Radsport: Ohne Reue in Ruanda
Magdeleine Vallieres ist Weltmeisterin. Die Kanadierin hat am Ende eines kraftraubenden Radrennens noch Körner und düpiert die Favoritinnen.
Das Straßenrennen der Frauen in Ruandas Hauptstadt Kigali war eines der verrücktesten des Frauenradsports in den letzten Jahren. Denn keine einzige der großen Favoritinnen war nach langen und erschöpfenden 146,6 Kilometern in Reichweite der Medaillen. Völlig überraschend gewann die Kanadierin Magdeleine Vallieres vor der Neuseeländerin Liamh Fisher-Black und der Spanierin Mavi Garcia.
„Es war ein verrücktes Rennen. Lange Zeit war es ruhig. Als es dann so richtig losging, waren alle völlig erschöpft“, beschrieb die frühere Tour-de-France-Siegerin und Kapitänin des niederländischen Top-Teams, Demi Vollering, das Szenario. Sie wurde am Ende 7., einen Platz hinter der Rosenheimerin Antonia Niedermaier. Die andere große Favoritin, Pauline Ferrand-Prevot, Siegerin der diesjährigen Tour de France und lediglich 16. in Kigali, meinte nur zerknirscht: „Ich bin besonders enttäuscht für meine Teamkolleginnen, denn sie sind den ganzen Tag gefahren.“
Tatsächlich übernahm ihr französisches Team lange die Kontrolle über das Rennen. Nur einzelne Ausreißerinnen wurden weggelassen, allerdings an der ganz kurzen Leine. Erst als sich etwa 32 Kilometer vor dem Ziel eine siebenköpfige Gruppe mit den späteren Medaillengewinnerinnen aus dem Hauptfeld löste, kam plötzlich Dynamik auf. Es war ein guter Schachzug, an dem auch Niedermaier ihren Anteil hatte. Auch Teamkollegin Franziska Koch war in diesem Moment noch in Reichweite. Sie optierte aber fürs Kräftesparen.
„Ich habe gesehen, Antonia ist ja da und deswegen bin ich nicht gefolgt“, sagte sie hinterher. Es war eine Entscheidung, die sie dann im Ziel bereute. „Im Nachhinein bin ich natürlich ein bisschen enttäuscht, weil ich ja schon noch einen guten Punch hatte“, gab sie zu. Es reichte zu einem 12. Platz, über den sie sich vom Ergebnis her zwar freute, der ihr angesichts des Rennverlaufs aber auch ein bisschen mager vorkam.
Favoritinnen zauderten
Schuld daran war vor allem, dass die Favoritinnen hinter der Gruppe nicht mitspielten. Sie zauderten und zögerten. Sehr hart ging deshalb die Italienerin Elisa Longo Borghini mit ihren Rivalinnen und auch mit sich selbst ins Gericht. „Wir waren wirklich dumm. Alle haben sich nur gegenseitig angeguckt. Und alle dachten wahrscheinlich, dass wir von einem Moment auf den anderen wieder vorn dran wären. Aber die vorne waren die Mutigen. Sie haben den richtigen Zug gemacht, dann an sich geglaubt und es auch durchgezogen. Ich hingegen bin im Schachspiel derer, die eigentlich die großen Fahrerinnen sein sollten, gefangen gewesen“, meinte die zweimalige Siegerin des Giro d’Italia.
Ein paar Gespräche in der Mixed Zone später stellte sich heraus: Es war nicht nur pure Dummheit. Den Top-Favoritinnen fehlten einfach Kraft und Mut. „Ich hatte nicht mehr die Power wie bei der Tour und auf dem Kopfsteinpflaster von Kimihurura auch nicht die Kräfte, die ich noch bei Paris-Roubaix gehabt hatte“, gab mit Ferrand-Prevot die diesjährige Siegerin dieser beiden Rennen zu. Sie konstatierte auch: „Ich habe einen Angriff von Demi erwartet und sie von mir.“
„Sparsam mit Energie“
Die wiederum klagte: „Ich hatte immer wieder Probleme mit der Ernährung. Ich hatte auch ein bisschen Angst, dass ich irgendwann zu wenig Kraft habe. Deshalb bin ich sehr sparsam mit meiner Energie umgegangen.“ Deshalb entschloss sie sich zu einer eher zurückhaltenden Fahrweise. „Ich dachte nur: Warte, warte, warte. Wenn alle einen Pfeil abgefeuert haben, dann gibt es vielleicht einen Moment für mich. Denn diese Pfeile sind hier teuer. Wenn man ein paar Mal zu weit in den roten Bereich fährt, ist es schwer, sich zu erholen“, meinte sie.
Natürlich hätten die Favoritinnen angesichts ihrer beschränkten Mittel an diesem Tag auch ihren Teamkolleginnen den Freibrief zur Attacke ausstellen können. So aber wurde der Weg frei für eine Handvoll Außenseiterinnen, von denen die Kanadierin Vallieres sich als die Stärkste erwies.
„Die Mädels haben an mich geglaubt, also habe ich an mich geglaubt“, nannte sie als ziemlich simples Motivationsrezept. „Ich wusste auch, dass ich in guter Form bin, und sagte mir, ich wollte nichts bereuen.“ Das muss sie auch nicht, als eine von ganz wenigen an diesem verrückten WM-Tag in Ostafrika.
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