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Hannovers OB Belit Onay„Bund und Länder prellen regelmäßig die Zeche“

13 Oberbürgermeister haben einen Brandbrief an Bund und Länder geschrieben, weil ihnen das Geld ausgeht. Der Rathauschef von Hannover ist einer davon.

Hannovers Bürgermeister Belit Onay bei einer Pressekonferenz zum Innenstadt-Dialog am 4. September 2020 Foto: Michael Matthey/imago
Nadine Conti

Interview von

Nadine Conti

Oberbürgermeisterinnen und -bürgermeister aus 13 Landeshauptstädten haben dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten in dieser Woche einen Brandbrief geschrieben. Den Kommunalfinanzen drohe der Kollaps, warnen sie darin. „Die Schere zwischen kommunalen Einnahmen und Ausgaben öffnet sich immer weiter“, heißt es in dem Brief. Die wichtigste Forderung der Rathauschefs ist, das sogenannte Konnexitätsprinzip auf allen Ebenen konsequent anzuwenden – auch rückwirkend. Also: Wenn Bund oder Länder neue Aufgaben für die Kommunen beschließen, sollen sie sich auch um die Finanzierung kümmern.

taz: Herr Onay, die Klage der Kommunen, dass sie strukturell unterfinanziert seien, immer mehr Aufgaben aufgedrückt bekämen, ohne dass man ihnen auch die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt, hören wir schon seit Jahren. Warum jetzt noch mal dieser Brandbrief?

Belit Onay: Klar, diese Schieflage gibt es schon länger, die gab es auch schon vor Corona. Bisher hat man sie noch einigermaßen bewältigen können, weil sich die Gewerbesteuereinnahmen lange Zeit positiv entwickelt haben. Das hat sich aber spätestens mit Corona geändert. Sowohl bei den Steuereinnahmen als auch bei den Kosten, die in vielen Bereichen explodiert sind. Und gleichzeitig haben wir jetzt eine Erwartungshaltung, die von der Bundesregierung geschürt wird, wo mit diesen Investitionsmilliarden der Eindruck erweckt wird: Jetzt geht es los, jetzt wird alles besser. Wir sehen dann oft, dass zwischen Bund und Ländern, zum Beispiel in den Ministerpräsidentenkonferenzen, Dinge vereinbart werden, die zu Lasten Dritter gehen – und das sind im Zweifelsfall wir Kommunen.

taz: Warum kam dieser Aufschrei jetzt aus diesem speziellen Kreis, also den Rathauschefs der 13 Landeshauptstädte der Flächenbundesländer?

Im Interview: Belit Onay

44, ist seit 2019 Oberbürgermeister der niedersächsischen Landeshauptstadt Niedersachsen. Zuvor saß er seit 2013 für die Grünen im Landtag.

Onay: Erst einmal können wir natürlich ganz gut für die kommunale Familie sprechen. Und wir hoffen natürlich auch, dass unser Wort ein bisschen Gewicht hat. Es sind ja Kollegen aller demokratischen Parteien dabei – CDU, SPD, Grüne, FDP, Parteilose. Dass die Initiative von Stuttgart ausging und selbst München dabei ist, sagt ja auch etwas aus. Wenn selbst die relativ reichen süddeutschen Städte jetzt an einem Punkt sind, wo sie sagen: So geht das nicht weiter. Die Stadtstaaten sind nur nicht dabei, weil sie rechtlich Land und Kommune in einem sind. Aber besser geht es denen natürlich auch nicht.

taz: Noch einmal zurück zum Punkt „Kostenexplosion“: Welche Bereiche machen Ihnen da am meisten Sorge? Die Sozialausgaben?

Onay: Die Sozialausgaben sind ein Punkt. Aber eigentlich geht das durch alle Bereiche: vom Deutschlandticket über die Kitas bis zum Ganztagsausbau. Das Bittere ist ja, dass das auch alles wichtige Themen sind. Inhaltlich würde das von uns niemand infrage stellen oder streichen wollen. Das Problem entsteht in der Umsetzung. Und das war auch unter der Ampelregierung und unter Merkel schon so. Ein gutes Beispiel ist das Wohngeld.

taz: Mit der Reform von 2023 gab es plötzlich viel mehr Menschen, die antragsberechtigt waren.

Onay: Genau. Und das ist auch gut so. Aber was bei der Verkündung dieser Wohltat nicht mitgedacht wurde, war der Mehraufwand, der bei uns auf kommunaler Ebene entsteht. Wir kriegen das dann vor die Füße gekippt und sollen uns überlegen, wie wir es hinkriegen – ohne dass die zusätzlichen Kosten übernommen werden. Das ist rechtlich aber nicht die Verabredung. Eigentlich gilt ja das Konnexitätsprinzip, einfach ausgedrückt: Wer bestellt, muss auch bezahlen. Aber zurzeit prellen Bund und Länder einfach regelmäßig die Zeche.

taz: Rein rechtlich gilt das Konnexitätsprinzip aber nur gegenüber dem Land. Ist der Bundeskanzler dann nicht eigentlich der falsche Adressat? Müssten Sie sich nicht die Länderchefs vorknöpfen?

Onay: Der Brandbrief ist schon bewusst an beide adressiert. Weil natürlich auch der Bund eine Gesamtverantwortung hat. Und wenn der jetzt die Modernisierung Deutschlands verspricht, mit Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung, dann muss man sich auch klarmachen, wo das realisiert wird. Und das passiert ja nicht in Berlin, in den Ministerien oder im Bundestag, sondern bei uns vor Ort, in den Städten. Das ist der Ort, wo Menschen den Staat wahrnehmen, im „Stadtbild“.

taz: Wenn man Bundespolitiker fragt, dann sagen die: Aber wir machen doch. Der Anteil der Kommunen an der Umsatzsteuer ist mehrfach erhöht worden, der Bundesanteil an den Sozialkosten auch, dazu gibt es zig Sonderprogramme für Kitas, ÖPNV, Digitalisierung und so weiter. Warum reicht das nicht?

Onay: Na, das ist eine ganz einfache mathematische Formel jedes Mal. Man kann sich das ja anschauen. Beim Deutschlandticket ist die Situation so, dass es nicht auskömmlich finanziert ist. Das führt dazu, dass vor allem im Umland und im ländlichen Bereich, also wo die Pendlerinnen und Pendler sitzen, der ÖPNV eingeschränkt werden muss, weil die Kosten nicht gedeckt werden können. Dasselbe Spiel haben wir beim Thema Krankenhäuser oder Digitalisierung.

taz: Also hilft Ihnen das milliardenschwere Sondervermögen Infrastruktur auch nicht?

Onay: Na ja, wenn ich das jetzt mal auf Hannover herunterbreche: Wir wissen noch nicht ganz genau, wie viel bei uns ankommt, gehen aber davon aus, dass es sich irgendwo so zwischen 30 und 50 Millionen Euro bewegen wird. Pro Jahr über die nächsten zehn Jahre. Das ist natürlich richtig viel Geld. Nur: Unser Investitionshaushalt liegt gerade bei 260 bis 270 Millionen. Also: Mit dem zusätzlichen Geld bauen wir pro Jahr gerade mal eine halbe Schule. Das ist nicht der Gamechanger, über den wir reden. Und das ist aus meiner Sicht fatal, weil der Eindruck, der erweckt wird, ja ein ganz anderer ist.

taz: Was passiert, wenn die Kommunalfinanzen nicht besser aufgestellt werden?

Onay: Dann sind in vielen Bereichen Enttäuschungen vorprogrammiert, von denen letztlich wieder der Rechtspopulismus profitieren wird. Weil eben doch nicht so viel so schnell vorangeht, wie man erwartet hat. Die Zitrone ist eben einfach ausgepresst an vielen Stellen. Wenn wir dann sagen, wir müssen sparen, wir gehen an die freiwilligen Leistungen, dann ist das ein ziemlich beschönigender Begriff. Das heißt ja, wir sparen bei der Kultur, beim Sport, im Sozialen – bei allem, was eine Stadt lebenswert macht. Das hat dann auch Folgen für die Stadtgesellschaft, die – glaube ich – niemand will.

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