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Bezahlkarte soll ausgeweitet werdenErst Geflüchtete, dann Deutsche

Kommentar von Lotta Drügemöller

Künftig sollen in Hamburg auch Jugendliche, die Sozialleistungen erhalten, Geld nur noch über die Karte kommen. Das schafft Raum für Schikanen.

Eigenes Geld: hat schon was Foto: Elisa Schu/dpa

B ezahlkarte statt Bargeld: Dass diese Maßnahme bei Geflüchteten auch repressiv wirkt und wirken soll, ist nicht einfach ein Vorwurf von Asylverbänden, sondern erklärte Politik. 2023 hatten die Länder sich auf die Einführung geeinigt, neben Entbürokratisierung war immer eines der Ziele: Geflüchtete abschrecken.

In den meisten Bundesländern bekommen Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­emp­fän­ge­r*in­nen ihr Geld seit einigen Monaten auf eine extrem beschränkte Visakarte. Geld ins Ausland überweisen: Nicht möglich. Onlinekäufe und Überweisungen: hängt am Gutdünken der Landesregierungen. Und Bargeld abheben: nur stark begrenzt, die meisten Länder erlauben 50 Euro im Monat. Flohmärkte, Charity-Shops, kleine Gemüseläden – viel bleibt dafür nicht.

Umso erschreckender wirkte dieser Tage eine Meldung, dass Hamburg die Bezahlkarte auf weitere Personengruppen ausweiten will. Das Ding heißt in Hamburg Social Card, die Möglichkeit war von Anfang an mitgedacht. Neu ist, das hat eine Kleine Anfrage der Linken gerade ergeben, dass die Landesregierung bereits in einem „Vorprojekt“ die Nutzung prüft.

Was da passiert, bleibt schwammig. Offenbar geht es um Geld für betreute Jugendliche; nicht sie selbst, sondern ihre Be­treue­r*in­nen bekommen die Karten: „Die Sozialarbeitenden können nun direkt vor der Taschengeldausgabe in einer Wohngruppe Bargeld an einem Automaten abholen“, heißt es. Haben sie sich dafür etwa bisher gemeinsam mit den Asyl- und Sozialleistungsbeziehenden ohne Konto bei den Ausgabestellen der Sozialämter anstellen müssen?

Akt der Erleichterung

Die Hamburger Sozialbehörde feiert die Erweiterung auf neue Zielgruppen als einen Akt der Erleichterung. Schließlich ist die reine Bargeldauszahlung für Menschen ohne Konto aufwendig. „Grundsätzlich“, so schreibt die Finanzbehörde, gehe es nicht um Beschränkungen, sondern um ein „Mehr an Ermöglichung“. „Grundsätzlich“ ermögliche die Karte „das gleiche Leistungsspektrum wie eine guthabenbasierte Debitkarte“.

„Grundsätzlich“ lässt sich als Wort in zwei Richtungen lesen: Erstens als Regel ohne Ausnahme, zweitens als Regel mit Ausnahmen. Es wird gerne verwandt von Behörden, die sich nicht ganz festlegen wollen. „Was harmlos mit der Abschaffung von Bargeldauszahlungen beginnt, schafft die Möglichkeit für Einschränkungen der Geldnutzung wie bei Geflüchteten“, warnt die fluchtpolitische Sprecherin der Hamburger Linken-Fraktion.

Ihr Argument: Auch für Geflüchtete ist es ja gesetzlich nicht verboten, Geld ins Ausland zu überweisen; es wird durch die Karte nur unmöglich gemacht. Statt mühsam Gesetze zum Sozialabbau durch die Parlamente zu bringen, könnten mit der Social Card Einschränkungen für So­zi­al­leis­tungs­be­zie­he­r*in­nen einfach durchgedrückt werden.

Die Sorge ist in dieser Form wohl übertrieben, sagt Karl-Jürgen Bieback, emeritierter Professor für Sozialrecht der Uni Hamburg. Im Asylbewerberleistungsgesetz ist die Möglichkeit ver­ankert, dass nur Sachleistungen ausgezahlt werden. Bei Sozialleistungen geht das nicht.

Karten sind stigmatisierend

Kein Problem also mit der Social Card? Eine praktische Lösung sogar für alle ohne Konto? Rechtsexperte Bieback sieht die Karten trotzdem kritisch, schon weil sie stigmatisierend seien. Und: weil sie die echte Herausforderung nicht lösen.

Wer einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel. Und wer als Behörde eine tolle „Social Card“ aushändigen kann, der glaubt vielleicht, ein anderes Problem damit gar nicht mehr ­angehen zu müssen: kostenlose Kontos für alle.

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13 Kommentare

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  • Mir ist nicht klar was die Sozialkürzung sein soll. Wird weniger Geld ausgezahlt? Wird der Kauf von Waren und Dienstleistungen verboten? Man könnte offenbar nicht mehr auf Flohmärkten und kleinen Gemüseläden einkaufen gehen, falls das irgendwann so umgesetzt würde wie bei der Variante für Asylbewerber. Bzw. man kann, aber man könnt nicht mehr als 50 EUR pro Monat ausgeben. Bzw. man kann wenn man über den Monat hinaus spart. Für wie viele Personen wird das dann wirklich zu einem Problem werden, im hypothetischen Fall, dass das passiert?

    Ganz ehrlich interessiert es mich seit der Debatte um die Geldkarte für Asylbewerber nicht mehr was Asylverbände zu sagen haben. Die Einführung der Karte war sinnvoll. Asylbewerber jeden Monat an der Kasse für Bargeld anstehen zu lassen und dann der Gefahr von Überfällen und Diebstahl auszusetzen ist ineffizient und gefährlich. Abgesehen von Nordkoreanern sind es auch alle gewöhnt mit Karte oder gleich Handy zu bezahlen. Die Obsession mit Bargeld ist eine sehr deutsche Sache. Aber anstatt an einer vernünftigen Lösung mitzuarbeiten wurde alles abgelehnt.

  • Die Zahlkarte für Geflüchtete ist ein nur ein Meilensteinchen, um übermorgen den den Rest der Welt zur digitalen Währung aka Bezahlkarte aka E-Cash zu zweingen und zu kontrollieren. Den Rest der Welt? Nein! Natürlich nur die, die nicht über große Vermögen und int’l Verbindungen verfügen und in jeder Art von Währung und Derivaten handeln kann. Für alle andren bedeutet es, dass Bruder Staat, Handelskonzerne und andere Datennutzer die totale Kontrolle über unsere Einnahmen und Ausgaben bekommen und damit fast jeden unserer Schritte kontrollieren können.

    Dass die Schweizer Nationalbank gerade ein Kampagne zur Rettung des Bargelds führt, ändert ja nichts an den Begehrlichkeiten von Staaten und Unternehmen an gläsernen BürgerInnen/KonsumentInnen und dass schon bald der von Konzernen dominierte Einzelhandel und die fürs Geldschaffen und-verwalten zuständigen (Zentral-)Banken das Bargeld aus Gründen der Wirtschaftlichkeit aus dem Verkehr ziehen.

    Big Brother sings: Every step you make ...

  • Das ist doch das ewige Vorgehen der Politik, das sollte allmählich bekannt sein. Erst wird ein Versuchsballon gestartet bei denen die sich am wenigsten wehren können. Und dann wird das Ganze nach und nach immer weiter ausgedehnt. Es gehört nicht viel Phantasie dazu um zu erkennen, daß irgendwann die Hart IV-, vulgo Bürgergeld, Empfänger auch dran kommen.

  • Das Ziel dieser Karte ist nicht, Geflüchtete abzuschrecken, sondern einen von vielen Pull-Faktoren abzuschwächen. Ein Geflüchteter , dessen Leib und Leben in Gefahr ist, ist dankbar für Essen und Unterkunft und schert sich in der Regel nicht darum, wie ihm Geld ausgezahlt wird.



    Allerdings müsste die Regelung Bundessache sein.

    • @SGouldo:

      Die "Pullfaktoren" sind Kriege und extrem schlechte Lebensbedingungen in den Herkunftsländern. Irgendwelche Bezahlkarten spielen keine Rolle.

    • @SGouldo:

      Das Prinzip der sogenannten Pull-Faktoren ist eine Chimäre.



      Aber hier gerne nochmal die wissenschaftliche Einschätzung des DeZIM zur Bezahlkarte für Geflüchtete:

      „Die Diskussion um die Bezahlkarte stellt einen scheinbaren Zusammenhang von Migration und hohen Sozialleistungen her. Ein Zusammenhang, der bei näherer Betrachtung wissenschaftlich nicht belegt werden kann.“

      „Die Einführung der Bezahlkarte wird sehr wahrscheinlich negative Auswirkungen auf die Integration und Teilhabe haben, nicht zu vernachlässigende Kosten für den Staat verursachen und ihr Ziel, die Reduzierung der Fluchtmigration, verfehlen.“

      Den Volltext finden Sie hier:



      www.dezim-institut...fuer-gefluechtete/

  • Das mit den "nur Sachleistungen" kommt sehr auf die Sozialleistung an...

  • Und in Hamburg regieren Grüne und SPD. Her Dobrindt hat die nicht dazu gezwungen.

  • Auch für Geflüchtete ist es ja gesetzlich nicht verboten, Geld ins Ausland zu überweisen; es wird durch die Karte nur unmöglich gemacht.

    Im Asylbewerberleistungsgesetz ist die Möglichkeit ver­ankert, dass nur Sachleistungen ausgezahlt werden.

    Was stimmt jetzt?

    • @weather2018:

      Beides

  • Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob die Bezahlkarte als Leistungsmöglichkeit für die Dienstbezüge der Senatoren in die Hamburgische Besoldungsordnung aufgenommen werden kann. Das würde den Amtstragenden einen schnellen und unkomplizierten Zugang zu ihren Geldleistungen ermöglichen und zudem die Möglichkeit eröffnen, die Bezahlkarte perspektivisch auch bei diesem Personenkreis einzusetzen.

  • Die Hamburger Sozialbehörde feiert die Erweiterung auf neue Zielgruppen als einen Akt der Erleichterung. Schließlich ist die reine Bargeldauszahlung für Menschen ohne Konto aufwendig.

    Warum kein kostenloses Jugendkonto auf das die Jugendlichen ihr Geld via Dauerauftrag bekommen?



    Man könnte mit Sicherheit auch Konten auf den Namen der Behörde ausstellen, so dass auch 'neue' Schützlinge ihr Taschengeld direkt erhalten können. Bis ihre personalisierte Karte verfügbar ist.

    Es gibt doch auch noch Schecks die man bei Banken gegen Bargeld tauschen kann.



    So zu tun, als wäre das für irgendwas eine echte Lösung ist lächerlich.