourismus­einnahmen einbrechen lassen. In Spanien haben Land­wir­t:in­nen vor enormen Ernteeinbrüchen durch den Wassermangel gewarnt. Knappere Lebensmittel und steigende Preise sind die Folge, was vor allem für arme Menschen und Länder zum Problem wird.

Hitzewellen verändern Ökosysteme

Zeitgleich in den USA: Der Ozean um die Florida Keys ist mehr als 38 Grad warm. Pflanzen und Tiere leben also in Badewannen-Temperatur, normal wären zu dieser Jahreszeit 23 bis 31 Grad. Die Hitzewelle ist ein besonderes Problem für sensible Ökosysteme wie Korallenriffe – aber potenziell auch für Menschen. Da schließt sich der Kreis: Die US-Wetterbehörde Noaa warnt, die extremen Temperaturen im Wasser könnten Tropenstürmen und Hurrikanen ein Übermaß an Energie verleihen.

Derzeit liegt die Welt bei etwa 1,2 Grad Erderhitzung. Das heißt: Die Krisen, die der Klimawandel aktuell auslöst oder verschärft, sind mindestens das neue Normal – oder sogar eher eine milde Variante dessen, was noch zu erwarten ist.

Auch der neue Weltklimaratschef Jim Skea will mit seiner Aussage, bei 1,5 Grad Erderwärmung gehe die Welt nicht unter, offenbar keine Entwarnung geben. „Es wird jedoch eine gefährlichere Welt sein“, ergänzte er den viel zitierten Satz. „Die Länder werden mit vielen Problemen kämpfen, es wird soziale Spannungen geben.“

Aus technischer Sicht wäre es wohl möglich, das Ruder herumzureißen – aber Politik und Gesellschaft nutzen die Möglichkeiten nicht entsprechend

Abgesehen davon sieht es derzeit absolut nicht so aus, als werde bei 1,5 Grad Erderhitzung Stopp sein. Dafür müssten sich die CO2-Emissionen bis 2030 weltweit halbieren und 2050 netto bei null liegen. Bislang steigen sie aber weiter. Aus technischer Sicht wäre es wohl möglich, das Ruder herumzureißen – aber Politik und Gesellschaft nutzen die Möglichkeiten nicht entsprechend. Zu dem Schluss kam Anfang des Jahres eine Studie interdisziplinärer Kli­ma­wis­sen­schaft­le­r:in­nen an der Uni Hamburg. Das Fazit: Das 1,5-Grad-Ziel sei „nicht plausibel“.

Schon für die frühen dreißiger Jahre prognostiziert der Weltklimarat den Eintritt in die 1,5-Grad-Welt. Ein Hoffnungsschimmer: Theoretisch ist es möglich, sich von einer höheren Temperatur wieder zurückzuarbeiten. Dafür muss die Welt klimaneutral werden – und der Atmosphäre wieder Treibhausgas entziehen.

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