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Sich am Beach mal wieder richtig spüren. Jake Wright leitet in den frühen Morgen­stunden eine Meditation an Foto: Alicia Chanavat

Auswandern nach SpanienExpat non grata

Barcelona ist bei digitalen No­ma­d:in­nen besonders beliebt, gleichzeitig wird die Stimmung gegen sie feindseliger. Wer ist wirklich schuld an der Gentrifizierung?

Von Kathrin Boehme aus Barcelona

E s ist kurz vor sieben am Morgen und der Himmel über Barcelona verfärbt sich langsam rosa. Der Strand ist gefüllt mit Menschen, die nach dem perfekten Start in den Tag suchen. Laufgruppen joggen die Promenade entlang, Yogamatten werden neben den Felsen direkt an der Brandung ausgerollt, und am Horizont gleiten Silhouetten auf Surfboards übers Wasser.

Während langsam die Sonne aufgeht, sitzen im Sand einhundert Menschen und starten in eine geführte Meditation. „Lebe in der Gegenwart, das ist dein ganz persönlicher Moment“, sagt jemand auf Englisch. Die Teilnehmenden hören die Stimme des Coaches durch Bluetooth-Kopfhörer. Nach der Einheit umarmen sich die Mitglieder der Gruppe und springen ins Meer. „Wie könnte man den Tag besser beginnen“, sagt eine Französin zu ihrer Freundin aus Seattle, bevor sie in die Wellen eintaucht, „und das ist in Barcelona ein ganz normaler Mittwoch.“

Die Sehnsucht nach einem guten Leben lockt vor allem Menschen aus anderen Ländern an den morgendlichen Strand. Für viele bringt Barcelona alles mit, was es zu ihrem Glück braucht. Es gibt bis zu 3.000 Stunden im Jahr Sonne und das Meer direkt vor der Tür. Der gute Ruf hat sich herumgesprochen: Immer mehr Menschen ziehen in die Mittelmeerme­tro­pole. Vor allem die Gruppe der „reichen Zuwanderer:innen“ wächst dabei, also Menschen, die aus Ländern mit einem höheren Bruttoinlandsprodukt als Spanien stammen – Expats. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Lateinischen Ex (heraus) und Patria (Vaterland). Expats wandern wegen des Lebensgefühls aus und nicht, weil sie es müssen. In Barcelona hat sich die Gruppe dieser Zugezogenen in den vergangenen 25 Jahren vervierfacht. Der Zuwachs ist mit der Pandemie nochmals gestiegen, denn seitdem gibt es immer mehr digitale Nomad:innen, die für ihren Job nur einen Laptop und Internet benötigen.

Aber was macht es mit einer Stadt, wenn so viele Zugezogene dort nach einem schönen Leben suchen? Barcelona verändert sich wie viele andere europäische Metropolen rasant. Auch in Berlin oder London sorgen Globalisierung und Gentrifizierung nicht nur für Vielfalt, sondern auch für Konflikte. In Barcelona werden diese Spannungen besonders scharf ausgetragen – denn die Stadt ist klein und der Ansturm groß.

Joan Maria Soler lebt seit über 50 Jahren in Barcelona. Er engagiert sich in der lokalen Nachbarschaftsvereinigung des Stadtviertels Poblenou, die seit 1972 die Interessen der Be­woh­ne­r:in­nen vertritt. Soler, ein studierter Philosoph mit grauem Bart, setzt sich in seinem Verein gegen Umweltverschmutzung ein und demonstriert am Frauenkampftag.

Sein Viertel erkennt er nicht wieder. „Manchmal laufe ich durch die Straßen und weiß nicht, wo ich bin.“ Er spaziert langsam durch Poblenou, den Blick auf Co-Working-Cafés und internationale Restaurants gerichtet, wo in seiner Jugend noch traditionelle Bars und Nachbarschaftsläden lagen. Der starke urbane Wandel des Viertels berge das Risiko sozialer Verdrängung, heißt es von seinem Verein.

Poblenou war während des 20. Jahrhunderts noch eines der größten Industriegebiete Spaniens. Alte Fotos zeigen schmutzige Textilfabriken vor rauchverhangenem Himmel. An den Wohnhäusern blätterte die Fassade ab, Abwasser floss direkt an den Schotterwegen entlang. Statt eines Sandstrands gab es am Meer nur Felsen und heruntergekommene Baracken. Ans Schwimmen war gar nicht zu denken.

Wie ganz Barcelona hat sich auch Poblenou durch die Olympischen Spiele 1992 neu ausgerichtet, es entstand die heute so beliebte Promenade. Die zweite große Veränderung brachte ein Stadtumbau Anfang der 2000er Jahre. Poblenou wurde zum Zentrum von Barcelonas neuer Start-up-Szene. Große Firmen wie Amazon, Meta oder Google ließen sich hier nieder. Und mit den internationalen Unternehmen kamen die internationalen Arbeitskräfte.

Die katalanische Regierungsagentur Catalonia Trade & Investment unterstützt seit Jahren globale Tech-Firmen bei ihrer Niederlassung in der Stadt. Laut der Financial Times zählt Barcelona inzwischen zu den Top drei der europäischen Start-up-Städte. Möglich machen das einladene Unterstützungsprogramme. Die Stadt bietet Subventionen für Selbstständige, vereinfachte Visaverfahren für digitale No­ma­d:in­nen und Steuervorteile für Start-ups. Das macht das Leben von Grün­de­r:in­nen einfacher und Barcelona für Expats attraktiver.

„Dieses Viertel war meine Heimat, fühlt sich aber kaum noch so an“, sagt Jean Maria Soler Foto: Kathrin Böhme

Und auch bei der Integration will die Stadt helfen. Die Abteilung Barcelona International Welcome bietet Expats persönliche Unterstützung und Beratung an. „Willkommen, Talente“ heißt es auf der Website.

In Poblenou bestimmen heute moderne Bürogebäude und stylische Cafés das Stadtbild. Die kreative Un­ter­neh­mer:in­nen­szene hat übernommen. Joan Maria Soler schaut die gläsernen Bürotürme hinauf. Nur vereinzelt ragt dahinter noch ein verrosteter Schornstein in den Himmel. Das Viertel ist bei Expats wegen der vielen Arbeitsplätze beliebt, der Strand ist fußläufig zu erreichen.

Die Industrie war die Realität von Poblenou, heute ist das Viertel wie Science-Fiction

„Die Industrie war die Realität von Poblenou, heute ist das Viertel wie Science-Fiction“, merkt eine Anwohnerin an, „und all das ist in nur 50 Jahren passiert?“ Aus dem „katalanischen Manchester“ ist das „Brooklyn Barcelonas“ geworden, Magazine bezeichnen Po­ble­nou als „Barcelonas coolstes Stadtviertel“. Joan Maria Soler ist ganz anderer Meinung. Die Zuschreibungen seien bloß Marketing und sollen Investitionen anziehen. Von den Interessen der Be­woh­ne­r:in­nen sei das weit entfernt.

Er läuft entlang der Rambla de Po­ble­nou, der Flaniermeile des Viertels. „Hier war mal eine Metzgerei“, sagt Joan Maria Soler ruhig und deutet auf ein amerikanisches Restaurant, vor dem eine große Touristengruppe sitzt. „Daneben ein Eisenwarenladen, hier wurden Lampen verkauft, dort gab es Churros.“ Er zeigt auf ein Nagelstudio, ein libanesisches Restaurant, ein Café, das für „Good coffee and vibes“ wirbt.

Die Nachbarschaftsläden verschwinden aus Poblenou. „Wir finden hier keine lokalen Geschäfte mehr, sondern nur noch große Franchise-Ketten und Restaurants für Tourist:innen“, merkt Joan Maria Soler an.

Dass sich Barcelona sehr verändert hat, bemerken auch die Expats. Jake Wright hat die morgendliche Meditationsgruppe am Strand ins Leben gerufen. Vor vier Jahren ist er aus seiner Heimat Melbourne nach Barcelona gezogen. Als selbstständiger Osteopath und Gesundheitscoach möchte er sich für mehr Achtsamkeit in der Stadt einsetzen. Mit seinem Unternehmen Show Up organisiert er unter anderem spirituelle Retreats.

„Wir haben vor gut zwei Jahren zu sechst damit begonnen, jetzt kommen Woche für Woche meist 200 Menschen“, erzählt der 31-Jährige. Aktuell plant er, in Barcelona ein Saunazentrum zu errichten. Wie immer lädt Wright die anderen Teilnehmenden nach der Morgenmeditation in ein Café im Strandviertel ein. „Wir möchten Verbindung schaffen“, sagt er, den Kaffeebecher in der Hand und das Gesicht in der Sonne. Er trägt den Pullover seiner eigenen Marke, die zu Show Up dazu gehört: „Sag Menschen, dass du sie liebst“, steht auf Englisch auf der Rückseite.

Viele Expats sind dankbar für solche Veranstaltungen. Die meisten kommen alleine nach Barcelona und suchen Anschluss. Wer genau als Expat gilt, ist nicht offiziell definiert. Hört man sich um, ergibt sich ein Bild: Oft sind es junge Erwachsene zwischen 20 und 40 Jahren, die privilegiert aufgewachsen sind und einen hohen Bildungsabschluss haben. Viele Expats arbeiten als Software-Entwickler:innen, im Vertrieb, in der wissenschaftlichen Forschung oder sind Unter­neh­mer:in­nen. Ein Großteil ist für Firmen ihres Herkunftslandes tätig und verdient ein entsprechendes Gehalt.

Doch viele Expats kommen auch nur für die Stadt. Einige erzählen, dass sie monatelang nach einem Job in Barcelona gesucht hätten, nur um endlich an ihrem Sehnsuchtsort leben zu können. Sie geben sich teilweise mit niedrigeren Gehältern und Praktika zufrieden, Hauptsache, Sonne, Strand und Meer. Sie wollen die grauen Winter Nordeuropas hinter sich lassen, die Schnell­lebigkeit der Finanzmetropolen und die Langeweile vieler Kleinstädte. Barcelona verbindet für sie Urlaubsgefühl mit dem kulturellen Angebot einer Großstadt.

Mehrere Magazine wählten Barcelona 2025 zu den lebenswertesten Städten der Welt, bezeichneten es als „das neue New York“. Mit dem guten Ruf wächst die Zahl der internationalen Ein­woh­ne­r:in­nen stetig an. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung wurde nicht in Spanien geboren. Wie viele davon aus reicheren Ländern stammen, kann nur geschätzt werden. Laut offiziellen Zahlen sind es mehr als 86.000. Forschende vermuten das Doppelte, was 10 Prozent der Bevölkerung bedeuten würde. Wahrscheinlich sind es mehr, denn viele Expats kommen nur für wenige Monate und lassen sich gar nicht erst registrieren.

Währenddessen wächst der Widerstand der Einheimischen. Schon länger macht Barcelona mit tourismusfeindlichen Schlagzeilen auf sich aufmerksam. Im Jahr 2024 kamen fast 16 Millionen Be­su­che­r:in­nen – eine Zahl, die die Stadt mit ihren 1,7 Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen regelmäßig an ihre Belastungsgrenze bringt. Bilder von Einheimischen, die Tou­ris­t:in­nen mit Wasserpistolen angriffen, gingen um die Welt. Unübersehbar die vielen Sticker und Graffiti an den Hauswänden und Laternenpfählen, die „Tourists go home“ fordern. Immer öfter heißt es abgewandelt auch: „Expats go home“. Direkt gegenüber dem Café, in dem die Meditationsgruppe von Jake Wright ihren Kaffee trinkt, steht auf Englisch „Kein Willkommen, Ausländerschwein“ an einem Pfahl.

Das Graffito auf der anderen Straßenseite fällt auch der Gruppe auf. „Vor zwei Jahren kam mir die Stadt noch gastfreundlicher vor“, sagt jemand. „Ich habe auch das Gefühl, dass ich mich vor Einheimischen viel öfter dafür rechtfertigen muss, dass ich in Barcelona lebe“, stimmt eine zweite Person zu. Alle bemerken die zunehmenden Spannungen in der Stadt. Dabei bleibt es nicht nur bei Schriftzügen auf den Straßen.

Nachdem Jake Wright von der Meditationsgruppe der spanischen Zeitung El Periodico ein Interview über sein Unternehmen gegeben hatte, bekam er jede Menge wütende Kommentare. Er solle in sein Land zurückkehren und habe kein Recht, in Barcelona zu leben. Wright möchte aber nicht als jemand gesehen werden, der für Probleme sorgt. „Ich verstehe die Sorgen, es gibt viel Zuwanderung in Barcelona. Und natürlich trage ich dazu bei. Aber ich möchte die Kultur nicht spalten. Meine Veranstaltungen sind für alle gedacht, nicht nur für Expats.“ Es finden bereits Meditationen auf Spanisch statt, er arbeitet mit Einheimischen zusammen.

Ihren Unmut verbreiten die Einheimischen auf Häuserwänden und an Laternen­pfählen Foto: Marc Asensio Clupes/Zuma Pres/imago

Er deutet auf seinen Geschäftspartner neben sich, mit dem er das Saunazentrum eröffnen möchte. Enric Gabarro kommt aus einem Vorort Barcelonas und sei daher „das beste Beispiel für Verbindungen mit Einheimischen“. Auch er hat an diesem Morgen den Sonnenaufgang am Meer miterlebt und frühstückt nun gemeinsam mit der Gruppe, wie so oft. „Ich liebe diese Meditation am Strand“, sagt er.

Enric Gabarro deutet auf das ausländerfeindliche Graffito auf der gegenüberliegenden Straßenseite: „Es ist bezeichnend, dass diese Aussage dort auf Englisch und nicht auf Spanisch steht. Denn die Wut richtet sich nur auf reiche Expats, nicht auf alle Mi­grant:in­nen.“ Für Enric Gabarro ist Barcelona eigentlich eine offene und liberale Stadt. Diese Gastfreundschaft zeige sich aber nur gegenüber ärmeren Ein­wan­de­r:in­nen aus Südamerika oder arabischen Staaten. „Warum sind wir nur auf die Mi­gran­t:in­nen aus reichen Ländern wütend?“, fragt er sich. Wut auf Aus­län­de­r:in­nen sei schließlich generell fehl am Platz und die Auswirkungen von Migration müsse man insgesamt kontrollieren. Dass es einen Unterschied macht, ob jemand die Wahl hat, nach Barcelona zu ziehen oder nicht, kommt an dem Café-Tisch an diesem Tag nicht zur Sprache.

Wie in vielen Ländern weltweit wächst auch in Spanien der Rechtspopulismus, die Partei Vox sieht einkommensschwache Mi­gran­t:in­nen als „Belastung und Gefahr für die Sicherheit“. In Barcelona ist diese Art rassistischer Erzählungen weniger ausgeprägt als in anderen Landesteilen. Die Stadt gilt als eine der progressivsten in Spanien. Seit Jahren wird Barcelona von linken Kräften und Sozialisten regiert, Bürgerinitiativen setzen sich für soziale Gerechtigkeit ein. Es geht weniger um Migration und viel mehr um Geld.

Joan Maria Soler von der Nachbarschaftsvereinigung sitzt derweil in einer alten Bar an einer Straßenecke in Poblenou und bestellt einen Eiskaffee. Das Lokal wirkt noch fast so wie vor Jahrzehnten. Es gibt keine englische Speisekarte, hinter der Theke stapeln sich die Kästen mit dem einheimischen Bier Estrella-Damm.

Doch die Veränderung des Viertels ist allgegenwärtig. Direkt auf der anderen Straßenseite wird ein Geschäft umgebaut. Noch klebt Pappe an den Schaufenstern, aber der Schriftzug verrät, was es einmal werden soll: „Coffee – Plant Based“ steht an den Scheiben. Joan Maria Soler blickt auf das neue Lokal gegenüber. „Die Preise, die in diesen Cafés genommen werden, sind für uns Einheimische nicht normal.“ Wer einen solchen „Speciality-Coffee“ möchte, zahlt dafür fast das Doppelte des Preises in einer traditionellen Bar.

Joan Maria Soler schweigt lange. Dann sagt er: „Dieses Viertel ist meine Heimat, fühlt sich aber kaum noch so an.“ Dem Hass auf Expats will er sich aber nicht anschließen. Er betont: „Wir machen es uns zu einfach, wenn wir bestimmte Personengruppen beschuldigen. Es sind die dahinterliegenden Dynamiken, die für Probleme wie die viel zu hohen Mietpreise sorgen.“ Die Nachbarschaftsvereinigung kritisiere keine Individuen. „Die Wut ist vielmehr Spiegelbild eines latenten Unbehagens.“

Neben dem Kaffee wurde auch das Wohnen lange Zeit immer teurer. Die steigende Nachfrage in den beliebten Vierteln wie Poblenou, in denen ein Großteil der Expats lebt, hat die Preise in die Höhe getrieben. Kapitalinteressen von In­ves­to­r:in­nen verschärfen die Wohnungskrise. Denn Immobilienfonds kaufen zunehmend Wohnungen als Spekulationsobjekte, statt sie zu vermieten. „Es ist für uns absolut unmöglich geworden, hier in Poblenou noch eine Wohnung zu bezahlen“, sagt Joan Maria Soler. Seit März 2024 gilt nun in Katalonien in allen Regionen mit angespanntem Wohnungsmarkt ein Mietendeckel. Ein Jahr später waren die Mieten in Barcelona um 6,4 Prozent gesunken.

Bis das zu einer spürbaren Entlastung führt, dauert es aber noch, denn in den vergangenen zehn Jahren sind die Mieten in der Stadt um rund 70 Prozent gestiegen. Ein Quadratmeter in einer Mietwohnung kostet heute durchschnittlich 26 Euro, spanischer Rekord. Zum Vergleich: In Berlin sind es derzeit etwa 15 Euro. Die Wohnungsnot trifft vor allem die lokale Bevölkerung. Tausende An­woh­ne­r:in­nen zogen in den vergangenen Jahren wegen der hohen Preise von der Innenstadt in die Randregionen der Metropole. Zwangsräumungen gehören zum Alltag: Im ersten Quartal 2025 wurden in der Region Katalonien über 2.000 Haushalte verdrängt, weil sie die Miete nicht mehr zahlen konnten.

Teil des Problems ist auch, dass in Barcelona kaum neuer Wohnraum entsteht: Nirgendwo sonst in Spanien werden so wenige Neubauten errichtet. Dabei wächst die Nachfrage rasant.

Viele Expats, die Gehalt aus reicheren Ländern beziehen, können sich höhere Preise leisten. Andere rechtfertigen sich: „Ich verdiene mein Geld mit meinen Unternehmen in Spanien und mache mir genauso Sorgen über die Inflation und Wohnungskrise. Die Regierung sollte auf die Preistreiberei von In­ves­to­r:in­nen reagieren“, findet Jake Wright. Laut einer Studie beziehen 30 Prozent der Expats ein durchschnittliches spanisches Einkommen oder weniger.

Der Wissenschaftler Jose Mansilla fordert weniger Polarisierung zwischen „den Expats“ und „den Einheimischen“. Er lebt selbst im Stadtteil Poblenou und forscht zu urbaner Anthropologie an der Autonomen Universität Barcelona. Seine Wort sind klar: „Expats tragen keine Schuld daran, dass sich Barcelona verändert. Es ist die gesamte Mittelschicht, die die Unterschicht aus der Stadt verdrängt.“ Die Gentrifizierung Barcelonas habe bereits vor über 15 Jahren begonnen, und nicht erst in dem vergleichsweise kurzen Zeitraum, in dem die Zahl der Expats so angestiegen sei.

Angehörige der Mittelschicht verdienen in Spanien im Schnitt etwa 2.460 Euro netto im Monat, haben einen höheren Bildungsabschluss und ähnliche Konsumgewohnheiten. Ob Aus­län­de­r:in oder einheimisch, die Mittelschicht gehe in bestimmte Bars, die Menschen der Arbeiterklasse nicht besuchen, so Jose Mansilla. Sie kann sich die steigenden Mieten eher leisten. „Es ist sehr leicht, in eine ‚Expats oder Touristen go home‘-Rhetorik zu verfallen. Aber es wäre naiv und unangemessen, Expats die Schuld am Wandel Barcelonas zu geben“, erklärt Jose Mansilla. Im Gegenteil: Sie sollten als Verbündete betrachtet werden, denn auch sie kämpfen immer mehr mit den steigenden Mieten.

„Der Protest der Einheimischen ist gerechtfertigt und wir sollten ihn ernst nehmen. Aber wir müssen aufpassen, dass die Forderungen nicht in eine Fremdenfeindlichkeit von links übergreifen“, betont Anthropologin Fabiola Mancinelli, Professorin an der Universität Barcelona. Denn die Schuld an den bestehenden Spannungen liege nie bei einzelnen Menschen. „Wenn wir nur auf Mi­gran­t:in­nen schauen, lenken wir von den schwerwiegenderen Problemen ab.“

Die sozialistische Regierung hat bereits entschieden, bis 2028 alle touristischen Mietwohnungen in Barcelona abzuschaffen, um Wohnraum zu sichern. Schon jetzt werden dafür keine neuen Lizenzen mehr ausgestellt. Vergangenes Wochenende teilte die spanische Regierung mit, mehr als 53.000 illegale Ferienwohnungen von den Onlineplattformen streichen zu lassen. Ministerpräsident Pedro Sánchez kündigte an, sie bald dem regulären Wohnungsmarkt zuzuführen.

Seit dem Jahr 2018 müssen außerdem 30 Prozent aller Neubauten in Barcelona Sozialwohnungen sein. Fünf Jahre später wurden davon allerdings gerade einmal acht einzelne Wohnungen fertiggestellt.

Die linke Oppositionspartei Barcelona en Comú fordert stärkere Maßnahmen gegen die Wohnungskrise und schärfere Kontrollen: „Es braucht direkte Eingriffe in den Markt. Groß­be­sit­ze­r:in­nen müssen strenger besteuert werden und es müssen mehr Sozialwohnungen erworben werden, statt auf Neubau zu setzen.“

Ein positives Beispiel sei Amsterdam, wo der Immobilienkauf nur noch erlaubt ist, wenn Ei­gen­tü­me­r:in­nen auch einige Jahre darin wohnen. Oder Paris, wo 50 Prozent aller Neubauten in bestimmten Gebieten entstehen müssen. All das sollte auch für Barcelona gelten, so Barcelona en Comú.

Die Partei sieht die Zunahme von Expats in Barcelona kritisch und kritisiert die derzeitige Regierung: „Sie unternimmt nichts, um ein Gleichgewicht wiederherzustellen. Mehr noch, sie begrüßt die Ankunft der internationalen Ar­bei­te­r:in­nen und betrachtet sie als Quelle des Reichtums.“ Notwendig seien regulierte Mietpreise, ein Verbot der Saisonvermietung und wettbewerbsfähige Löhne.

Im Osten Meer, im Westen Berge, im Norden und Süden Flüsse: Barcelonas Fläche ist begrenzt

Im Unterschied zu vielen anderen europäischen Städten, in denen eine Gentrifizierung stattfindet, ist Barcelona ein Sonderfall. „Die Konsequenzen fallen hier deutlicher auf als in London oder Paris, weil die Stadt zum einen nicht besonders groß ist“, erklärt Fabiola Mancinelli. Barcelona ist eingekesselt: Im Osten liegt das Meer, im Westen sind die Berge, im Norden und Süden Flüsse. Der Platz kann nicht weiter ausgedehnt werden, was bestehende Spannungen nur verstärkt.

Zum anderen kämpft die spanische Region Katalonien seit Jahrzehnten um ihre Identität. Nur noch etwa 30 Prozent der Bevölkerung spricht regelmäßig Katalanisch. Einheimische sind stolz auf ihre Kultur. Und vermutlich ist der Widerstand gegenüber Aus­län­de­r:in­nen auch deswegen so groß: Es herrscht Sorge, dass die katalanische Identität mit der ansteigenden Zuwanderung komplett ausstirbt. Joan Maria Soler teilt diese Befürchtung. Er blickt auf das veränderte Stadtviertel um sich herum: „Wenn keine Regulationen kommen, wird die Identität von Poblenou verloren gehen.“

Auch vor dem Café kommt das Thema an diesem frühen Morgen auf. Eine Argentinierin, die an der Meditation teilgenommen hat, fragt noch: „Warum sollte ich Katalanisch lernen, wenn mich doch auch je­de:r auf Spanisch versteht?“ Diese Ansicht teilen viele Expats. Enric Gabarro widerspricht klar: „Wer hierherzieht, sollte Katalanisch lernen. Je­de:r trägt die Verantwortung für die eigene Integration. Und zu Barcelona gehören zwei Sprachen. Unsere Kultur darf nicht einfach verloren gehen.“

Immer wieder beklagen Einheimische, dass sich die privilegierten Aus­län­de­r:in­nen kaum integrieren. Das Klischee lautet: Viele Expats bleiben unter sich, sprechen nur Englisch und besuchen statt lokaler Geschäfte die internationalen Cafés, in denen es Matcha Latte gibt. Joan Maria Soler beunruhigt das: „Es entsteht einfach kaum Kontakt zwischen Expats und uns Einheimischen.“ Er unterscheide zwischen denen, die sich aktiv integrieren, und jenen, die nur ein paar Monate bleiben und in ihren internationalen Gruppen verharren.

„Viele dieser Expats gehen in ‚ihre‘ Cafés und Bars. Sie sprechen kein Spanisch, wir oft kein Englisch. Wie sollten wir uns annähern?“ Joan Maria Soler weist auf die vielen Vereine und Sportangebote in Barcelona hin. Raum zum Austausch sei vorhanden. Aber ohne gemeinsame Berührungspunkte entstünden schnell Stereotype.

In Gesprächen wird deutlich: Viele der Expats wollen genauso wenig ein Klischee sein, wollen sich integrieren. Wie für viele Aus­län­de­r:in­nen weltweit ist es meist einfacher, sich mit Menschen zu umgeben, die durch die gleichen Herausforderungen eines neuen Lebens gehen. „Eigentlich ist es traurig, dass man in Barcelona auch komplett auf Englisch auskommen kann“, sagt eine französische Expat dazu.

Er sehe, wie viele Expats sich um Integration bemühten, sagt Enric Gabarro. „Ich sehe aber auch, dass viele Einheimische diese Integration gar nicht erst wollen.“

Joan Maria Soler biegt in eine Nebenstraße der Rambla ein. In einem kleinen Gebäude hat eine Kooperative der Nachbarschaftsvereinigung ihren eigenen Laden eröffnet, in dem nachhaltige Produkte verkauft werden. In den Regalen liegt unverpacktes Obst und Gemüse, Milch aus Katalonien steht im Kühlschrank. Früher gab es viele solcher lokalen Läden, die dann mehr und mehr den großen Supermarktketten und Geschäften wichen. „Aber es gibt auch Widerstand gegen den Kommerz“, sagt Joan Maria Soler und weist auf die gefüllten Regale. „Nicht jeder Wandel ist schlecht.“ Auch manche der Expats kaufen lieber im kleinen Nachbarschaftsladen als im großen Supermarkt. Schließlich sind die ein originales Stück Barcelona.

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11 Kommentare

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  • Ein äussert guter und lesenswerter Artikel!

    Ich möchte gerne zwei Dinge anmerken:

    Differenzieren Sie bitte den Begriff "Expats".



    Ich bin vor 14 Jahren freiwillig auf eigene Kosten in die Schweiz ausgewandert und fühle mich nicht als Expat. Ich bin ein Zugewanderter.

    Die übichen "Expats" werden von Firmen auf Zeit entsandt, verdienen im Ausland für kurze Zeit ein Vermögen und haben nie vor, dort sesshaft zu werden.



    Sie vergiften den Mietspiegel, weil ihnen die international tätigen Unternehmen allas zahlen: Miete, Kita, International School

    Ich würde mich freuen, wenn der Gender ":" bald ad acta gelegt werden würde.



    Er macht jeden noch so guten Artikel unleslicher.

    Unter dem Strich immer noch ein famoser Artikel, der einem aufzeigt, wie das aktuelle Befinden in Barcelona ist

  • Ein sehr gut in der Breite aufbereiteter Artikel zu diesem Thema.



    AirBnb ist eben nur ein wichtiges Teil dieses vielschichtigen Puzzeles.



    In den letzten 12 Monaten verstärkt sich deutlich zudem die Einwanderung von Personen aus den USA.



    In Portugal sind es bereits 21.000 Personen, in Spanien schon deutlich über 40.000 Personen. Die Metropolen und Küstenorte



    sind durch ihre ansprechende Infrastruktur erste Wahl.

    Die erste grosse Welle begann aus meiner Sicht in der Finanzkrise,



    später goldenes Visa und Steuererleichterungen für digitale



    Expats.



    Die nicht angemeldeten Kandidaten sind in ganz Spanien ein Problem, in erheblichen Umgfang ebenfalls ältere Personen.



    Heute US-Bürger für die 2000,-- $ für eine Wohnung ein Schnäppchen ist, die werden gezielt von Influencer rechtzeitig



    "abgeholt" und durch den spanischen Behördendschungel gelotst,



    Bespassung und Betreuung teilweise inclusive.

    Junge Leute sind vielfach raus, mit einem selbst katalanischen Durchschnittslohn ist bestenfalls ein WG-Zimmer drin.

  • Der Witz ist, dass die Expats es inzwischen ja auch den Touristen schwermachen.

    Früher bekam man im Winter die Ferienwohnungen geradezu nachgeschmissen. Bis auf ein paar Rentner fuhgr kaum jemand im November oder Februar nach Spanien. Telarbeit gab es kaum, und selbst wenn: die Romaninggebühren machten ja jedes Telefonat teuer.

    Seitdem Home Office von überall auf der Welt möglich ist und ein Telefonat nicht teurer ist als im Inland, werden nun zunehmend Ferienwohnungen in Andalusien an Langzeitmieter vermietet, nach dem Motto "Verbringe den Winter im Süden - Wohnung hat geräumiges Arbeitszimmer; ideal für längere Aufenthalte". Das lässt die Preise mancherorts drastisch steigen, und zwar konstant- - denn wenn man jetzt schon im Winter ordentlich Reibach machen kann, dann erst recht im Sommer. "Normale" Touristen werden per Preis verdrängt. - und zwar nicht nur die ausländischen Touristen.

    In diesem Sommer z.B. war es in Spanien wochenlang ein Thema, dass sich inzwischen viele Spanier keinen Sommerurlaub mehr im eigenen Land leisten können. In Zeitungen wurde vorgerechnet, dass ein Urlaub - samt Flug und Hotel - auf Bali billiger sei als einer in der Provinz Málaga.

  • Das in Barcelona in den letzten fünf Jahren nur acht Wohnungen, also ein Haus neu gebaut wurden erscheint mir doch extrem wenig.



    Wenn das stimmt, gibt es wohl noch ein weiteres Problem.

    • @Sonntagssegler:

      Acht Sozialwohnungen, nicht acht Wohnungen.

    • @Sonntagssegler:

      Es dürften 8 Sozialwohnungen gemeint sein - was natürlich immer noch extremst wenig ist und ich keine Ahnung habe, wie das mit der offenbar vorgeschriebenen Quote vereinbar ist.

  • Ja, auch ohne Ausländer gibt es gewisse Dynamiken, wie z.B. mit der genannten Mittelschicht. Oder z.B. Berlin insbesondere zu Ende des 19. Jahrhunderts, der ziemlich massive Bevölkerungszuwachs war hauptsächlich durch die sogenannte Landflucht.

    Und bei solchen Themen scheint schon praktisch, wenn es etwas Planung gibt. Z.B. bevor der Immobilienmarkt für alle Briefkastenfirmen der Welt geöffnet wurde, für deren Umsatz und Recht man arbeiten soll, da hätte man erstmal schauen können, eigene Bürger/innen auf die "Property-Ladder" zu bringen, wo sich dann wohl kaum jemand beschwert hätte, dass zur Rente seine Wohnung in Innenstadt zur Nutzung von Zugezogenen verkaufen/vermieten kann, um sich damit Häusle auf Land zu leisten, u.ä.

  • Super Beitrag: Problematik gut recherchiert und fast allseitig beleuchtet - nur vermisse ich ein wichtiges Element:



    der beschriebene Umstand ist ja einer weissen u. vor allem männlichen Völkerwanderung zuzuordnen. Zugänge aus Asien, Afrika, Lateinamerika etc. landen in Aufnaheunterkünften oder schlimmstenfalls unter Brücken. Die Gründe dafür: fehlende ökonomische Potenz und vor allem komplett andere Aufenthaltsmotive. EinE sog. Expat konnte eine Auswahl treffen, eine migrantische Person nicht. Diese reist im klassischen Fall Angehörigen hinterher ohne Möglichkeit zur Umkehr. Auf den hiesigen Märkten treffen sie auf Konkurrenten um einen Arbeitsplatz. Auf dem Wohnungsmarkt wird nach Vorlage des Passes entschieden.

    Ich lebe seit 40 Jahren in Donostia/Euskadi, wo die gleiche Problematik sichtbar ist: Preise für Wohnraum unerschwinglich und die reichhaltige bask. Kultur wird immer mehr enteignet und zur touristischen Attraktion entwertet. Unsere linken Kneipen sind leider immer noch kein internationalistisches Terrain. R

    • @Immer dieselben:

      Speziell in Spanien sind speziell die Lateinamerikaner größtenteils in Arbeit - schon, weil sie keine Sprachbarriere zu überwinden haben.

      Im übrigen sind Lateinamerikaner auch nicht alle arm - ganz im Gegenteil haben mexikanische, argentinische und chilenische Millionäre z.B. in Madrid das Reichenviertel Barrio de Salamanca aufgekauft, und bekanntlich lebt z.B. die Kolumbianerin Shakira schon lange in Barcelona.

  • "Eigentlich ist es traurig, dass man in Barcelona auch komplett auf Englisch auskommen kann“

    Das ist Grundvoraussetzung um Menschen aus aller Welt anzulocken. Ich wäre nie nach Deutschland gekommen, wenn ich nicht gewusst hätte das man in Berlin mit Englisch gut durch den Tag kommt. Deutsch lernt man halt nicht von heute auf morgen so schnell.

    Es ist auch stets derselbe Prozess, ob Kapstadt, Berlin oder jetzt Barcelona, sobald eine Stadt international einen gewissen Ruf hat und die Menschen aus dem Ausland anzieht führt das zu einem Wandel. Den positiven Auswirkungen wie wirtschaftlicher Aufschwung u.a durch Unternehemensansiedlungen folgen dann die Schattenseiten in Form des Verdrängungswettbewerbs.

    Dann entstehen halt die unterschiedlichen Auffassungen zwischen den Bewahrern und den Modernisieren, aber zu guter letzt findet jeder seinen Platz.

    Musterbeispiel hierfür ist Amsterdam, welches diesen Prozess schon vor mehreren Jahrzehnten durchlebt hat.

    Davon abgesehen wären Metropolen wie New York oder London heute nicht das was sie sind ohne eine vergleichbare Entwicklung. Nur im Gegensatz zu den oben genannten Städten, nahm diese schon vor weit über 100 Jahren ihren Anfang.

    • @Sam Spade:

      Das Problem speziell in Spanien ist, dass die Englischkenntnisse der durchschnittlichen Spanier erstaunlich schlecht sind. Das gilt auch für Regionen wie die Costa del Sol, wo es seit 60 Jahren Massentourismus gibt.

      Gleichzeitig kommt ein Gutteil der Einwanderer in Spanien insgesamt aus Lateinamerika, hat also gar keine Sprachbarriere zu überwinden; und auch die in den meisten Regionen zahlenmäßig größte Migrantengruppe aus einem einzelnen Land, nämlich die Rumänen, hat es nicht so schwer mit der Sprache.

      Noch spezieller in Barcelona bzw. Katalonien: Katalanisch spricht nun wirklich so gut wie kein Ausländer. Selbst wenn alle Expats fließend Spanisch könnten, gäbe es dann in Barcelona und umzu wieder Leute, die sich beklagten, dass die ganzen Zuzügler ja "nur Spanisch sprechen" und man sich in Katalonien gar nicht mehr wie in Katalonien fühle...