Bewegungstermine in Berlin: Mackie Messer in Mitte
Wie der Eigentümer mit den Ex-Obdachlosen in der Habersaathstraße umgeht, zeigt, dass im Kapitalismus „Recht“ und „gerecht“ oft nicht dasselbe sind.
V ielleicht ist Brechts berühmter Satz aus der Dreigroschenoper „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ ein alter Hut. Aber wer sich den Krimi um die Habersaathstraße in den letzten Wochen vergegenwärtigt, dem muss Brechts Vergleich zwischen kapitalistischer Gesellschaft und organisierter Kriminalität vor dem geistigen Auge erscheinen. Wie verschwommen sind doch manchmal die Grenzen zwischen jenen, die das Recht brechen, und denen, deren eigentlich verbrecherischen Praxen im Rahmen des bürgerlichen Rechts folgenlos bleiben?
Brecht vergleicht in seinem Stück die Banker mit dem Gewaltverbrecher Mackie Messer. Im Fall der Habersaathstraße sind diejenigen, die sich mit der Besetzung von Wohnraum formal im Unrecht befinden, überwiegend ehemalige Obdachlose. Man könnte sagen: Es handelt sich um Menschen, denen die deutsche Überflussgesellschaft ihr Menschenrecht auf Obdach verwehrt hat. Auf der anderen Seite steht Andreas Pichotta, Eigentümer der Arcadia Estates – ein Immobilienzocker, der intakten Wohnraum abreißen will, um mit Luxuswohnungen noch mehr Profit zu machen.
Und so entfalten die unterschiedlichen Rollen von Eigentümer und Besetzer:innen ihre verlässlich-gewaltvolle Wirkung. Vor 14 Tagen wurden einige der Besetzer:innen mit richterlicher Bescheinigung polizeilich geräumt, also auf die Straße gesetzt. Dann hat Pichotta einen illegalen Security-Trupp damit beauftragt, weitere Menschen wieder in die Kälte zu treiben. Er hat er ihnen zwischenzeitlich das Trinkwasser abgestellt, um sie mit dem Mittel des Durstes loszuwerden. Nun soll noch die Gewalt des Winters für ihn arbeiten, indem er den Bewohner:innen die Heizung abstellen will.
Es gibt in der Habersaathstraße auch Mieter:innen, die über reguläre Verträge verfügen. Auch sie sind von einigen Aspekten des Agierens von Pichotta betroffen. Sie bekommen vielleicht Radiatoren gegen die Kälte gestellt. Aber wenn das Wasser abgestellt wird, müssen auch sie Kanister schleppen, wenn die Secu-Trupps kommen, müssen auch sie sich in ihren Wohnungen verbarrikadieren. Brecht selbst könnte wahrscheinlich nicht besser illustrieren, wie viel näher sich Mieter:innen und Obdachlose im Kapitalismus sind – verglichen mit der gewaltigen Macht des Eigentums.
Stille Straße 10 bleibt
Im Jahr 2012 wurde die Stille Straße zu einem bundesweit bekannten Symbol der Berliner Mieter:innenproteste. Damals besetzten Pankower Senior:innen eine Begegnungsstätte, um ihren Erhalt zu sichern. Nun ist die Existenz der Einrichtung wieder bedroht – und zwar wegen der Kürzungspolitik des Senats. Denn dank der kann die Volkssolidarität Berlin nicht mehr die notwendigen Gelder für Strom, Gas, Wasser und Müllabfuhr zahlen. Am Dienstag gibt es Protest vor der BVV Pankow, wo über die Zukunft der Stätte debattiert werden soll. Eine Petition für den Erhalt findet sich hier.
Dienstag, 4. November, Fröbelstr. 17, 17:15 Uhr
Wohnen ist ein Menschenrecht
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt, und trotzdem sind hierzulande immer mehr Menschen von Wohnungsnot betroffen. Das Recht auf Wohnraum ist aber völkerrechtlich verbindend. Zu einer Tagung kommen Engagierte aus der Sozialpolitik, Mieter:inneninitiativen, die Fachöffentlichkeit und von Wohnungsnot Betroffene zusammen, um gemeinsam zu diskutieren. Mit dabei sind etwa der Soziologe Andrej Holm und der Historiker Ralf Hoffrogge. Es wird auch der diesjährige Soziale Menschenrechtspreis verliehen. Um Anmeldung wird gebeten: info@sozialemenschenrechtsstiftung.org.
Donnerstag, 6. November, Rathaus Schöneberg, Theodor-Heuss-Saal, 16 Uhr
Und jetzt?! Jugendwohnkongress für Berlin
Eine gute Wohnung zu finden, ist für fast alle Berliner:innen eine Herausforderung – aber junge Berliner:innen haben es noch einmal besonders schwer. Bereits 2024 wurde beim ersten Jugendwohnkongress für Berlin deutlich, dass Wohnen ein Thema ist, dass die Jugend herumtreibt. Nun kommen wieder junge Menschen im Haus der Kulturen der Welt zusammen, um Erfahrungen zu teilen und Forderungen zu entwickeln. So wollen sie den Wandel selbst in die Hand nehmen: laut, kreativ, konkret. Um Anmeldung wird gebeten: https://survey.lamapoll.de/undjetzt.
Freitag, 7. November, John-Foster-Dulles-Allee 10, ab 11 Uhr (ganztägig)
Was macht Berlin anders?
Der Rechtsruck zeigt sich auch im Stadtraum: soziale Ungleichheit, Klimakrise, demographische Veränderungen und politische Spannungen prägen Stadt und Land. Berlin aber gilt als Labor für innovative Formen städtischer Praxis und Beteiligung. Ein Kolloquium fragt, wie Berlin weiter sozial gerecht gestaltet werden kann. Katalin Gennburg (Linken MdB), Katrin Lompscher (Ex-Linken Sentatorin für Stadtentwicklung) und Stefan Thimmel (Rosa-Luxemburg-Stiftung) führen durch die Debatten mit Aktivist:innen und Expert:innen. Anmeldung (10 Euro) unter diesem Link.
Samstag, 8. November, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Straße der Pariser Kommune 8a, 10 – 18 Uhr
Denn das Bezirksamt Mitte lässt Picotta einfach gewähren. Man ist in der Behörde offenbar nicht einmal fähig, das Mittel einzusetzen, das auch die bürgerliche Rechtsordnung kennt, wenn es ein Eigentümer mal zu weit treibt: die Häuser unter treuhänderischer Verwaltung zu stellen, um die dringendsten Mängel zu beheben und die Grundversorgung der Bewohner:innen sicherzustellen.
Aber vielleicht ist es ja kein Zufall, dass diese Karte bisher nicht gezogen wurde. Denn ist es nicht auch ein Gradmesser gesellschaftlicher Macht, wer sich ohne Konsequenzen über das Recht hinwegzusetzen in der Lage ist?
Empfohlener externer Inhalt
Dieser Gedanke stammt allerdings nicht von Brecht, sondern vom Faschismus-affinen Staatsrechtler Carl Schmitt, der das positiv sah, als Herrschaftsideal.
Um das Bezirksamt zum Handeln zu bringen, gibt es Protest: am kommenden Donnerstag (6.11.) um 15 Uhr vor dem Bezirksamt Mitte (Mathilde-Jacob-Platz 1). Weitere Bewegungstermine sind im Kasten oben zu finden.
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