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Abschiebe-Beschluss der EU-InnenministerHinter der Bürokratie verbirgt sich der Abgrund

Frederik Eikmanns

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Frederik Eikmanns

Die EU-Innenminister*innen wollen Geflüchtete in Länder abschieben können, in denen sie noch nie waren. Das eröffnet beängstigende Möglichkeiten.

Bewegt die EU sich in die gleiche Richtung wie die USA? Ein Abschiebezentrum in Folkston im US-Bundesstaat Georgia Foto: yonhap/dpa

S elbst die drastischsten Schritte kommen bei der EU stets bürokratisch-langweilig daher. Eine Reform der Rückführungsverordnung wurde da am Montag von den EU-Innenminister*innen also beschlossen. Das Verbindungselement wurde gestrichen. Eine Anpassung der GEAS-Reform von 2023. Aha.

Aber dahinter stecken dramatische Verschärfungen beim Umgang mit Geflüchteten. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben in den letzten Jahren den Weg frei gemacht für brutale Abschottungsmethoden, die noch kurz vorher undenkbar schienen. Der Beschluss vom Montag, der noch das EU-Parlament passieren muss, ist nur der letzte Schritt – verdeutlicht aber besonders gut, wohin es geht.

Neben mehr Möglichkeiten für Abschiebungshaft und harten Strafen für unkooperative Geflüchtete steckt darin vor allem eine Neuregelung dessen, wer in welche Länder abgeschoben werden kann. Bislang können die Behörden die Ausreisepflichtigen nur in solche Länder zwingen, zu denen sie einen Bezug haben. Dieses Verbindungselement kann etwa ein längerer Aufenthalt in dem fraglichen Land sein. Doch diese Regel wird nun gekippt.

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Weil dann je­de*r abgelehnte Asyl­be­wer­be­r*in theoretisch in jedes andere Land abgeschoben werden kann, werden auch die Abschiebezentren möglich, die Italien auf zweifelhafter rechtlicher Basis schon in Albanien betreibt. Die Regierung in Rom lässt Ausreisepflichtige, die nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können, stattdessen auf albanischem Boden in Lagern inhaftieren. Dort werden sie festgehalten, bis sie freiwillig gehen oder eine endgültige Abschiebung möglich ist.

Die USA zwingen Menschen bereits in ihnen völlig fremde Länder

Menschen fernab der Öffentlichkeit in Haftzentren festzuhalten und von Gerichten, An­wäl­t*in­nen und Zivilgesellschaft abzuschneiden, ist dystopisch genug. Aber es könnte bald noch mehr möglich werden, wie der Blick in die USA zeigt. Dort werden Ausreisepflichtige schon jetzt in ihnen völlig fremde Länder gezwungen.

Dabei ist das Ziel nicht mehr, die Leute dort bis zur eigentlichen Abschiebung „zwischenzulagern“. Stattdessen werden die Betroffenen gewissermaßen ausgesetzt. Eine Vietnamesin landet dann schonmal im Südsudan. Ob die Personen dort in Gefängnisse gesteckt werden, gleich weiter abgeschoben werden oder sonst wie misshandelt werden? Der US-Regierung egal.

Natürlich: Aus dem Beschluss der EU-Innenminister*innen vom Montag folgt nicht automatisch, dass es irgendwann auch hier so kommt. Noch findet sich in der geplanten Verordnung eine Passage, die Abschiebungen nur in Länder erlaubt, die die Menschenrechte achten. Aber klar ist auch: In die richtige Richtung bewegt sich die EU damit sicher nicht.

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Frederik Eikmanns
Fachredakteur für Innere Sicherheit und Migration
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9 Kommentare

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  • Was kümmert uns Menschlichkeit, Empathie oder anderer links-grün versiffter Quatsch? Das geht uns doch nix an. Wir kümmern uns um unser Dasein, möglichst gut gepolstert, jedes Jahr ein neuer SUV und eine nette Flugreise wohin auch immer. DAS sind Sorgen, nicht so'n Pillepalle wie das tägliche Überleben oder auch "nur" die Gesundheit der Kinder.

  • Zu erwähnen ist aber auch, dass die abgelehnten Asylbewerber/innen (es liegt kein Asylgrund vor oder ähnliches) oftmals jegliche Zusammenarbeit verweigern bzw. Ihrer Identität verschleiern.

  • Man sollte alle Politiker, die solche Beschlüsse fassen, mal für einige Zeit in den Südsudan fliegen. Vielleicht kapieren die dann, warum so viele Menschen die gefährliche Reise nach Europa antreten.

  • Tja. Erst haben wir unseren Müll in ärmeren Ländern verklappt, jetzt unsere Migranten - was soll man noch sagen?

  • "Noch findet sich in der geplanten Verordnung eine Passage, die Abschiebungen nur in Länder erlaubt, die die Menschenrechte achten. "

    Und was ist diese Passage wert, wenn selbst innerhalb der EU (insbesondere in der Peripherie) Menschenrechte nicht immer garantiert werden können?



    .



    1 Bsp: Bei den kroatischen Pushbacks und Raubüberfällen der Grenzbeamten sind Menschen zu Tode gekommen, man könnte von Mord sprechen.



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    Die EU unterstützt lybische Sklavenhändler und Schleppernetzwerke auch "Küstenwache" genannt mit Ausrüstung.



    .



    Und DIESELBE EU soll nun entscheiden können ob ausreichend Menschenrechte gewährt werden???

  • Noch findet sich in der geplanten Verordnung eine Passage, die Abschiebungen nur in Länder erlaubt, die die Menschenrechte achten.

    Dann versteht ich nicht warum in Deutschland über Rückführungen nach Afghanistan diskutiert wird.

  • Nicht schön. Aber was ist die realistische Praxisalternative des Autors? Wie wollen wir den wirklich Schutzbedürftigen weiter genug Raum bieten, wenn wir es nicht schaffen, die relativ wohlhabenden Kund*innen der Schleuser*innen wieder los zu werden, wenn sie nicht den geltenden Kriterien entsprechen? Da fehlt eine echte Antwort.

  • Dass Länder ihre eigenen Bürger schon mal einfach nicht zurücknehmen ist eine schwere Verletzung des Völkerrechts. Und spräche wohl auch dafür, den Betroffenen Asyl zu gewähren. In irgendein Drittland abzuschieben kann am Ende den sicheren Tod bedeuten in Ländern, die mit diesen Menschen solche fragwürdige Geschäfte machen.



    Mein Europa ist das nicht mehr.

  • "Abschiebungen nur in Länder erlaubt, die die Menschenrechte achten." Also alle. Denn welches Land behauptet von sich, die Menschenrechte nicht zu achten? Nach Ansicht von Dobrindt wird auch das jetzige Afghanistan von Menschenrechtsfreunden regiert.