Neuer Verhaltenskodex der AfD: Strategischer Pragmatismus
Die AfD will künftig netter und weniger aggressiv wirken. Das bedeutet keinen Sinneswandel, sondern ist getrieben von der Angst vor einem Verbot.

D ie AfD streitet mal wieder, derzeit jedoch heftiger und offener als zuletzt: Die Parteispitze versucht mit einer Inszenierung von Selbstverharmlosung und eines neuen Verhaltenskodex politisch anschlussfähiger zu werden und gleichzeitig neue Wählerpotenziale zu erschließen – Gruppen, die man nicht allein durch das herkömmliche Gepöbel im Bundestag, rassistische Widerwärtigkeiten oder geschichtsvergessene Tabubrüche ansprechen kann. Zudem will man dem Verfassungsschutz weniger Material für ein mögliches Parteiverbotsverfahren liefern.
Deswegen hat sich die AfD einen neuen Verhaltenskodex zur Mäßigung auferlegt und aus einem Positionspapier den rechtsextremen Kampfbegriff „Remigration“ gestrichen. Dass es sich lediglich um eine strategische Abgrenzung handelt, ist offensichtlich: Vor nur wenigen Monaten hatte Parteichefin Alice Weidel den Kampfbegriff noch selbst von der Parteitagsbühne gerufen und sich „Remigration“ ins Wahlprogramm geschrieben. Das war auch ein bewusster Kotau vor dem Kopf der völkischen Strömung, Björn Höcke.
Dass die Partei den Begriff nun aus einem Positionspapier gestrichen hat, hat innerhalb der völkischen Strömung wiederum für Empörung gesorgt: Es gibt Warnungen vor einer „Merkelisierung“ und Solidaritätsbekundungen an den Rechtsextremen Martin Sellner. Dass eine offensichtliche strategische Distanzierung schon innerhalb der radikalen Teile der Partei für Schockwellen sorgt, ist dabei äußerst entlarvend.
Der Streit zeigt einmal mehr: Wer sich innerhalb der AfD von völkischer Ideologie und Sellners „Remigration“ distanziert, kassiert einen Shitstorm, wie jüngst auch Maximilian Krah bewiesen hat – obwohl er in seinem Buch kürzlich selbst noch ähnliche Inhalte vertrat. Nun setzt er sich – zugespitzt gesagt – für eine Ghettoisierung von Deutschen mit Migrationshintergrund statt „Remigration“ ein, weil das eher im Einklang mit unserem Rechtsstaat stünde.

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Sein Sinneswandel passiert dabei wohlgemerkt nicht aus inhaltlicher Überzeugung, sondern auch hier: aus Angst vor einem Verbot und strategischen Erwägungen. Das sagt sogar Krah selbst: Er nehme nur den modernen und liberalen Nationalstaat in seinem Rechtspositivismus ernst. Es ist strategischer Pragmatismus. Krah sagt: „Dieser Staat ist, wie er ist. Er passt nicht zu dem, was unserer politischen Überzeugung entspricht, aber wir werden mit ihm auskommen müssen … Wir werden ihn auch nicht absehbar austauschen können.“ Letzteres sehen bestimmte Teile der AfD offensichtlich anders.
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