Informatik-Unterricht in Hamburg: Für Mädchen nicht so toll
Ein Schulversuch in Hamburg hat gezeigt, dass Mädchen vom Fach Informatik weniger begeistert sind. Eine SPD-Fachgruppe schlägt getrennte Kurse vor.

Als Hamburg die Informatik zum Pflichtfach ernannte, gab es viele Bedenken. Denn für das Fach fallen andere Stunden weg, welche es sind, sollen die Schulen selbst entscheiden. Ein Pilotprojekt, das im Schuljahr 2024/25 an sieben Schulen durchgeführt wurde, weist nun auf ein weiteres Problem hin. Der Versuch sei gelungen, antwortet der Senat auf eine Anfrage der Linken, aber er schränkt ein: „Allerdings erreicht der Informatikunterricht noch nicht die Schülerinnen im gleichen Maße wie die Schüler.“ Deshalb würden nun die Lehrkräfte fortgebildet, um den Unterricht „gendergerecht“ zu gestalten.
Die Arbeitsgemeinschaft für Bildung (AfB) der Hamburger SPD hatte dieses Problem bereits geahnt. Deshalb stellte sie bereits im Juni 2023 einen Antrag für einen besonderen Schulversuch. Ein Jahr lang sollte in Hamburg in jedem Stadtteil die „Aufhebung der Koedukation im neu eingeführten Pflichtfach Informatik“ ausprobiert werden. Das Ziel sei es, „in der Pubertät den leichten IT-Vorsprung der Jungen gepaart mit alterstypischem Dominanzverhalten durch getrennten Anfangsunterricht so lange auszugleichen, bis sich die Lernniveaus egalisiert/stabilisiert haben“, heißt es in dem Antrag. Dieser wurde vom Parteitag jedoch abgelehnt.
Parität längst noch nicht erreicht
Sie glaube, viele hätten den Antrag so gelesen, dass die AfB generell den gemeinsamen Informatikunterricht von Jungen und Mädchen aufheben wolle, sagte die AfB-Vorsitzende Dora Heyenn in ihrer Begründung. „Dem ist nicht so! Wir fänden es hilfreich, wenn in ausgesuchten 7. Klassen, für eine begrenzte Zeit von mindestens einem Jahr, geschlechtergetrennt Informatik unterrichtet wird.“ Der Versuch solle wissenschaftlich begleitet werden, um zu sehen, ob dies ein Weg ist, Geschlechterparität in diesem Fach zu erreichen.
Denn Parität sei noch längst nicht erreicht, sagt Heyenn und verweist auf eine Studie der Nixdorf-Stiftung. Demnach ist in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, wo Informatik bereits in der Mittelstufe Pflichtfach ist, der Anteil der Mädchen in späteren Oberstufen-Kursen zwar höher als anderswo. Mit 30 Prozent liegt er aber immer noch weit unter dem Anteil der weiblichen Schülerschaft in den Oberstufen.
„Ich betrachte eine Quote von 30 Prozent nicht als ausgeglichen“, sagt Heyenn, die selbst Lehrerin für Biologie und Chemie war, gegenüber der taz. „Es ist also nicht ausgemacht, dass allein verpflichtender Informatikunterricht den gleichen Zugang bei Jungen und Mädchen herstellt.“
Die Fachgruppe für Informatische Bildung in Hamburg und Schleswig-Holstein der Gesellschaft für Informatik hält gar nicht viel von einer Aufhebung der Koedukation. „Es ist wichtig, einen spielerischen und kreativen Unterricht zu machen, um für Informatik zu begeistern“, sagt ihr Sprecher Moritz Kreinsen. „Aber eine Trennung von Jungen und Mädchen würde Stereotype verstärken und sagen: ‚Wir stecken euch in Schubladen‘.“ Stattdessen sollten Lehrkräfte im Unterricht mit Binnendifferenzierung und Raumkonzepten dafür sorgen, dass auch die Mädchen gleichberechtigt lernen und Interesse an Informatik entwickeln können.
Behörde sieht keine „technischen Probleme“
Die Hamburger Schulbehörde ist einem neuen Versuch gegenüber nicht abgeneigt. Die Aufhebung der Koedukation in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern werde gesellschaftlich kontrovers diskutiert, sagt deren Sprecherin Ulrike Klettner. „Zwar gibt es positive Erfahrungen damit, aber einen wissenschaftlichen Konsens gibt es hierzu bislang noch nicht.“
Im Pilotjahr an sieben Schulen habe sich gezeigt, dass sich das Fach gut in den Stundenplan integrieren lässt und die Fachrahmenpläne „motivierend“ sind. „Es gab keine technischen Probleme“, sagt Klettner. Viele der anfänglichen Sorgen hätten sich als unbegründet erwiesen. Bei einer anschließenden Befragung zeigte sich allerdings, dass Mädchen das Fach nicht ganz so positiv wahrnahmen wie Jungen.
Dies sei ein bundesweites Phänomen und Gegenstand fachdidaktischer Forschung, sagt Klettner. In der Fachwelt bestünde aber Uneinigkeit darüber, ob eine stärkere Differenzierung des Unterrichts sinnvoll ist oder ob man nicht im Gegenteil alle Kinder gleich behandeln und implizite männliche Normen aufbrechen sollte.
Schwerpunkt auf Zugehörigkeitsgefühl und Interesse
Die Schulbehörde empfiehlt den Schulen Ansätze wie das „PECC-Modell“ der Informatik-Didaktikerin Bernadette Spieler. Es steht für „Playing, Engagement, Creativity, Creating“. Dabei werden Spiele selbst erstellt und ein Schwerpunkt auf Zugehörigkeitsgefühl, Interesse, Selbstwirksamkeit und Spaß gelegt. Diese Motivationsfaktoren gelten als wichtig für die spätere Berufswahl von Mädchen.
Hamburg habe bereits alle wesentlichen Züge dieses Modells in den Bildungsplan für Informatik integriert, sagt die Sprecherin der Bildungsbehörde. Nun müsse man die Umsetzung in die Praxis unterstützen. Wichtig sei es, Geschlechterstereotype zu vermeiden, genderneutrale Materialien zu verwenden und lebensweltliche Bezüge herzustellen. Zudem sollte man weibliche Vorbilder einsetzen und Informatik mit anderen Fächern wie Kunst und Sprachen verknüpfen.
Zum Antrag der AfB erklärt die Schulbehörde: „Die Entscheidung, Kurse nach Geschlechtern getrennt anzubieten, obliegt in Hamburg den Schulen.“ Sollte sich eine Schule dafür entscheiden, würde die Behörde eine solche Pilotierung unterstützen, den Schulen aber „keine Vorgaben machen“.
Fachverband findet abgekapseltes Fach sinnlos
Allerdings wird aus dem Schulbereich kritisiert, dass die Behörde beim Pflichtfach Informatik ohnehin viel den Schulen überlässt. Beispielsweise die Frage, welche Fächer dafür wegfallen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert deshalb eine einheitliche Regelung, um Konflikte in den Kollegien zu vermeiden. Im Pilotjahr traf es am häufigsten das Fach Geschichte.
Für den von der Behörde angestrebten modernen Unterricht, der mit anderen Fächern wie Kunst und Sprachen verbunden ist, bräuchten die Lehrkräfte laut dem Hamburger Fachverband für Kunstpädagogik mehr Zeit für die Entwicklung gemeinsamer Konzepte. Die Vorsitzende des Fachverbandes, Nina Rippel, sagt sogar: „Ein abgekapseltes Fach Informatik macht wenig Sinn.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert