Versorgung von trans* Männern: Ein Mann, eine Gebärmutter – und keine Arztpraxis
Für viele trans* Männer ist der Besuch bei Gynäkolog*innen eine Zumutung – oder unmöglich. Doch es gibt Ausnahmen – und sie machen Hoffnung.

Rauf auf den Stuhl, Beine auf die Stützen. Halb nackt und fröstelnd hofft man auf eine einfühlsame Behandlung. „Das Becken noch ein kleines Stück nach vorne, bitte.“ Was für cis Frauen schon unangenehm ist, ist für trans* Personen oft noch belastender.
Der 20-jährige trans* Mann Nathan hat in zwei Wochen seinen ersten Vorsorgetermin bei einer Gynäkologin, schreibt er auf Anfrage. Der Student aus Chemnitz erwartet die Untersuchung mit Nervosität – aus Sorge vor unsensibler Sprache, fehlendem Wissen zu Testosteron und mangelndem Verständnis für Geschlechtsdysphorie.
Menschen mit Geschlechtsdysphorie leiden, weil ihre Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Psychotherapeut Alexander Röbisch-Naß mit Arbeitsschwerpunkt trans* Personen erklärt, viele von ihnen hätten Probleme, nackt vor dem Spiegel zu stehen oder zu duschen – eine intime Untersuchung werde so zur großen Belastung. Den Körper zu ignorieren, mildere die Dysphorie. Deshalb meiden viele Arztbesuche.
Niklas ging es ähnlich. Der junge trans* Mann leistet in Chemnitz seinen Bundesfreiwilligendienst. Heute geht er regelmäßig zur Vorsorge. Auch der Hormonersatztherapie unterzieht er sich in einer gynäkologischen Praxis.
Allerdings sind diese Vorsorgeuntersuchungen keine Pflicht bei der Hormonersatztherapie, obwohl durch die Vergabe das Krebsrisiko steigt. Zu Beginn verzichtete Niklas auf die Untersuchungen, ließ sich nur Testosteron verschreiben. Seit für ihn feststeht, dass er seine Gebärmutter behalten wird, lässt er sie untersuchen. „Und wenn ich jetzt nicht aktiv nach der Unterleibsuntersuchung fragen würde, würde meine Gynäkologin es auch nicht machen“, beschreibt er.
Ein Mann mit Gebärmutter? Seine Ärztin frage ihn immer wieder, wann er weitere Operationen machen werde. Unter Druck habe er dann erklärt: „Ich werde keine weiteren fünf Operationen machen, meine Transition ist abgeschlossen.“
Expert*innen für eigene Situation
Niklas ist trotz des „veralteten Bildes“ seiner Gynäkologin zufrieden, da sie nicht trans* feindlich sei. Allerdings fehle ihr die nötige Expertise. Die zu niedrige Anfangsdosis seines Testosterongels passte Niklas nach Erhalt seiner Blutwerte selbst an, da es sonst zu Nebenwirkungen kommt.
Betroffene müssen häufig Expert*innen für ihre eigene Situation werden. Es fehlt an Fachwissen und auch an sensiblen Ärzt*innen. Was das in der Praxis bedeutet, erleben trans* Menschen oft schon beim Versuch, einen Arzttermin zu vereinbaren. Nach der Nennung von Namen und Pronomen folgt nicht selten irritiertes Nachfragen, gefolgt von einer Absage – man behandle nur Frauen, wegen der Krankenkassen, so die Schilderung einiger Betroffener.
Psychotherapeut Röbisch-Naß betont, dass es an der Bereitschaft mangle, sich mit trans* Patient*innen zu beschäftigen. „Fachliche Unsicherheiten werden oftmals weggeschoben und auf externe Themen verlagert, die nichts mit der Fachperson zu tun haben.“ So hören trans* Personen immer wieder, dass es angeblich nicht möglich sei, die Behandlungen abzurechnen, da Gynäkolog*innen nur Personen mit einem weiblichen Geschlechtseintrag behandeln dürfen.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen stellt auf Anfrage klar: Für die Abrechnung sei maßgeblich, welche Geschlechtsorgane vorlägen, nicht, welche Eintragungen gemacht wurden.
Den Mythos, womöglich auf den Behandlungskosten sitzen zu bleiben, kennt auch die Leipziger Gynäkologin Susan Wolf. Das Problem sei neben fehlendem Wissen vor allem, dass finanzielle Anreize für den höheren Behandlungsaufwand fehlen.
Mehr noch: „Meine Kolleginnen sind da alle wenig oder gar nicht aufgeschlossen. Sie nehmen auch keine neuen Patientinnen an, schon gar nicht dann, wenn sie erahnen, dass sie vielleicht ein bisschen anders sein könnten, als sie es gewohnt sind“, sagt die Ärztin.
Expertise nur durch Weiterbildungen
Von Susan Wolfs rund 1.000 Patient*innen pro Quartal behandelt sie etwa 5 trans* Männer und Frauen sowie 10 bis 15 Personen mit diversem Geschlechtseintrag. „Wenn sie mich nicht hätten, hätten sie ja niemanden“, sagt die 50-Jährige.
Hinweise in der Praxis sind gegendert, der Ansprachewunsch wird abgefragt. „Manche mit einem Vornamen, manche mit Herr, Frau oder eben gar nicht. Da sind sie schon so dankbar, da merke ich erst mal, das ist nicht ganz selbstverständlich“, erklärt Wolf.
Die inklusive Praxis stößt auf gesetzliche Hürden: „Frauenärztin“ steht auf der Website, was Personen wie Niklas oder Nathan ausschließt. Die geschützte Bezeichnung lässt nur die Alternative „Gynäkologie und Geburtshilfe“ zu – doch Wolf bietet keine Geburtshilfe an.
Wolf hat sich ihre Expertise zur Behandlung von trans* Menschen über Jahre durch Weiterbildungen, Seminare und das Studium anderer Medikationen angeeignet.
Hormontherapien zu verschreiben, sei leicht: „Es ist auch nichts anderes, als die Pille zu verschreiben. Natürlich in einer gewissen Konzentration, aber es ist nicht kompliziert“, sagt sie. Die Sorge vor juristischen Konsequenzen bestehe jedoch, da die Wirkung der Hormone nicht vollumfänglich untersucht worden sei.
Dies kann im Zweifel bedeuten, dass Ärzt*innen verklagt werden können. Wolf könnte sich vorstellen, dass Kolleg*innen aus dieser Furcht keine Hormone verschreiben.
Wie sich Susan Wolf durch ihr Medizinstudium auf die Behandlung von trans* Personen vorbereitet gefühlt hat? Sie lacht: „Gar nicht. Also null.“
Wolfs Medizinstudium liegt 30 Jahre zurück – doch auch die neue Generation fühlt sich nicht adäquat ausgebildet. „Durchs Studium? Null“, sagt Susanna, die seit sieben Semestern in Leipzig Medizin studiert. Selbst in der Endokrinologie, der Lehre der Hormone, sei Trans*gesundheit kein Thema.
Erhebliche Lücken in der medizinischen Ausbildung
Auch das Zwischenmenschliche, also wie man sensibel mit trans* Personen umgehen könne, stehe nicht auf dem Lehrplan, fügt ihre Kommilitonin Katherina hinzu. Die beiden engagieren sich an der Uni bei der Hochschulgruppe Kritische Medizin Leipzig, um die medizinische Ausbildung zu verbessern.
Die Medizinische Fakultät der Universität Leipzig äußert sich schriftlich: In vier Lehrveranstaltungen werde Trans*gesundheit neben weiteren Themen behandelt. Zudem solle das Pflichtmodul zu Antidiskriminierung und Chancengleichheit ausgebaut werden. Erstmals habe dies im Wintersemester 2024/25 stattgefunden.
Kritisiert werden dennoch erhebliche Lücken in der medizinischen Ausbildung und Forschung zu Trans*gesundheit, denn die Medizin arbeitet mit Normvorstellungen von Körpern und Geschlecht. Abweichungen davon werden oft unsichtbar gemacht – oder pathologisiert.
Dass es unter Ärztinnen und in der Wissenschaft viel Unwissen zu Trans*gesundheit gibt, überrascht daher wenig. Bereits praktizierende Ärzt*innen müssen zwar nachweisen, regelmäßig Weiterbildungen zu besuchen. Verpflichtende Themen gibt es jedoch nicht.
Weiterbildungen zu Trans*gesundheit sind freiwillig und selten. Die Landesärztekammer Sachsen bietet wenige Kurse an, eine geplante Veranstaltung zu Trans*gesundheit fiel mangels Nachfrage aus. Externe Organisationen bieten ebenfalls Fortbildungen und Netzwerke an.
Solange das Thema nicht fest im Studium und in der Weiterbildung verankert ist, hängt die Versorgung von der Eigeninitiative einzelner Ärzt*innen ab – die oft gering ist, wegen Ablehnung, fehlender Anreize und Wissenslücken. Sollte sich die Versorgungslage nicht bessern, könne dies gefährlich werden, warnt Gynäkologin Wolf: „Dann könnte es bedeuten, dass sie ins Ausland gehen oder sich irgendwas selber zusammen bestellen oder wo auch immer herholen.“
Sie hofft auf mehr Engagement ihrer Kolleg*innen und will aus Überzeugung weitermachen: „Ich sehe mich nicht nur als Frauenärztin, sondern als Menschenarzt.“ Nathans erste gynäkologische Untersuchung verlief gut, auch wenn veraltete Begriffe wie „Frauenarzt“ gefallen seien.
Die Ärztin behandle sachlich und professionell, ohne Annahmen zu Partnerschaften oder Geschlechtsverkehr – eine Überraschung für den 20-Jährigen. Sein Wunsch für die Gynäkologie: „Hoffentlich mehr Sensibilität, was Sprache über Transition angeht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Boomer-Soli“
Gib die Renten-Kohle her, Boomer!
Nina Warken zu Cannabis
Kampfansage gegen das Kiffen
Verurteilung zweier Tierschützer
Don’t shoot the messenger
Gezerre um Verfassungsrichter*in-Posten
Ein Rückzug wäre das falsche Signal
Religiöse Fußballspielerinnen
God first
Was Frauen beim Sex stört
Wie kommen wir zusammen?