Depressionen durch Social Media: Smartphone-Opfer
Die Gen Z hat deutlich stärker als frühere Generationen mit psychischen Problemen zu kämpfen. Tiktok und Instagram sind wenig hilfreich.
Q uentin Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, stellte kürzlich eine Studie zu einer Mental Health Crisis junger Menschen in Deutschland vor. Neben dem jungen Mann saß Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), das die aktuellen Daten erhoben hatte. Die Untersuchungsergebnisse weisen auf die ökonomischen Konsequenzen dieser Krise hin und halten fest: „So stellen viele Maßnahmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen für die öffentlichen Haushalte auf längere Sicht eine lohnenswerte Investition dar.“
Zynisch gesagt, müssen junge Menschen jetzt schon beweisen, dass ihre emotionalen Belastungen auch finanziellen Schaden mit sich bringen. Das Wohlergehen von Kindern allein scheint in dieser Gesellschaft nicht auszureichen. In seinem Buch „Generation Angst“ schreibt der US-amerikanische Psychologe Jonathan Haidt über einen Wandel in der mentalen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, der etwa im Jahr 2010 einsetzt, das Jahr, in dem die letzten Kinder der Gen Z – die „Generation Angst“ – geboren wurden.
Um dieses Jahr herum wurden außerdem die ersten Kinder der Gen Z volljährig. Ungefähr damals kam auch das erste iPhone auf den Markt und das Breitbandinternet wurde in den USA und Europa allgemein zugänglich. Die Gen Z, so schreibt Haidt, sei die „erste Generation in der Geschichte“ gewesen, „die die Pubertät mit einem Portal in der Hosentasche durchlief – einem Portal, das sie von den Menschen in ihrer Nähe weglockte und in ein alternatives Universum führte, das aufregend, süchtig machend, instabil“ sei.
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Dass viele Kinder und Jugendliche emotional belastet sind und unter psychischen Erkrankungen leiden, hat unterschiedlichste Gründe. Ein solch auffälliges Geschehen ist nie auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Erstaunlich ist allerdings, dass die Tatsache, dass schon sehr junge Menschen Zugang zu einer Welt der Social-Media-Plattformen haben, die sogar für Erwachsene in höchstem Maße belastend sein kann, in der Debatte eine derart kleine Rolle spielt.
Drei von vier finden sich nicht schön
Eine Befragung der britischen Organisation Stem4 aus dem Jahr 2021, die sich der mentalen Gesundheit von jungen Menschen widmet, zeigte, dass 77 Prozent der 12- bis 21-Jährigen unzufrieden damit sind, wie sie aussehen. 97 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind durchschnittlich 3,65 Stunden (!) täglich in den sozialen Netzwerken unterwegs.
Wenn sie einen Weg finden wollen, um mit den negativen Gefühlen gegenüber dem eigenen Körper umzugehen, suchen sich 76 Prozent der jungen Menschen Hilfe auf Social-Media-Apps wie Tiktok und Instagram; nur 18 Prozent sprechen darüber mit Freund:innen oder der Familie. Das Überraschende dabei ist, dass 69 Prozent der Kinder und Jugendlichen selbst feststellen, wie sehr die sozialen Netzwerke ihre Stimmung negativ beeinflussen. Laut der Stem4-Untersuchung fühlen sie sich „gestresst, besorgt und depressiv“.
Für einen Artikel im US-amerikanischen Magazin The Atlantic beschreibt Haidt eine Untersuchung von Kindern im Alter zwischen acht und zwölf Jahren. Die Probanden bekamen drei Möglichkeiten, wie sie ihre Freizeit verbringen können: freies, unbeaufsichtigtes Spielen mit anderen Kindern. Oder: Aktivitäten, die von Erwachsenen organisiert werden. Oder: sich online mit anderen verbinden. Es gab einen klaren Gewinner: das freie Spielen. Knapp die Hälfte der Kinder wählten die erste Option, nur ein Viertel wollte sich in der Freizeit online vernetzen.
Es braucht strengere Regeln
Es ist ein heikles Thema. Kritik am allzu leichten Zugang zur digitalen Welt der Social-Media-Apps kann schnell zur allgemeinen Technikkritik umgedeutet werden. Zu Studien und Untersuchungen eines Wissenschaftlers wie Jonathan Haidt gibt es Kritik anderer Wissenschaftler:innen, die sicher valide ist – Wissenschaft ist selten eindeutig. Gleichzeitig liefern zahlreiche Studien klare Hinweise darauf, dass es schädlich sein kann, jungen Menschen allzu früh Smartphones in die Hände zu drücken.
Nur in einer Gesellschaft, in der das Wohlergehen von Kindern derart geringgeschätzt wird, ist es möglich, diese Warnzeichen zu ignorieren. Die Macht und die Wünsche der digitalen Plattformen scheinen vorzugehen. Das Argument, dass Kinder digitale Fertigkeiten schließlich erlernen sollen, erscheint seltsam. Natürlich müssen sie das – aber das geht auch ohne ein eigenes Smartphone oder den Zugang zu Social Media.
Außerdem hat auch die Generation vor Gen Z, die Millennials, bekanntermaßen den Umgang mit der digitalen Welt gut erlernt, obwohl sie teils erst weit nach der Schulzeit damit begonnen haben. In dieser Hinsicht ist es unfassbar, dass Schulen in Deutschland private Smartphones erlauben. Dass es bisher noch keine Bundes- oder Landesregierungen für flächendeckende Regelungen gibt oder auch dass der Zugang zu Social Media vor dem 16. Lebensjahr erlaubt ist, ist nicht nachvollziehbar.
Ohne staatliche Regelungen wird jede Familie mit der Entscheidung alleingelassen. Was sollen Eltern sagen, wenn die zehnjährige Tochter nach Hause kommt und erklärt, sie will jetzt auch ein Smartphone haben, schließlich haben alle anderen in ihrer Klasse auch eins? Was ist mit Eltern, die weder die Ressourcen noch den Zugang zu Wissen haben, die für solche Entscheidungen notwendig wären? Was ist mit Familien, die prekär leben, die eingewandert sind und dadurch bereits strukturell emotionale Belastungen haben?
Die Erklärung, dass das jede Familie für sich selbst klären müsse, kann nur aus einer sehr privilegierten Sicht erfolgen. Man kann nur hoffen, dass in nicht allzu ferner Zukunft Gesellschaft und Staat verstehen, was Kinder brauchen. Es ist allerhöchste Zeit, sich besser um sie zu kümmern.
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