Bezahlkarte soll ausgeweitet werden: Erst Geflüchtete, dann Deutsche
Künftig sollen in Hamburg auch Jugendliche, die Sozialleistungen erhalten, Geld nur noch über die Karte kommen. Das schafft Raum für Schikanen.
B ezahlkarte statt Bargeld: Dass diese Maßnahme bei Geflüchteten auch repressiv wirkt und wirken soll, ist nicht einfach ein Vorwurf von Asylverbänden, sondern erklärte Politik. 2023 hatten die Länder sich auf die Einführung geeinigt, neben Entbürokratisierung war immer eines der Ziele: Geflüchtete abschrecken.
In den meisten Bundesländern bekommen Asylbewerberleistungsempfänger*innen ihr Geld seit einigen Monaten auf eine extrem beschränkte Visakarte. Geld ins Ausland überweisen: Nicht möglich. Onlinekäufe und Überweisungen: hängt am Gutdünken der Landesregierungen. Und Bargeld abheben: nur stark begrenzt, die meisten Länder erlauben 50 Euro im Monat. Flohmärkte, Charity-Shops, kleine Gemüseläden – viel bleibt dafür nicht.
Umso erschreckender wirkte dieser Tage eine Meldung, dass Hamburg die Bezahlkarte auf weitere Personengruppen ausweiten will. Das Ding heißt in Hamburg Social Card, die Möglichkeit war von Anfang an mitgedacht. Neu ist, das hat eine Kleine Anfrage der Linken gerade ergeben, dass die Landesregierung bereits in einem „Vorprojekt“ die Nutzung prüft.
Was da passiert, bleibt schwammig. Offenbar geht es um Geld für betreute Jugendliche; nicht sie selbst, sondern ihre Betreuer*innen bekommen die Karten: „Die Sozialarbeitenden können nun direkt vor der Taschengeldausgabe in einer Wohngruppe Bargeld an einem Automaten abholen“, heißt es. Haben sie sich dafür etwa bisher gemeinsam mit den Asyl- und Sozialleistungsbeziehenden ohne Konto bei den Ausgabestellen der Sozialämter anstellen müssen?
Akt der Erleichterung
Die Hamburger Sozialbehörde feiert die Erweiterung auf neue Zielgruppen als einen Akt der Erleichterung. Schließlich ist die reine Bargeldauszahlung für Menschen ohne Konto aufwendig. „Grundsätzlich“, so schreibt die Finanzbehörde, gehe es nicht um Beschränkungen, sondern um ein „Mehr an Ermöglichung“. „Grundsätzlich“ ermögliche die Karte „das gleiche Leistungsspektrum wie eine guthabenbasierte Debitkarte“.
„Grundsätzlich“ lässt sich als Wort in zwei Richtungen lesen: Erstens als Regel ohne Ausnahme, zweitens als Regel mit Ausnahmen. Es wird gerne verwandt von Behörden, die sich nicht ganz festlegen wollen. „Was harmlos mit der Abschaffung von Bargeldauszahlungen beginnt, schafft die Möglichkeit für Einschränkungen der Geldnutzung wie bei Geflüchteten“, warnt die fluchtpolitische Sprecherin der Hamburger Linken-Fraktion.
Ihr Argument: Auch für Geflüchtete ist es ja gesetzlich nicht verboten, Geld ins Ausland zu überweisen; es wird durch die Karte nur unmöglich gemacht. Statt mühsam Gesetze zum Sozialabbau durch die Parlamente zu bringen, könnten mit der Social Card Einschränkungen für Sozialleistungsbezieher*innen einfach durchgedrückt werden.
Die Sorge ist in dieser Form wohl übertrieben, sagt Karl-Jürgen Bieback, emeritierter Professor für Sozialrecht der Uni Hamburg. Im Asylbewerberleistungsgesetz ist die Möglichkeit verankert, dass nur Sachleistungen ausgezahlt werden. Bei Sozialleistungen geht das nicht.
Karten sind stigmatisierend
Kein Problem also mit der Social Card? Eine praktische Lösung sogar für alle ohne Konto? Rechtsexperte Bieback sieht die Karten trotzdem kritisch, schon weil sie stigmatisierend seien. Und: weil sie die echte Herausforderung nicht lösen.
Wer einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel. Und wer als Behörde eine tolle „Social Card“ aushändigen kann, der glaubt vielleicht, ein anderes Problem damit gar nicht mehr angehen zu müssen: kostenlose Kontos für alle.
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