1.-Mai-Protest im Berliner Grunewald: Satirisch verpackte Ansagen
Bei der Demo durchs Villenviertel bindet das Bündnis erstmals Klimagerechtigkeitsbewegungen ein. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort.
Die zum fünften Mal stattfindende Grunewald-Demo hat sich für dieses Jahr neu aufgestellt: Aus dem Quartiersmanagement MyGruni ist dieses Jahr RWE geworden – Reichtum Wird Enteignet. Und aus einem satirisch verpackten Hilfsangebot an die gesellschaftlich isolierten Reichen ist eine satirisch verpackte Ansage geworden, die zugleich auf die Verantwortung der Wohlhabenden für die Klimakrise hinweist.
Die rhetorische Volte zieht: Die Beteiligung ist deutlich höher als in den Vorjahren. Schon vor Beginn der Demo ist der Platz fast komplett gefüllt, die Veranstalter:innen sprechen wenig später von 7.000 Teilnehmer:innen, die mit Techno-Bässen, Sekt und glitzernden Outfits durch das Villenviertel ziehen. An der Zubringer-Fahrraddemo, die um 11 Uhr vom Brandenburger Tor startete und über den Kurfürstendamm in den Grunewald führte, nahmen mehr als 1.000 Menschen teil.
Privatjets und Yachten im Visier
Die riesigen Villen und Pools müssten auch beheizt werden, sagt ein Redner während der Auftaktkundgebung, der sich als „Andi Schippe“ vorstellt. Mit ihren Privatjets, Luxusyachten und Sportwägen würde das reichste 1 Prozent der Weltbevölkerung so viel CO2 ausstoßen wie die ärmste Hälfte. „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“, ruft Schippe.
Mit ihrer Forderung „Reichtum abbaggern“ bewerben die Organisator:innen aus dem Umfeld der „Hedonistischen Internationale“ Umverteilung als Lösung für die Klimakrise. „Wärmepumpen zu finanzieren ist kein Problem, wenn man die Kohle der Reichen abbaggert“, sagt Schippe, der wie viele andere in einem Blaumann und Bergarbeiterhelm gekleidet ist.
Das Motto ist dabei nicht nur ein Titel auf Papier, sondern zieht sich ganz praktisch durch die Demo. Die Organisator:innen der Hedonistischen Internationale haben neben einem Bagger, den sie nach dem Vergesellschaftungsparagrafen „Umverteiler 129a“ nennen, weiteres Bergbaugerät und in Blaumänner gekleidete Arbeiter:innen mit Spaten und Spitzhacken mitgebracht. Auch das Umverteilungsbündnis „Wer hat, der gibt“ ist mit einem selbst gebauten goldenen, auf ein Lastenrad montierten Bagger unterwegs.
Pastor Leumund erzählt zur Weihung des Baggers, wie ihn Polizist:innen bei der Vorkontrolle fragten: „Wollen Sie zur Spaßdemo?“ Er fragt das Publikum: „Sind wir zum Spaß hier?“ Die Reaktionen sind uneinheitlich: „Ja“ und „Nein“ schallt es ihm entgegen, womit der Charakter der Demo umfassend geklärt ist.
Nachdem Pyrorauch den Johannaplatz einnebelt, singen die Demonstrant:innen das Lied der Autonomen Bergarbeiter:innen: „Glück auf! Kohle raus!“ im Anschluss setzt sich der Zug in Bewegung.
Während die meisten Anwohner:innen die Demo aus ihren Villen skeptisch beäugen, sorgt eine Gruppe chic gekleideter vermeintlicher Gegendemonstrant:innen für Stimmung. Immer wieder unterbrechen sie die Veranstaltung und rufen: „Gruni bleibt“ oder „Wir trinken Schampus, ihr trinkt Bier. Unsere Kohle, die bleibt hier.“
Polizei macht Jagd auf Sticker
Die Polizei begleitet die Demo mit einem Großaufgebot und positioniert sich schützend vor den Hauseingängen, obwohl der Demo-Charakter eher spaßbetont als aggressiv ist und es in den vergangen Jahren kaum zu Zwischenfällen gekommen ist. Im Vorfeld der Demo sorgte die Ankündigung der Polizei, Vorkontrollen durchführen zu wollen, um dabei Sticker zu beschlagnahmen, bei den Veranstalter:innen für Unmut.
Mehr als in den Vorjahren sind Klimagerechtigkeitsgruppen eingebunden, von Debt for Climate über Extinction Rebellion und der Letzten Generation bis zu Initiativen gegen die A100 oder für das Tempelhofer Feld.
„Die Bewegungen müssen sich zusammenschließen“, fordert der Klimaaktivist Tadzio Müller in einem Redebeitrag. Angesichts der Schwarz-Rot-Koalition sei gesellschaftlicher Fortschritt in Berlin von der Politik nicht mehr erwartbar. Mieten-, Umverteilungs, Verkehrswende- und Migrationsbewegung müssten nun zusammenstehen, um Projekte wie den Weiterbau der A100 oder die Randbebauung des Tempelhofer Felds zu verhindern. Traditionstermine wie der 1. Mai seien als Auftakt zu verstehen, für das, was die Bewegungen im Rest des Jahres leisten müssen.
Mit einem Verkehrswendeblock ist auch der 9-Euro-Fonds auf der Demo vertreten – das Motto: „Grunewalder Porsches zu Straßenbahnen einschmelzen“. Die Initiative, die eine Versicherung für Menschen ohne Ticket ist, will am Tag, an dem auch das bundesweite Deutschland-Ticket startet, darauf hinweisen, dass „das Geld für den sozialökologischen Umbau der Mobilität schon längst da ist“, wie Sprecher Leo Maurer der taz sagt.
„Volker Wissing möchte sein schlechtes Image aufpolieren und sich als Verkehrswendeminister darstellen“, so Maurer. Er kritisiert, dass „das Ticket durch das Fehlen eines bundesweiten Sozialtarifs arme Menschen ausschließt“, und bezweifelt zudem dessen Klimawirkung“, weil bei dem Preis kaum jemand vom Auto auf den ÖPNV umsteigt“.
Aktionstag des 9-Euro-Fonds
Der im September vergangenen Jahres nach Auslaufen des 9-Euro-Tickets gestartete 9-Euro-Fonds, der inzwischen unter Obhut der Satire-Partei Die Partei läuft, begeht den 1. Mai daher als Aktionstag. In ganz Berlin habe man Plakate mit der Kritik am Deutschland-Ticket geklebt, dazu einen Spot im U-Bahn-Fernsehen geschaltet, so Maurer. Mehr als 9.000 Menschen hätten sich bislang über die Initiative gegen das Schwarzfahren versichert; 1.600 erhöhte Beförderungsentgelte seien übernommen worden.
Knapp zwei Stunden nach ihrem Start trifft die Demospitze nach einer Rundtour durch das Villenviertel ohne weitere Zwischenfälle wieder auf dem Johannaplatz ein. Kohle zum Abbaggern wird es auch noch nach diesem Tag im Villenviertel geben. Für viele Demoteilnehmer:innen geht es an diesem Tag erst mal weiter nach Neukölln – zur revolutionären Abenddemo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag