+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Sachar Prilepin durch Bombe verletzt

Auf den nationalistischen Autor wurde in Russland ein Attentat verübt. In Bachmut sollen die Wagner-Söldner von tschetschenischen Kämpfern abgelöst werden.

Sachar Prilepin sitzt in einem Zimmer auf einem Sofa und blickt über seine Schulter in die Kamera

Hat auf Telegram und seinem YouTube-Kanal mehr als 300.000 Follower: Sachar Prilepin

Wagner-Chef will Kadyrows Angebot annehmen

Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, trifft eigenen Angaben zufolge konkrete Vorbereitungen für den baldigen Abzug seiner Kämpfer von der Front in der Ostukraine. Er wolle ein Ablöseangebot des Chefs der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, annehmen, teilte Prigoschins Pressedienst am Samstag auf Telegram mit. Kadyrow hatte zuvor erklärt, Männer seiner Truppe „Achmat“ könnten in der schwer umkämpften ukrainischen Stadt Bachmut die Stellungen der Wagner-Söldner übernehmen.

Innerhalb der russischen Militärführung tobt mehr als ein Jahr nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine ein offen zutage tretender Machtkampf. Prigoschin beschwerte sich zuletzt immer wieder öffentlich über angeblich fehlende Munition. Am Freitag dann kündigte der 61-Jährige an, seine Kämpfer aus diesem Grund aus Bachmut abzuziehen.

Nun veröffentlichte Prigoschin auch ein Schreiben an Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu, in dem er diesen auffordert, einen Befehl zur Übergabe der Stellungen an Kadyrows Männer zu erteilen. Bis zum kommenden Mittwoch um 0.00 Uhr solle diese Operation abgeschlossen sein, hieß es weiter.

Russlands Armee, die in der Region Bachmut bislang gemeinsam mit den Wagner-Truppen in äußerst verlustreichen Gefechten kämpft, äußerte sich weiter nicht zu Prigoschins Drohungen und Anschuldigungen. Schon am Freitag hatte das Verteidigungsministerium zu dem Thema geschwiegen. Stattdessen teilte die Behörde – ohne expliziten Bezug auf Prigoschin – mit, Schoigu habe angeordnet, Waffenlieferungen ins Kampfgebiet unter „besonderer Kontrolle“ zu halten. (dpa)

Ukraine für Autobombe verantwortlich gemacht

In Russland ist der bekannte nationalistische Schriftsteller Sachar Prilepin bei einem Autobombenanschlag verletzt worden. Bei dem Attentat am Samstag in der Region Nischni Nowgorod sei Prilepins Fahrer getötet worden, teilte der staatliche Ermittlungsausschuss mit. Der Vorfall werde als Terrorakt gewertet. Eine Sprecherin des Innenministeriums sagte, eine verdächtige Person sei festgenommen worden.

Die russische Regierung machte umgehend die Ukraine und den Westen für das Attentat verantwortlich. Die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, warf den USA und der Nato vor, sie hätten „ukrainischen Terrorismus“ unterstützt. Prilepin ist ein Verfechter des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Es ist bereits der dritte Bombenanschlag auf eine prominente Person, die für die im Februar 2022 begonnene Invasion eintritt.

Der Ermittlungsausschuss teilte mit, der Audi Q7 des Schriftstellers sei in einem Dorf in der Region Nischni Nowgorod etwa 400 km östlich von Moskau in die Luft gesprengt worden. Prilepin sei ins Krankenhaus gebracht worden.

Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow lehnte der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge mangels Informationen der Ermittler eine Stellungnahme ab. Der Spitzenpolitiker und frühere Präsident Dmitri Medwedew schickte Tass zufolge ein Telegramm an Prilepin, in dem er den Vorfall als „einen abscheulichen Angriff von Nazi-Extremisten“ bezeichnete.

Prilepin ist ein Roman-Autor, der als ausgesprochener Unterstützer des russischen Vorgehens in der Ukraine bekannt ist. Er vertritt nationalistische Ansichten und hat auf Telegram und seinem YouTube-Kanal mehr als 300.000 Follower.

Bereits vor Beginn der Invasion kämpfte Prilepin an der Seite pro-russischer Separatisten im ostukrainischen Donbass und führte dort eine Einheit. Diese habe „Menschen in großer Zahl getötet“, erklärte er in einem YouTube-Interview 2019. „Diese Menschen sind tot, sie sind begraben und … es gibt viele von ihnen“, sagte er. „Keine einzige Einheit unter den Bataillonen von Donezk hatte solche Ergebnisse. Es war ein unerhörtes Chaos, was wir dort gemacht haben … Kein einziger Feldkommandant hatte solche Ergebnisse wie ich.“ (rtr)

Ukraine will Hyperschallrakete abgeschossen haben

Die Ukraine hat eigenen Angaben zufolge erstmals eine russische Hyperschallrakete abgeschossen. „Ich gratuliere dem ukrainischen Volk zu diesem historischen Ereignis“, erklärte Luftwaffen-General Mykola Oleschtschuk am Samstag im Onlinedienst Telegram. „Ja, wir haben die ‚unvergleichliche‘ Kinschal abgeschossen“, fügte er unter Verwendung des Typennamens der Raketen hinzu.

Der ukrainischen Luftwaffe zufolge wurde die Hyperschallrakete in der Nacht zu Donnerstag mit einem Patriot-Abwehrsystem vom Himmel über Kiew geholt.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte die Kinschal 2018 vorgestellt. Er bezeichnete sie als „eine ideale Waffe“, die sehr schwer von einer Raketenabwehr abzufangen sei.

Die Ukraine hat ihre westlichen Verbündeten darum gebeten, die Luftabwehr zu verstärken. Russland hatte die ukrainische Energieinfrastruktur im Winter massiv aus der Luft beschossen.

Mitte April wurden die ersten Patriot-System an die Ukraine geliefert. Patriot gilt als das fortschrittlichste Luftabwehrsystem der USA. Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte hervorgehoben, das System werde die Abwehr gegen russische Angriffe „erheblich“ stärken. (afp)

Keine Evakuierung von AKW

Das von Russland kontrollierte Atomkraftwerk Saporischschja ist laut der russischen Besatzungsverwaltung nicht von der Teil-Evakuierung der ukrainischen Region Saporischschja betroffen. „Derzeit besteht keine Notwendigkeit, die Beschäftigten des Kraftwerks und die Einwohner der Stadt (Energodar) zu evakuieren“, erklärte der von den russischen Behörden ernannte Leiter der Anlage, Juri Tschernitschuk, am Samstag. „Es gibt keinen Grund zur Sorge. Alle Reaktoren (des Kraftwerks) sind abgeschaltet“, erklärte er weiter.

Am Vortag hatte der von Moskau eingesetzte Verwaltungschef der Region Saporischschja, Jewgeni Balizki, die Teil-Evakuierung von 18 von Russland besetzten Orten in der Region Saporischschja angeordnet, darunter auch Energodar, wo sich das Atomkraftwerk Saporischschja befindet. Betroffen seien Familien mit Kindern, ältere Menschen, Behinderte und Patienten von Krankenhäusern. Balizki begründete dies damit, dass es in den vergangenen Tagen vermehrt ukrainische Bombenangriffe gegeben habe.

Die russische Nachrichtenagentur Tass meldete unter Berufung auf einen anderen Beamten der Besatzungsverwaltung, die russischen Behörden planten die Evakuierung von rund 70.000 Menschen aus Orten in der Region.

Das Atomkraftwerk Saporischschja wird seit März 2022 von der russischen Armee kontrolliert. Es wurde wiederholt beschossen, was Angst vor einer atomaren Katastrophe schürte.

Im vergangenen Herbst hatten die russischen Besatzungsbehörden ähnliche Evakuierungen in der Region Cherson bekanntgegeben. Sie erfolgten kurz vor einer Offensive, bei der die ukrainische Armee die von russischen Kräften besetzte gleichnamige Regionalhauptstadt zurückerobern konnte. (afp)

Ukraine-Flaggen dürfen doch am 8. und 9. Mai gezeigt werden

Zum Weltkriegsgedenken am 8. und 9. Mai dürfen nun doch ukrainische Flaggen rund um die drei Sowjetischen Ehrenmale in Berlin gezeigt werden. Dies entschied das Verwaltungsgericht Berlin in einem Eilverfahren, wie ein Gerichtssprecher am Samstag bestätigte. Russische Flaggen und Symbole bleiben hingegen verboten. Denn dagegen wurde zunächst nicht geklagt.

Ursprünglich hatte die Polizei ein Verbot russischer und ukrainischer Flaggen und Symbole rund um die Sowjetischen Ehrenmale in Treptow, Tiergarten und Schönholzer Heide für den 8. und 9. Mai erlassen. An den beiden Tagen jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa zum 78. Mal.

Da Russland die Ukraine angegriffen hat und beide Länder derzeit Krieg führen, waren Konflikte zum Jahrestag befürchtet worden. Die Polizei begründete ihre Allgemeinverfügung damit, das „würdevolle Gedenken an die gefallenen Soldatinnen und Soldaten der damaligen Sowjetarmee“ zu gewährleisten.

Deshalb wollte die Polizei neben russischen und ukrainischen Flaggen auch Symbole und Bilder sowie das Abspielen von Marsch- und Militärliedern rund um die drei Ehrenmale verbieten. Darüber hinaus wollte sie untersagen, „Ausrufe zu tätigen, die aufgrund der aktuellen Situation geeignet sind, den Krieg in der Ukraine zu billigen, zu glorifizieren oder zu verherrlichen“.

Der ukrainische Verein Vitsche zog gegen das Verbot der ukrainischen Symbole mit einem Eilantrag vor das Verwaltungsgericht, wie er auf Twitter mitteilte. Anwalt Patrick Heinemann sagte dem Tagesspiegel: „Das Verwaltungsgericht hat unsere Rechtsauffassung bestätigt: Das Verbot ukrainischer Flaggen ist – mit den Worten des Gerichts – offensichtlich rechtswidrig.“ Wer von seinem Grundrecht Gebrauch mache, sich öffentlich zur ukrainischen Nation und ihren historischen Opfern bei der Niederringung des Nationalsozialismus zu bekennen, sei keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Das Gericht bewertete die Sache nicht abschließend, wie aus dem Gerichtsbeschluss hervorgeht. Er liegt der dpa vor. Formal wurde nur eine „aufschiebende Wirkung des Widerspruchs“ der pro-ukrainischen Kläger wiederhergestellt. Unterm Strich bedeutet das aber: Die ukrainische Symbole dürfen gezeigt werden.

Die Berliner Polizei twitterte in der Nacht zu Samstag, das Gericht habe die Gefährdungsbewertung anders beurteilt und das Zeigen ukrainischer Flaggen und Fahnen sowie ukrainische Marsch- und Militärlieder an den benannten Örtlichkeiten erlaubt. „Wir werden gegen den Beschluss kein Rechtsmittel einlegen.“

Eine Polizeisprecherin sagte, das Verbot russischer Symbole sei vor Gericht vorerst nicht angefochten worden. Der Rechtsweg bleibe offen. (dpa)

Katharina Witt: russische und belarussische Sportler zulassen

Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt steht einer Rückkehr von Sportlerinnen und Sportlern aus Russland und Belarus aufgeschlossen gegenüber. In einem Interview der Welt am Sonntag sagte die 57-Jährige, sie sei eher bei IOC-Präsident Thomas Bach. Das Internationale Olympische Komitee hat den internationalen Fachverbänden empfohlen, Athleten beider Länder trotz des andauernden Angriffskrieges in der Ukraine unter bestimmten Bedingungen die Rückkehr als neutrale Sportler zu gestatten.

Kunst, Kultur und insbesondere der Sport hätten die Menschen immer zusammengeführt, begründete Witt ihre Haltung. „Wir sprechen eine Sprache, die ohne Wörterbuch auskommt! Was können denn Russen und Weißrussen mit Behinderung dafür, dass sie in Berlin nicht dabei sein dürfen?“, fragte Witt, die Botschafterin der Mitte Juni beginnenden Special Olympics World Games ist.

Sie finde es nicht richtig, Menschen wegen politischer Auseinandersetzungen ihrer Regierungen sportlich auszugrenzen, sagte Witt und erinnerte an ihre eigene Vergangenheit im geteilten Deutschland. (dpa)

Militäranalyst: Ukraine hat geographische Vorteile bei Offensive

Bei der angekündigten ukrainischen Offensive sieht Militäranalyst Niklas Masuhr einen geografischen Vorteil für die ukrainische Armee. Wenn sie an verschiedenen Stellen der Front vorstoße, habe sie kürzere Wege, wenn sie Truppen zur Verstärkung an Brennpunkte verlegen wolle. Die russische Armee habe längere Routen, weil sie sich nur im besetzten Territorium in südlichen und östlichen Gebieten der Ukraine bewegen kann, sagte Masuhr, Forscher am Center for Security Studies der Universität ETH in Zürich.

Wie andere Analysten geht Masuhr auch davon aus, dass Elemente der Offensive bereits begonnen haben. „So etwas geht ja nicht mit einer roten Startrakete los“, sagte er. Die jüngsten ukrainischen Angriffe auf russische Logistik dürften eine vorbereitende Rolle spielen.

Analysten halten nach Angaben von Masuhr drei wesentliche offensive Richtungen für möglich: bei der Großstadt Cherson im Süden, im Norden und bei Saporischschja in der Zentralukraine. Sie gingen von wechselnden offensiven Schwerpunkten aus, ergänzt durch kleinere Offensiven, um die Russen an mehreren Punkten in Gefechte zu ziehen. „Für die Ukrainer wird es darum gehen, die Russen vor das Dilemma zu stellen, auf welche der Angriffsachsen sie sich konzentrieren sollen“, sagte Masuhr.

Frühere Erfolge der Ukrainer seien kein guter Indikator für einen möglichen Ausgang: „Die Gegenoffensiven der Ukrainer im Herbst waren eine andere Hausnummer“, sagte Masuhr. „Die russischen Truppen waren geschwächt und den Ukrainern gelang es, sie teils zu isolieren und ihre Logistik zu zerstören.“ Damals drängten die Ukrainer russische Truppen im Osten und Süden zurück und befreiten besetztes Territorium. Heute hätten die Russen Befestigungsstellungen an der Front. „Die Ukrainer haben im bisherigen Kriegsverlauf noch keine großen Vorstöße gegen eingegrabene, vorbereite russische Truppen durchgeführt“, sagte Masuhr.

Mit größeren russischen Offensivbemühungen rechnet er nicht. „Nach dem Zustand der Truppen zu urteilen sind Russland keine Offensiven auf breiter Front wie am Anfang des Krieges zuzutrauen“, sagte Masuhr. Ukrainische Nachschubprobleme könnten mittelfristig dennoch zu einem Problem werden. „Falls insbesondere der Verbrauch der Luftabwehrmunition auf ukrainischer Seite es der russischen Luftwaffe erlaubt, eine größere Rolle zu spielen, verändert sich die Gleichung möglicherweise, zumindest phasenweise.“ Für das Durchbrechen der russischen Verteidigungsstellen brauche die Ukraine unter anderem Minenräumfahrzeuge, ebenso nach wie vor jede Menge Artilleriemunition. (dpa)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.