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Versorgung von trans* MännernEin Mann, eine Gebärmutter – und keine Arztpraxis

Für viele trans* Männer ist der Besuch bei Gy­nä­ko­lo­g*in­nen eine Zumutung – oder unmöglich. Doch es gibt Ausnahmen – und sie machen Hoffnung.

Große symbolische Bedeutung: der Uterus, hier in Form von Blumen beim „Womxn's March“ in New York 2025 Foto: UPI/laif

Rauf auf den Stuhl, Beine auf die Stützen. Halb nackt und fröstelnd hofft man auf eine einfühlsame Behandlung. „Das Becken noch ein kleines Stück nach vorne, bitte.“ Was für cis Frauen schon unangenehm ist, ist für trans* Personen oft noch belastender.

Der 20-jährige trans* Mann Nathan hat in zwei Wochen seinen ersten Vorsorgetermin bei einer Gynäkologin, schreibt er auf Anfrage. Der Student aus Chemnitz erwartet die Untersuchung mit Nervosität – aus Sorge vor unsensibler Sprache, fehlendem Wissen zu Testosteron und mangelndem Verständnis für Geschlechtsdysphorie.

Menschen mit Geschlechtsdysphorie leiden, weil ihre Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Psychotherapeut Alexander Röbisch-Naß mit Arbeitsschwerpunkt trans* Personen erklärt, viele von ihnen hätten Probleme, nackt vor dem Spiegel zu stehen oder zu duschen – eine intime Untersuchung werde so zur großen Belastung. Den Körper zu ignorieren, mildere die Dysphorie. Deshalb meiden viele Arztbesuche.

Niklas ging es ähnlich. Der junge trans* Mann leistet in Chemnitz seinen Bundesfreiwilligendienst. Heute geht er regelmäßig zur Vorsorge. Auch der Hormonersatztherapie unterzieht er sich in einer gynäkologischen Praxis.

Allerdings sind diese Vorsorgeuntersuchungen keine Pflicht bei der Hormonersatztherapie, obwohl durch die Vergabe das Krebsrisiko steigt. Zu Beginn verzichtete Niklas auf die Untersuchungen, ließ sich nur Testosteron verschreiben. Seit für ihn feststeht, dass er seine Gebärmutter behalten wird, lässt er sie untersuchen. „Und wenn ich jetzt nicht aktiv nach der Unterleibsuntersuchung fragen würde, würde meine Gynäkologin es auch nicht machen“, beschreibt er.

Ein Mann mit Gebärmutter? Seine Ärztin frage ihn immer wieder, wann er weitere Operationen machen werde. Unter Druck habe er dann erklärt: „Ich werde keine weiteren fünf Operationen machen, meine Transition ist abgeschlossen.“

Ex­per­t*in­nen für eigene Situation

Niklas ist trotz des „veralteten Bildes“ seiner Gynäkologin zufrieden, da sie nicht trans* feindlich sei. Allerdings fehle ihr die nötige Expertise. Die zu niedrige Anfangsdosis seines Testosterongels passte Niklas nach Erhalt seiner Blutwerte selbst an, da es sonst zu Nebenwirkungen kommt.

Betroffene müssen häufig Ex­per­t*in­nen für ihre eigene Situation werden. Es fehlt an Fachwissen und auch an sensiblen Ärzt*innen. Was das in der Praxis bedeutet, erleben trans* Menschen oft schon beim Versuch, einen Arzttermin zu vereinbaren. Nach der Nennung von Namen und Pronomen folgt nicht selten irritiertes Nachfragen, gefolgt von einer Absage – man behandle nur Frauen, wegen der Krankenkassen, so die Schilderung einiger Betroffener.

Psychotherapeut Röbisch-Naß betont, dass es an der Bereitschaft mangle, sich mit trans* Pa­ti­en­t*in­nen zu beschäftigen. „Fachliche Unsicherheiten werden oftmals weggeschoben und auf externe Themen verlagert, die nichts mit der Fachperson zu tun haben.“ So hören trans* Personen immer wieder, dass es angeblich nicht möglich sei, die Behandlungen abzurechnen, da Gy­nä­ko­lo­g*in­nen nur Personen mit einem weiblichen Geschlechts­eintrag behandeln dürfen.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen stellt auf Anfrage klar: Für die Abrechnung sei maßgeblich, welche Geschlechtsorgane vorlägen, nicht, welche Eintragungen gemacht wurden.

Den Mythos, womöglich auf den Behandlungskosten sitzen zu bleiben, kennt auch die Leipziger Gynäkologin Susan Wolf. Das Problem sei neben fehlendem Wissen vor allem, dass finanzielle Anreize für den höheren Behandlungsaufwand fehlen.

Mehr noch: „Meine Kolleginnen sind da alle wenig oder gar nicht aufgeschlossen. Sie nehmen auch keine neuen Patientinnen an, schon gar nicht dann, wenn sie erahnen, dass sie vielleicht ein bisschen anders sein könnten, als sie es gewohnt sind“, sagt die Ärztin.

Expertise nur durch Weiterbildungen

Von Susan Wolfs rund 1.000 Pa­ti­en­t*in­nen pro Quartal behandelt sie etwa 5 trans* Männer und Frauen sowie 10 bis 15 Personen mit diversem Geschlechtseintrag. „Wenn sie mich nicht hätten, hätten sie ja niemanden“, sagt die 50-Jährige.

Hinweise in der Praxis sind gegendert, der Ansprachewunsch wird abgefragt. „Manche mit einem Vornamen, manche mit Herr, Frau oder eben gar nicht. Da sind sie schon so dankbar, da merke ich erst mal, das ist nicht ganz selbstverständlich“, erklärt Wolf.

Die inklusive Praxis stößt auf gesetzliche Hürden: „Frauen­ärztin“ steht auf der Website, was Personen wie Niklas oder Nathan ausschließt. Die geschützte Bezeichnung lässt nur die Alternative „Gynäkologie und Geburtshilfe“ zu – doch Wolf bietet keine Geburtshilfe an.

Wolf hat sich ihre Expertise zur Behandlung von trans* Menschen über Jahre durch Weiterbildungen, Seminare und das Studium anderer Medikationen angeeignet.

Hormontherapien zu verschreiben, sei leicht: „Es ist auch nichts anderes, als die Pille zu verschreiben. Natürlich in einer gewissen Konzentration, aber es ist nicht kompliziert“, sagt sie. Die Sorge vor juristischen Konsequenzen bestehe jedoch, da die Wirkung der Hormone nicht vollumfänglich untersucht worden sei.

Dies kann im Zweifel bedeuten, dass Ärz­t*in­nen verklagt werden können. Wolf könnte sich vorstellen, dass Kol­le­g*in­nen aus dieser Furcht keine Hormone verschreiben.

Wie sich Susan Wolf durch ihr Medizinstudium auf die Behandlung von trans* Personen vorbereitet gefühlt hat? Sie lacht: „Gar nicht. Also null.“

Wolfs Medizinstudium liegt 30 Jahre zurück – doch auch die neue Generation fühlt sich nicht adäquat ausgebildet. „Durchs Studium? Null“, sagt Susanna, die seit sieben Semestern in Leipzig Medizin studiert. Selbst in der Endokrinologie, der Lehre der Hormone, sei Trans*­ge­sund­heit kein Thema.

Erhebliche Lücken in der medizinischen Ausbildung

Auch das Zwischenmenschliche, also wie man sensibel mit trans* Personen umgehen könne, stehe nicht auf dem Lehrplan, fügt ihre Kommilitonin Katherina hinzu. Die beiden engagieren sich an der Uni bei der Hochschulgruppe Kritische Medizin Leipzig, um die medizinische Ausbildung zu verbessern.

Die Medizinische Fakultät der Universität Leipzig äußert sich schriftlich: In vier Lehrveranstaltungen werde Trans*­ge­sund­heit neben weiteren Themen behandelt. Zudem solle das Pflichtmodul zu Antidiskriminierung und Chancengleichheit ausgebaut werden. Erstmals habe dies im Wintersemester 2024/25 stattgefunden.

Kritisiert werden dennoch erhebliche Lücken in der medizinischen Ausbildung und Forschung zu Trans*gesundheit, denn die Medizin arbeitet mit Normvorstellungen von Körpern und Geschlecht. Abweichungen davon werden oft unsichtbar gemacht – oder pathologisiert.

Dass es unter Ärztinnen und in der Wissenschaft viel Unwissen zu Trans*­ge­sund­heit gibt, überrascht daher wenig. Bereits praktizierende Ärz­t*in­nen müssen zwar nachweisen, regelmäßig Weiterbildungen zu besuchen. Verpflichtende Themen gibt es jedoch nicht.

Weiterbildungen zu Trans*­ge­sund­heit sind freiwillig und selten. Die Landesärztekammer Sachsen bietet wenige Kurse an, eine geplante Veranstaltung zu Trans*­ge­sund­heit fiel mangels Nachfrage aus. Externe Organisationen bieten ebenfalls Fortbildungen und Netzwerke an.

Solange das Thema nicht fest im Studium und in der Weiterbildung verankert ist, hängt die Versorgung von der Eigeninitiative einzelner Ärz­t*in­nen ab – die oft gering ist, wegen Ablehnung, fehlender Anreize und Wissenslücken. Sollte sich die Versorgungslage nicht bessern, könne dies gefährlich werden, warnt Gynäkologin Wolf: „Dann könnte es bedeuten, dass sie ins Ausland gehen oder sich irgendwas selber zusammen bestellen oder wo auch immer herholen.“

Sie hofft auf mehr Engagement ihrer Kol­le­g*in­nen und will aus Überzeugung weitermachen: „Ich sehe mich nicht nur als Frauenärztin, sondern als Menschenarzt.“ Nathans erste gynäkologische Untersuchung verlief gut, auch wenn veraltete Begriffe wie „Frauenarzt“ gefallen seien.

Die Ärztin behandle sachlich und professionell, ohne Annahmen zu Partnerschaften oder Geschlechtsverkehr – eine Überraschung für den 20-Jährigen. Sein Wunsch für die Gynäkologie: „Hoffentlich mehr Sensibilität, was Sprache über Transition angeht.“

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9 Kommentare

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  • Zur Sensibilitätsbildung könnte es ja reichen, entsprechende Artikel in der taz zu lesen, da müsste Arzt sich nicht mal fortbilden...

  • "Die zu niedrige Anfangsdosis seines Testosterongels passte Niklas nach Erhalt seiner Blutwerte selbst an, da es sonst zu Nebenwirkungen kommt." Ist Niklas Arzt?

    • @Mendou:

      Du wärst überrascht davon, wie wenig Ahnung viele Ärzte von gegengeschlechtlicher Hormontherapie haben. Uns Transfrauen wurden lange Zeit über Testosteronblocker in Mengen verschrieben, die nur Krebspatienten bräuchten, kombiniert mit Östrogenen in Mengen, wie sie nur für Frauen nach den Wechseljahren reichen würden. Das scheint sich langsam zu bessern, aber als Betroffene ist es schon wichtig, selbst Ahnung von sinnvollen Dosierungen zu haben und, ja, ohne studiert zu haben!!, im Zweifelsfall nachzukorrigieren. Ich nehme an, die Situation ist bei Transmännern ähnlich. Ärzte sind nunmal keine allwissenden Götter, und Transpersonen sind einfach lange nicht beachtet worden.

  • Der beste Weg wäre wahrscheinlich, wenn möglichst schnell möglichst viele Trans-Menschen selbst Medizin studieren und sich speziell mit diesen Fachbereichen beschäftigen. Was natürlich dauert dauert dauert.



    Aber das Thema ist zu neu, da kann man mE nicht erwarten, dass Gynäkologen oder Gynäkologinnen sich da jetzt ganz schnell ganz schlau machen und alle wahnsinnig offen dafür sind.



    Zumindest, wenn diese Ärzte ihren Berufsethos ernst meinen, können sie nicht mit der heißen Nadel Gestricktes weitergeben. Und wenn ich mir meine Gynäkologin ansehe und ihre Sprechstundenzeiten, wenn ich bei anderen miterlebe, wie überlaufen die Gynäkologie-Praxen sind, wie schwer es ist, zu einer anderen Person zu wechseln, dann frage ich mich: wann bitte soll sie sich da jetzt ganz schnell weiterbilden? Oder doch einfach mal machen und gucken, was bei raus kommt?



    Das Thema ist schwer, aber bei allen folgenreichen Neuerungen braucht es eine Übergangszeit. Diejenigen, die da mittendrin sind, trifft es dann wohl vermutlich am härtesten. Sie müssen kämpfen, ohne geht es nicht, sich nicht alles zu Herzen nehmen. Man kann diesen Menschen nur Kraft und Glück wünschen.

  • Ja, das ist eine nachvollziehbar schwierige Situation, als Transmann in eine gynäkologische Praxis gehen zu müssen, eine Alternative wären vielleicht spezialisierte Zentren, aber dafür ist die Anzahl von Transpersonen in der Bevölkerung zu gering, dass sich das für die Ärzte finanziell lohnt. Der Artikel zeigt auch keine Lösung für das Dilemma auf. Außer eben eine sensible Ärztin/Arzt zu finden - das ist aber für alle Patientinnen oft nicht so einfach. Es gibt jedoch eine Liste transfreundlicher Praxen. So zur ersten Übersicht.



    Auch beim Problem der Inklusion finde ich den Artikel ungenau. Die Berufsbezeichnung der erwähnten Praxis in Leipzig ist natürlich Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe. Geburtshilfe hat die erwähnte Ärztin in ihrer Ausbildung erlernt und sie betreut Schwangerschaften bis zur Geburt und danach. Frauenärztin ist keine alternativer, sondern ein umgangssprachlich etablierter Begriff. Frauenarztpraxen umzubenennen dürfte auf Widerstand von Frauen stoßen.

    Wie ist die Situation von Transfrauen? Ist deren medizinische Versorgung nicht sogar noch schwierig, da sie gynäkologisch und andrologisch betreut werden müssten?



    Was mich stutzig

    • @Karla Columna:

      Kommentar scheint abgeschnitten zu sein, aber egal: Meiner Einschätzung nach habe ich es als prä-operative Transfrau mit der medizinischen Versorgung einfacher.

      Gynäkologische Betreuung brauche ich eigentlich nur in Form von Brustkrebs-Screenings (bzw. bräuchte, wenn ich in dem Alter wäre), und da interessiert ja niemanden, was ich zwischen den Beinen habe. Ich kann mangels Eierstöcken nicht in die Wechseljahre kommen. Und männliche Geschlechtsorgane sind ja auch einfach eine recht unterkomplexe Konstruktion, da blutet nichts, da hast du keinen Zyklus, da kann penetrativer Sex nicht wegen Veränderungen der Vagina schmerzhaft werden, und durch die Hormone gehen Hoden- und Prostatakrebsrisiko auch noch gegen null. Zum Andrologen werde ich also so schnell nicht müssen.

      Sollte ich mich für Die OP™ entscheiden, wäre ich danach in der medizinischen Betrachtung ziemlich nah an einer Cisfrau ohne Gebärmutter und Eierstöcke dran - das würde die durchschnittliche gynäkologische Praxis vermutlich nicht überfordern.

      Die medizinische Situation als Transperson ist aber immer etwas haarig - ich bin weder ganz männlich, noch ganz weiblich, aber dafür gibts halt kein Kästchen zum Ankreuzen ...

      • @kcitkcab:

        Ganz lieben Dank für die Antwort und Erläuterung Ihrer Erfahrungen. Ich hatte mich wegen des Artikels auch noch gefragt, warum die Frauenarztpraxen nicht explizit auf ihren Websites vermerken, dass sie auch für Transpersonen offen sind, wenn sie es sind. Welche Einwände es dagegen gibt, dies zu tun, ist mir unklar. Ob das was rechtliches ist. und dann bin ich mir nicht sicher, ob es andererseits überhaupt für Betroffene hilfreich wäre. Aber wahrscheinlich schon.

  • Frauenärztin, "was Personen wie Niklas oder Nathan ausschließt." - nur auf der sprachlichen Ebene, denn die Praxis ist ja inklusiv. Bitte gerade bei harten Wertungen präzise und differenziert formulieren.

  • Können wir mal aufhören Facharztthemen immer wieder mit dem Studium in Verbindung zu setzen? Erinnert mich an das Thema Schwangerschaftsabbruch, bei dem Medizinstudenten an Obst rumschnibbeln. Nett gemeint, gehört aber einfach in der Gyn-FA-Ausbildung gestärkt.

    Und der Umgang von Trans-Männern in der Praxis? Menschlich verständlich, aber praktisch ein 1%-Problem. Sensibilität kann man halt nicht anordnen…