Haushaltsplanung in Russland: Die russische Bevölkerung soll für Putins Krieg zahlen
Um die hohen Kriegskosten zu bewältigen, will Russland zukünftig die Mehrwertsteuer erhöhen und die Unternehmensteuer ausweiten – auf kleine Betriebe.
So ist es im Entwurf des Haushalts 2026 vorgesehen, über den die Duma, das russische Parlament, derzeit berät. Für Kleinunternehmer wird die Umsatzsteuerbefreiung von bisher 60 auf 10 Millionen Rubel (umgerechnet nur noch gut 100.000 Euro) reduziert.
Um die ärmsten Bevölkerungsgruppen zu schonen, bleibt die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmitteln bei 10 Prozent. Putins Plan zielt auf den kritischen Mittelstand. Viele Kleinunternehmer in Städten hatten in der Vergangenheit oppositionelle Parteien unterstützt – unter anderem den Anti-Korruptionskampf des inzwischen in Haft vergifteten Oppositionellen Alexej Nawalny.
Vor allem geht es dem Kremlchef Putin aber um das ökonomische Überleben des Riesenreichs. Dessen Wirtschaft hatte US-Präsident Donald Trump kürzlich als „Papiertiger“ verspottet, wegen der immer offensichtlicher werdenden Schwächen. Dabei hatte Putin, nicht zuletzt mit der vorigen Mehrwertsteuererhöhung 2019 – drei Jahre vor dem Überfall auf die Ukraine – sein Land zu einer „finanziellen Festung“ mit Reserven in dreifacher Milliarden-Dollar-Höhe ausgebaut, wie russische Analysten erklären.
Aber die Sanktionen haben Russland deutlich härter getroffen als erwartet und zugegeben. Die Kohleexporte sind weitgehend zusammengebrochen, die Ölausfuhren liegen deutlich unter Weltmarktpreis. Vor allem die Beschlagnahmung des gesamten, im Ausland angelegten Zentralbank-Vermögens hat den russischen Haushalt deutlich eingeschränkt. Gleichzeitig zieht sich der Krieg gegen die Ukraine inzwischen über dreieinhalb Jahre statt der versprochenen wenigen Tage.
„Abwanderung in die Schattenwirtschaft“
Die drastische Reduzierung der Mehrwertsteuerfreigrenze auf ein Sechstel des bisherigen Umfangs für Kleinunternehmer werde mindestens 800.000 Firmen treffen, hat die Moskauer Mittelstandsvereinigung Opora errechnet. Dahinter stehen Menschen wie Dmitri Kotschew aus der Rüstungsmetropole Ischewsk, wo die berühmten Kalaschnikows geschmiedet werden. Kotschew betreibt dort einen Onlinehandel für Kinderkleidung.
„Den muss ich schließen, wenn ich mit meinem Umsatz in die Mehrwertsteuerpflicht rutsche“, sagt der Unternehmer. Bisher habe er eine Marge von 3 bis 3,5 Prozent – ohne dass er bisher Mehrsteuer abführen muss wegen der derzeitigen Grenze von 60 Millionen Rubel. „Es wird eine Pleitewelle geben“, sagt Kotschew voraus, denn seine Kund:innen könnten eine drastische Preiserhöhung nicht mitmachen. Das führe zu massenhaften Insolvenzen oder „Abwanderung in die Schattenwirtschaft“.
Dass es „eine schwierige Situation in einzelnen Sektoren“ gebe, räumt auch die Putin-Vertraute Elvira Nabiullina ein, die Chefin der Zentralbank. Bisher nannte sie öffentlich nur die Öl-, Kohle- und Stahlindustrie. Doch russische Autofirmen kommen gegen die chinesische Konkurrenz nicht mehr an und haben Kurzarbeit angeordnet. Wegen des Sparkurses der Regierung wurden außerdem subventionierten Hypothekenkredite gestrichen. Das hat den Wohnungsbau und Immobilienmarkt schwer getroffen. Auch andere Wirtschaftszweige ächzen, sogar Teile der Rüstungsindustrie.
43 Milliarden Dollar Haushaltsdefizit
Für „Sicherheit und Verteidigung“ solle die Mehrwertsteuer angehoben werden, begründete das Finanzministerium. Allein die offiziell in den Haushalten seit 2022 nachvollziehbaren Ausgaben lassen schließen, dass Russland bisher schon mindestens 135 Milliarden Euro für den Ukraine-Überfall aufwenden musste.
Darin sind regionale Budgets, aus denen Sterbegeld für gefallene Soldaten gestemmt werden müssen, und in anderen Haushaltsposten getarnte Kriegsausgaben noch nicht drin. Auch nicht die Einnahmeausfälle durch die immer erbitterten ukrainischen Drohnenangriffe auf russische Ölanlagen, in denen das schwarze Gold als schwarzer Rauch aufsteigt. Ein Diesel- und Benzin-Exportverbot wurde bereits verhängt bis mindestens Jahresende. In vielen Regionen herrscht Nechwatka, ein enormes Sprit-Defizit.
Allein im laufenden Jahr erwartet Finanzminister Anton Siluanow 43 Milliarden Dollar Haushaltsdefizit – erstmals seit seinem Amtsantritt 2011 und nach vielen Jahren der Haushaltsüberschüsse.
Putin hatte seinem Volk noch voriges Jahr versprochen, bis 2030 die Steuern nicht anzutasten. Nun wird die Mehrwertsteuer erhöht und Ökonomen erwarten in russischen Medien schon bald ein weiteres Drehen an der Steuerschraube. Doch wenigstens seinen Staatsdienern, die dem Diktator das Volk vom Leibe halten, werden die Saläre um 7,6 Prozent erhöht zum 1. Oktober – auf Ebene der Russischen Föderation. Auf Regionalebene reicht es nur noch für 4,5 Prozent.
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