Bezahlkarte für Geflüchtete: Diskriminierung im Supermarkt
Ein Hamburger Supermarkt verbot Menschen mit Bezahlkarte, Gutscheine zu kaufen. Bis die taz nachfragt – und eine falsche Webseite der Stadt entdeckt.
Die Schilder sind unscheinbar, einfache Ausdrucke auf gelbem Papier mit blauem Plastikrand. Am Montag hängen sie noch über den Süßigkeitenregalen an der Supermarktkasse in einem großen Edeka-Markt in Hamburg-Wandsbek. „Folgende Regeln gelten für den Gutscheinverkauf“ steht darauf, „maximal 2 Gutscheine pro Kunde in einem Gesamtwert von bis zu 200 € täglich“ und: „Gutscheinkäufe mit Sozialkarten sind verboten“.
Sie sind einer Kundin aufgefallen, die sich gewundert hat. Sozialkarten? In Hamburg ist damit die umstrittene Bezahlkarte für Geflüchtete gemeint, die hier „SocialCard“ heißt.
Wenige Tage nachdem die taz beim Supermarkt nachgefragt hat, was es mit den Schildern auf sich hat, sind sie weg. Nicht nur das, auch eine Webseite der Stadt Hamburg mit Infos zur Bezahlkarte ist nach einer taz-Anfrage offline.
Aber von vorn: Die Pressestelle von Edeka hat die Schilder zunächst verteidigt. Der Markt würde mit ihnen nur eine Regel der Stadt Hamburg umsetzen, schrieb eine Sprecherin der taz. Sie bezog sich auf eine Webseite des Amts für Migration, die, die mittlerweile nicht mehr online ist. Da stand bis vor Kurzem: „Sie können mit der SocialCard keine Gutscheine kaufen“.
Ganz anders klingt das schon lange auf einer anderen Info-Seite zur Hamburger Bezahlkarte. „Sie können mit der SocialCard überall dort bezahlen, wo VISA-Karten akzeptiert werden“, steht da.
Nanu, was denn nun? Die taz hat bei der zuständigen Sozialbehörde nachgefragt. Der Sprecher räumte ein, dass die Information auf der Webseite, auf die Edeka sich bezieht, falsch war. Deswegen sei die Seite mit der falschen Information nun nicht mehr online. „Natürlich können Leute mit der Socialcard auch Gutscheine kaufen.“
Zwar hat die Stadt Hamburg die Bezahlkarte eingeführt; was Menschen mit ihr im Supermarkt kaufen und was nicht, darf sie aber nicht bestimmen. Die Sozialbehörde hat deswegen den Edeka-Markt kontaktiert, um „das Missverständnis“ aufzuklären, und „bezüglich der geltenden Rechtslage per Mail informiert“. Edeka reagiert, bleibt aber bei seiner Argumentation: „Nachdem diese Vorgabe am Mittwochnachmittag durch die Stadt Hamburg geändert wurde, hat der Kaufmann (…) den Hinweis im Markt entfernt“, schreibt die Pressestelle am Freitag.
Um zu verstehen, warum ein Supermarkt überhaupt bestimmen will, ob Menschen mit Bezahlkarte Gutscheine kaufen können, muss man wissen, wie die Karte für Inhaber*innen funktioniert. Man kann mit ihr weder Überweisungen machen noch Verträge abschließen oder online bezahlen. Und: man kann nur 50 Euro im Monat bar abheben.
Hamburg hat im Februar 2024 als erstes Bundesland die Bezahlkarte eingeführt, andere Länder folgten. Nach einer Entscheidung der Innenministerkonferenz soll sie in allen Kommunen kommen. Sie ist keine normale EC-Karte und kein Konto-Ersatz, sondern eine spezielle bargeldlose Zahlungskarte. In Hamburg bekommen sie alle Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben und in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen. Ihr Geld nach Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) kommt nur noch über diese Karte, gerade sind es 185 Euro.
Die Bezahlkarte für Geflüchtete soll unter anderem Überweisungen ins Ausland verhindern und Bürokratie abbauen. Sie diskriminiert, ist reine Schikane und vielleicht sogar grundrechtswidrig, auch weil sie Asylleistungen noch weiter unter das Existenzminimum drückt, sagen ihre Kritiker*innen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Pro Asyl führen Verfahren gegen die Bezahlkarte. Vor Gericht haben sie schon Erfolge erzielt, unter anderem in Chemnitz und Hamburg. Hamburg will bald die Ausweitung auf Bürgergeld-Bezieher*innen testen.
Das alles sind keine Fragen von Bequemlichkeit, sondern welche des Überlebens: Die Sozialleistungen für Menschen, die Asyl beantragen (rund 441 Euro/Monat), liegen 20 Prozent unter dem Bürgergeldsatz (563 Euro/Monat), der sich am Existenzminimum orientiert. Mit der Bezahlkarte und ihrem Bargeldlimit fallen nun viele günstige Einkaufsmöglichkeiten weg, wie zum Beispiel kleine Läden, Flohmärkte, Ebay.
Deswegen organisieren Aktivist*innen der Initiative „Hamburg sagt Nein zur Bezahlkarte“ einen solidarischen Gutscheintausch. Er umgeht das Bargeldlimit, ist aber legal. Das geht so: Menschen mit Bezahlkarte kaufen Einkaufsgutscheine in Supermärkten oder Drogerien, zum Beispiel im Wert von 50 Euro, und bringen sie zu Tauschorten. Da tauschen sie die Gutscheine eins zu eins gegen Bargeld, von solidarischen Menschen, die dann mit den Gutscheinen einkaufen gehen. Mittlerweile gibt es ähnliche Initiativen in vielen anderen Städten auch.
Versuchte der Hamburger Edeka-Markt etwa auf eigene Faust, diesen legalen Gutscheintausch zu verhindern? Gab es in der Vergangenheit Probleme mit zu vielen Gutscheinkäufen? Macht der Supermarkt vielleicht Verluste? Die Marktleiter*innen beantworten der taz dazu keine Fragen. Nicht, wann und warum sie die Schilder aufgestellt haben, und nicht, ob und wie sie die Gutschein-Regeln umsetzten. Alle Anfragen sollen an die Pressestelle des Dachkonzerns von Edeka gehen. Die will aufgrund der „genossenschaftlichen Struktur mit überwiegend selbstständig geführten Märkten keine allgemeingültige Aussage zur Reglementierung bei Gutscheinverkaufen“ machen.
Eine Person, die in dem Markt an der Kasse arbeitet und anonym bleiben möchte, erzählt der taz, dass hier nur selten Menschen mit Bezahlkarte zahlen wollten. Dass jemand mit der Karte einen Gutschein gekauft hat, habe die Person in einem ganzen Jahr nur einmal mitbekommen.
Warum der Supermarkt den Gutscheinkauf mit Bezahlkarte verboten hatte, bleibt also unklar. Aber durfte er das überhaupt?
Nachfrage bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Einkäufe im Supermarkt fallen grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), schreibt ein Sprecher. Ein Verstoß gegen das AGG wäre es, wenn eine scheinbar neutrale Regelung Personen mit einem bestimmten Merkmal besonders trifft. Die Bezahlkarte bekommen in Hamburg aktuell nur Geflüchtete. Die Regel könne daher eine „Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft“ sein. Ein Verstoß gegen das Gesetz könnten die Schilder sein, wenn der Markt „keinen sachlichen Grund nachweisen kann, der einen pauschalen Ausschluss rechtfertigt“.
Gerichtsurteile zu solchen Fällen gibt es bisher nicht. Im Juli wurde ein ähnlicher Fall in Nürnberg bekannt. Da hatte ein Lidl-Markt Schilder aufgestellt, die Gutscheinkäufe mit Bezahlkarte verbieten. Auch sie verschwanden nach einer Anfrage der Lokalpresse, und Lidl entschuldigte sich.
Für die Hamburger Initiative „Nein zur Bezahlkarte“ waren die Schilder schlicht rassistisch: „Wenn Supermärkte wie der Edeka in Wandsbek entscheiden, gewisse Waren an eine Gruppe von Personen nicht zu verkaufen, ist das eine diskriminierende Praxis, die auf gruppenbezogenem Rassismus basiert.“ Der Supermarkt greife mit seiner Regel migrationsfeindliche Narrative auf, indem er ein vermeintliches Verbot zu seiner eigenen Regel mache. Der Fall zeige einmal mehr, dass Menschen durch die Bezahlkarte stigmatisiert werden, „da sie als solche erkennbar und nicht, wie von Söder und Co. behauptet, eine ‚normale Karte wie jede andere‘ ist“.
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