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10 Jahre Haft für malischen IslamistenDer Terrorfürst von Timbuktu

Folter, Verstümmelung und Verfolgung: Der Internationale Strafgerichtshof hat das Strafmaß für den Islamisten Al-Hassan verkündet.

Unbewegt und zurückgelehnt: Al-Hassan vor Gericht in Den Haag Foto: Peter Dejong/ap/picture alliance

Berlin taz | Zu zehn Jahren Haft hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag am Mittwoch den Islamisten Al-Hassan aus Mali verurteilt. Bereits im Juni war der 47-Jährige unter anderem für Folter, Verstümmelung und Verfolgung in Timbuktu schuldig gesprochen worden. Nun verkündeten die Richter in Den Haag das Strafmaß. Der in ein traditionelles Gewand und weißen Turban gekleidete Mann verfolgte die Urteilsverkündung äußerlich unbewegt, zurückgelehnt in seinem Stuhl.

Al-Hassan Ag Abdoul Aziz Ag Mohamed Ag Mahmoud, so sein voller Name, war ein Teil des Terrorregimes, das die Rebellenmiliz Ansar Dine („Unterstützer des Glaubens“) errichtete, nachdem Rebellen die Wüstenstadt im Norden Malis im April 2012 überrannt hatten. Als Chef der „Religionspolizei“ terrorisierte er bis Januar 2013 die Bewohner der Stadt. Er habe Urteile des islamischen Gerichts ausgeführt, die ohne ordentlichen Prozess gefällt worden waren, so die Richter in Den Haag.

Verbote von Musik, Tanz, Kunst und Sport, die von den Islamisten verhängten wurden, habe er mit Gewalt durchgesetzt: Menschen seien öffentlich ausgepeitscht oder mit Stöcken geschlagen worden, weil sie geraucht oder Alkohol getrunken hatten. Anderen wurden wegen des Verdachts auf Diebstahl öffentlich eine Hand abgehackt. Seine Verteidiger hatten beteuert, dass er Befehle ausführen musste.

2018 wurde Al-Hassan in Mali festgenommen und nach Den Haag überstellt, er hatte sich selbst den Behörden gestellt. Im Juli 2020 wurde der Prozess gegen ihn eröffnet, im Juni 2024 erging das Urteil. Vom Vorwurf der sexuellen Versklavung und Vergewaltigung sprachen die Richter ihn frei. Ebenso sahen sie den Vorwurf, er sei an der Zerstörung historischer Bauwerke beteiligt gewesen, als nicht erwiesen an. Die Zeit in der Untersuchungshaft wird von seiner Strafe abgezogen. Sowohl Ankläger als auch Verteidigung können Berufung einlegen.

Al-Qaida in der Sahara

Timbuktu liegt am Rande der Sahara, rund tausend Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bamako, und zählt seit 1988 zum Weltkulturerbe. 2012 brachte eine Koalition islamistischer Milizen, darunter Al-Qaida des Islamischen Maghreb (AQIM) und Ansar Dine, große Gebiete im Norden Malis unter ihre Kontrolle, erst im Bündnis mit Tuareg-Rebellen, dann gegen sie. Als sie Timbuktu eroberten, versuchten sie, die Kultur des geschichtsträchtigen Ortes zu zerstören.

Im Januar 2013 eroberten französische Soldaten die Stadt zurück und beendeten die neun Monate währende Schreckensherrschaft im Norden Malis. Frankreichs Truppen und auch eine nachfolgende UN-Friedensmission, an der auch die Bundeswehr beteiligt war, sind mittlerweile wieder abgezogen, in Mali herrscht jetzt das Militär und islamistische Milizen treiben noch immer ihr Unwesen.

Al-Hassan ist der zweite Islamist aus Mali, der in Den Haag vor Gericht stand. 2016 hatte das Weltgericht bereits Ahmad al-Faqi al-Mahdi zu neun Jahren Haft verurteilt. Ihm war die Zerstörung von Stätten des Weltkulturerbes angelastet worden – eine Tat, die der Gerichtshof damals erstmals als Kriegsverbrechen wertete. Al-Mahdi, einer der Anführer der islamistischen Miliz Ansar Dine, hatte seine Vergehen gestanden und um Verzeihung dafür gebeten.

Der Internationale Strafgerichtshof hat im Juni einen Haftbefehl gegen einen dritten Rebellenführer aus Mali entsiegelt, Iyad Ag Ghaly. Der Haftbefehl gegen den historischen Tuareg-Führer, der 2013 nach einem Führungsstreit zu den Islamisten wechselte und Ansar Dine mitgründete, wurde im Jahr 2017 erlassen, war aber unter Verschluss. Iyad Ag Ghaly wird vorgeworfen, ebenfalls für Verbrechen, unter anderem in Timbuktu, verantwortlich gewesen zu sein.

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7 Kommentare

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  • Die Strafen sind anfällig für Willkür und Mißbrauch. Zustände in einer Gesellschaft verbessern sie nicht.



    Mit dem Willen irgendeines Gottes haben sie auch eher wenig zu tun.

  • Schwierig, sich in islamische Rechtssprechung einzumischen, wenn man selbst kein/e Anhänger/in des Islam oder Scharia-Rechtsgelehrter ist. Ich kann überhaupt nicht einschätzen, was im Scharia-System rechtens ist und was nicht und weiß nur, was ich als Atheistin falsch oder richtig finde.

    In Bezug auf Afghanistan meine ich zu wissen, dass die fast absolute Mehrheit der Bevölkerung nach der Scharia-Rechtssprechung leben möchte. Und da diese einen enormen Interpretations- und Ermessenspielraum eröffnet, ist sie für Mißbrauch vielleicht auch anfälliger als andere Rechtssysteme. Ich kann nicht einschätzen, ob die Taliban nach der Scharia korrekt Recht sprechen oder nicht. Deshalb wundert es mich auch, dass hier in Deutschland/Europa Umfragen zufolge Bürger:innen lieber nach der Scharia leben wollen, denn diese Rechtssprechung kann sich ja auch in brutaler Weise gegen sie selbst wenden.

    • @*Sabine*:

      Es wird in Mali und auch nicht beim Internationalen Strafgerichtshof nicht nach der Scharia gerichtet. Das ist ein Aspekt um die Tat zu rekonstruieren, das Urteil selbst wird nicht im Sinne der Scharia gefällt. In Mali war die Scharia ein Zwangssystem das den Leuten die sich im Geltungsbereich der Islamisten aufhielten überstülpt wurde und die von dem Menschen größtenteils abgelehnt wird. Dinge wie Musik, Tanz, Literatur oder auch bei den Beduinen die hohe Gleichberechtigung von Mann und Frau gehören zu ihrer Kultur. Der afrikanische Islam ist komplett anders als der Salafismus der Islamisten. Afrikaner sind sehr von Sufismus und seiner Toleranz geprägt. Lebensfreude ist ein wichtiger Aspekt. Unser strategischer Partner Saudi Arabien hat mit seinem vielen Geld bei den Armen in Afrika einen zunehmenden Einfluss. Sie bauen Moscheen, schicken ihre Imame und bauen sowas wie ein islamisches Sozialsystem auf. Der Islam ist auch eine Soziallehre. So bekommen die strenggläubigen Salafisten mehr Einfluss. Ich bin oft im Nachbarland Cote d´Ivoire und hatte dort noch nie Probleme mit Muslimen. Islamisten werden beim Gerichthof nach internationalem Recht gerichtet und fertig.

    • @*Sabine*:

      "Schwierig, sich in islamische Rechtssprechung einzumischen..."

      Mali ist ein islamischer Staat und ist Mitgliedstaat am Internationalen Strafgerichtshof. Da gibt es also keinen Dissens zwischen malischer Rechtssprechung und der Rechtssprechung des IStgH. Was wollen Sie mit ihren Äußerungen zur Scharia also andeuten?

    • @*Sabine*:

      Gar nicht schwierig, wenn mensch von der Unteilbarkeit und Universalität von Menschenrechten ausgeht, die einer Letztbegründung in Religion nicht bedürfen.



      Und es geht ja auch nicht um die Scharia, sondern darum, dass Terroristen aka Rebellenmilizen Macht an sich reißen und willkürlich ausüben - eine freie Entscheidungsmöglichkeit für die betroffenen Menschen bestand nicht, nicht vorher um zuzustimmen und nicht währenddessen, um zu sagen: "Danke, bitte doch keine Rebellenmilizenmacht."

      So ne demokratische, säkulare Gewaltenteilung samt Rechtsstaat ist, bei aller Nichtperfektion, was Feines, v.a. weil sie das Recht zur Kritik an ihr selbst beinhaltet.

    • @*Sabine*:

      Die Antwort ist recht bitter. Wenn man Menschen Macht gibt erkennt man den Charakter.