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Angriff auf das UmweltbundesamtGiftige Forderungen für mehr Pestizide

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Das Vetorecht des Umweltbundesamts bei der Pestizidzulassung muss bleiben. Pestizide schaden der Natur, und Deutschland hat genug erlaubte Wirkstoffe.

Das Vetorecht des Umweltbundesamts muss erhalten bleiben, damit von oben notfalls eingegriffen werden kann Foto: Florian Gaertner/photothek

A grarlobby und Chemieindustrie kämpfen derzeit hinter den Kulissen in Berlin dafür, dass mehr Pestizide erlaubt werden – sogar dann, wenn sie die Umwelt schädigen. Nichts anderes verbirgt sich hinter den Forderungen von Branchenverbänden, das Vetorecht des Umweltbundesamts (UBA) bei der Zulassung sogenannter Pflanzenschutzmittel zu streichen. Bundesagrarminister Alois Rainer (CSU) und Umweltressortchef Carsten Schneider (SPD) dürfen diesem unverantwortlichen Ansinnen nicht nachgeben.

Erstens stimmt es nicht, dass Bauern in Deutschland zu wenige Pestizide zur Verfügung hätten. Hierzulande waren 2024 laut Umweltbundesamt sogar mehr Wirkstoffe regulär zugelassen als etwa in den Niederlanden oder Polen. Es gibt hier also keinen Wettbewerbsnachteil für deutsche Landwirte – trotz anderer Behauptungen.

Zweitens weist das Umweltbundesamt zu Recht darauf hin, dass die Auswirkungen von Pestiziden auf die Natur vernachlässigt werden. Die Risiken für Amphibien und Reptilien zum Beispiel würden gar nicht erst bewertet für die Zulassung. Untersuchungen haben aber laut UBA gezeigt, dass Frösche durch Übersprühen mit den üblichen Pestizidmengen direkt sterben können. Daher sei es wahrscheinlich, dass die Landwirtschaft derzeit stark zum Rückgang der Amphibien in der Agrarlandschaft beiträgt.

Den Preis zahlt die Umwelt

Auch Insekten, die übersprühtes Pflanzenmaterial fressen, sind der Behörde zufolge nicht Teil der Bewertung. Dasselbe gilt für den Verlust von Ackerwildkräutern, die zahlreichen Insekten und Wirbeltieren als Futter und Lebensraum dienen. Kein Wunder, dass nach UBA-Angaben beispielsweise der Bestand an Feldlerchen und an Rebhühnern drastisch zurückgegangen ist.

Diese Lücken in der Pestizidgesetzgebung sind ein Skandal. Das UBA versucht wenigstens, sie zu schließen, indem es das Beste aus dem defizitären Recht herausholt. Wenn ausgerechnet diese Behörde jetzt geschwächt wird, zahlt am Ende die Natur den Preis.

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik und die Lebensmittelindustrie. Journalistenpreis "Faire Milch" 2024 des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter. 2018, 2017 und 2014 gewann er den Preis "Grüne Reportage" des Verbands Deutscher Agrarjournalisten. 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis (Essay "Mein Krieg mit der Waffe"), 2013 für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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15 Kommentare

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  • Gesunder Humus ist ein eigenes Ökosystem, das einen vielfältigen Lebensraum mit einer Reihe von Abwehrkräften..auch gegen "Schädlinge" aufweist.



    Die meisten Pestizide wären also verzichtbar, wenn man die Mutter-Böden nicht durch eben jene Pestizide zu toten Sandkrusten degradieren würde.

    Die konventionellen Bauern befinden sich derzeit in einer Abhängigkeit von Agrarchemiefirmen (durchaus vergleichbar mit den Konsumenten harter Drogen von ihren Dealern).

    Zumal die Gewinne aus dieser extrem Umweltzerstörenden Land- Bewirtschaftung zum größten Teil auch nur bei besagten Firmen landen.

    Liebe Bauern..es gibt Alternativen.!!

    Und so lasst uns sprühen an jede Wand: " neue (Bio) Bauern braucht das Land"

    • @Wunderwelt:

      Sie haben vollkommen Recht. Naturbelassene Böden, erganzt und gestärkt mit artenreichen Insektenpopulationen und Pflanzenbewuchs, welcher Insekten über die Jahreszeiten bzw. Blühzeiten abwechsende und ausreichende Nahrungsquellen bieten, bedarf keinerlei Spritzmittel.

      Bei reinen Weizen-, Kartoffel- oder Sonstwasfeldern, also Landwirtschaft, bieten die Anbauprodukte häufig für spezifische "Schädlinge" (z.B Kartoffelkäfer, Pilze beim Weinanbau usw.) so optimale Vermehrungsbedingungen, dass daraus massive Pflanzenschäden (oberhalb des Bodens, Blatt- oder Fruchtfraß etc.) erfolgen, und mir gerade die Phantasie fehlt, wie hier ein gesunder Boden alleine signifikant hilfreich sein könnte?

      Die Variante eines vertretbar ergänzender Feldanbaus innerhalb einer artenreichen Wiese usw. wird sicherlich keine Pestizide benötigen. Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie ein eingemischter Weizenanbau und insbesondere deren Ernte (Halmepicken?) ablaufen könnte, geschweige den Flächenbedarf für benötigte Erntemengen....



      ... bei besagten Firmen landen... nun, deren Börsenkurse und Dividendenzahlungen gehören zu den Langfristig-Looser-Investments....

  • Schwieriges Thema, da sollte man mit Pauschalisierungen bzw. Idealisierungen vorsichtiger umgehen.



    Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung (immer mehr Staaten sind auf Importe angewiesen), ist eine "optimierte Landwirtschaft" notwendig. Mit Dreifelderwirtschaft, kleinflächiger Anbauvielfalt, sogar der Bioanbau erfordert "Mittelchen" bzw. profitiert von Spritznachbarschaft usw.



    Ohne "industriellen Anbau", -> ertragsoptimierte Monokulturen, sind z.B. die weltweit benötigen Exportmengen nicht erzeugbar. Das erfordert Pflanzenschutz ...



    Pflanzenschutz schädigt die Umwelt, ist das nicht deren Anwendungszweck, Schädlingen die Umweltgrundlage zu entziehen?



    Ein "gutes" Schutzmittel wirkt selektiv und baut sich nach Einsatz möglichst schnell schadlos ab. Sicherlich gibt es noch Substanzen, die weit von diesem Ideal entfernt sind, durch bessere ersetzt und dann verboten werden müssen.



    Wenn neue Wirkstoffe selektiver und allg. besser Umweltverträglich sind, scheint mit das Statement : wollen wir nicht, wir haben eh zu viele Mittel, etwas subintelligent zu sein...

    • @ton.reg:

      Vielleicht die Innovation nicht immer nur chemisch angehen (sage ausgerechnet ich als Chemieingenieur) ? Über Kamerasysteme kann längst der lokale Bedarf für Dünger und wenn es sein muss auch Pestizide ermittelt werden, damit wäre schon mal die "viel hilft viel"-Mentalität am Ende. Entsprechend gibt es mechanisches Unkrautjäten, und auch die Möglichkeit Mischkulturen maschinell zu bearbeiten. Ja, der Investitionsaufwand ist enorm. Fragt sich eben, wie viel uns unsere Lebensgrundlage wert ist.

  • Die Natur zahlt keinen Preis. Es sind die Menschen die den Preis für diese kurzsichtige Politik bezahlen werden. Denn sie werden leiden durch die Zerstörung der Lebensgrundlagen. Die Natur wird sich ohne Menschen erholen.

  • Treibende Kraft ist doch hier mal wieder ganz offensichtlich die strategische Verknüpfung von Pestiziden und darauf angepasstem Saatgut. Im Grunde wäre es notwendig, entsprechend aufgestellte Konzerne zu zerschlagen, weil diese Kombination eine gefährliche Marktmachtkonzentration darstellt.

    Oder in einem ersten Schritt eine Vereinfachung der Sortenfreigabe um kleinere Marktteilnehmer überhaupt wieder zu ermöglichen - bekannter Weise ist mit der aktuellen Novelle der EU Saatgutverordnung eher das Gegenteil in Arbeit. Vielfalt ist der Schlüssel, nicht Gift.

    • @Garak:

      Was konkret findest Du an er Zulassung zB in D denn unangemessen?

      • @Brigitta Blume:

        Sortenregistrierungen sind bürokratisch und teuer und von kleinen Saatgutproduzenten praktisch nicht zu leisten, besonders wenn es um alte Sorten geht. Der Aufwand ist tatsächlich bei nur sehr wenigen Gattungen gerechtfertigt, z.B. bei Kürbisgewächsen die giftige Bitterstoffe enthalten können.

        Als Nebeneffekt kommt es dann zu bizarren Kennzeichnungspflichten die schlicht falsch sind - egal was drauf steht, Dahlien sind selbstverständlich zum Verzehr geeignet.

  • Man reibt sich verwundert die Augen; wie kann es sein, dass die Agrarverbände ihre Bauern so dreist belügen können. Der Erhalt der Biodiversität ist lebensnotwendig für die Landwirtschaft - Amphibien und Insekten spielen auch in Agrar- Ökosystemen eine Schlüsselrolle. Ich vermute, dass das auch die Lobbyisten wissen und sich dennoch lieber für eine Steigerung kurzfristiger Profite einsetzen. Anders ist das alles kaum noch zu erklären. Allein beim Moorfrosch sind die Bestände (nicht nur wegen der Dürre, sondern auch wegen einer unverträglich intensiven Landwirtschaft; auch in Schutzgebieten) um 90% eingebrochen.

  • Da sieht man, was passiert, wenn die CDU an der Macht ist und Ihre Industrie- und Bauern-Klientel wieder Morgenluft schnuppern kann. Kurzfristiges Denken und einzig interessengeleitete Umweltpolitik, die man als solche dann kaum noch so bezeichnen mag.

  • Wie soll es für Menschen mit wenig Geld bezahlbar bleiben?



    Wenn es nach mir alleine ginge, könnte man auf Biozide völlig verzichten. Das kann ich aber nur sagen, weil ich mir Biogemüse und Bioobst- und Getreide leisten kann. Wer aber jeden Cent umdrehen muss, der greift nach Discounterware, denn die Produktion von Bioware ist deutlich aufwändiger und deshalb teurer.



    Es ist also leicht mit genug Einkommen auf dem hohen Ross zu sitzen und Biozide einschränken zu wollen.

    • @Hans Dampf:

      Biolebensmittel sind sowohl nahrhafter wie weniger mit gesundheitsschädlichen Rückständen belastet.

      8% der Ackerfläche werden für Treibstoffe umgewidmet. Ca. 45% dienen der Erzeugung von Tierfutter.

      Insofern greifen weder die Argumente der sog. *Versorgungssicherheit* noch der Kosten für Lebensmittel, denn die zahlt die Allgemeinheit an anderer Stelle, z.B. in Form höherer Krankenkassenbeiträge.

      Aber natürlich ist etwas dran an ihrem Argument..da wäre dann eben die Politik gefragt..nur eben nicht die der csU..

      Manches wird einem ja erst im Nachhinein klar..aber Hr Özdemir war wohl ein wahrer Segen gemessen an dem Herrn von der csU..

    • @Hans Dampf:

      Ja, da gebe ich Ihnen Recht. Man könnte z.B. die Verbrauchersteuer bei Bio-Lebensmitteln senken oder gar ganz entfernen oder Bio-Bauern stärker subventionieren.

      • @Odysseus L:

        " Bio-Bauern stärker subventionieren" , schon heute sind ca. 80% des Einkommens der Bio-Betriebe Subventionen, trotzdem stagniert Bio auf einem sehr niedrigen Niveau (+ - 10%).

  • Wieder mal falsch, Deutschland hat nicht genug erlaubte Pestizide sondern zu viele.