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Doris Akrap GeraschelUnser neuer Mitbewohner: der Zaun

Foto: privat

Am winzigsten Eingang zum Görlitzer Park haben die Bauarbeiten begonnen. Auf einem halben Quadratmeter wurde Kopfsteinpflaster ausgebuddelt und ein bisschen Erde, außerdem zwei Baustellenzäune aufgestellt. Vier Arbeiter stehen an diesem Freitag um das kleine Loch, machen ein Foto und Feierabend.

Frühestens im Dezember sollen die wahlweise Zaun oder Mauer genannten Absperrungen fertig sein, mit denen der Park nachts unzugänglich werden soll. Mein Kreuzberger Hauseingang ist seit Neuestem jetzt auch durch ein Tor verbarrikadiert. Wir Anwohner mit Mietvertrag, alle mit Migrations- und Arbeiterhintergrund und seit Jahrzehnten in diesem Haus mit Kohleofen lebend, feierten die Ankunft des Schutzwalls. Ein bizarrer Moment, aber die Zustände waren in den letzten Jahren einfach unerträglich geworden. Unsere Mit­be­woh­ne­r*in­nen ohne Mietvertrag, die in unserem Treppenhaus Papier abfackelten, um ihre Crackpfeifen anzuzünden, sich von den Strapazen des Crackrauchens erholten, Scheiße­haufen auf dem Boden hinterließen und in unser Türschloss schmierten und uns verfluchten, wenn wir darum baten, dass sie uns Platz machten, um in unser Haus zu kommen, müssen jetzt woanders hin.

Das Drogenproblem ist nicht gelöst. Vorläufig aber verlasse ich jetzt abends wieder meine Wohnung, ohne Angst davor zu haben, wieder nach Hause zurückkommen zu müssen.

Die Debatte über den Zaun um den Görlitzer Park endet unter Linken immer so: Das löst doch kein Problem, verschiebt es nur noch mehr in euren Kiez.

Über den Verweis auf die Verschlimmerung der Zustände kann ich nur lachen. Klar, schlimmer geht immer, aber die Lage hier ist halt so schlimm, dass man als An­woh­ne­r*in bereits selbst Psychosen entwickelt hat, ohne jemals an der Crackpfeife gezogen zu haben.

Seit einigen Jahren nenne ich das, was sich nicht nur vor meiner Kreuzberger Haustür, im Frankfurter Bahnhofsviertel, in der Kapellenstraße von Paderborn oder im Justizviertel von Hannover abspielt, eine Epidemie. Viele halten das für übertrieben, sagen: „Das ist deine subjektive Wahrnehmung.“

Der Drogenbeauftragte der Ampelregierung, der letztes Jahr verkünden musste, dass es in Deutschland 2023 so viel Drogentote wie noch nie gab, konstatierte, dass der zunehmende Konsum von Crack die deutschen Großstädte „vor Probleme stelle“ und eine „Herausforderung für die Gesundheit, aber auch für das Zusammenleben“ sei. Der Drogenbeauftragte der neuen Regierung konnte vor ein paar Tagen für 2024 zwar verkünden, dass die Zahl der Drogentoten etwas zurückgegangen ist (in Berlin ist sie hingegen so hoch wie nie), charakterisiert die Lage aber als „quasi pandemische Dynamik“.

Hier ­erscheinen zwei Kolumnen im Wechsel. Nächste Woche: „Grauzone“ von Erica Zingher.

Wenn ich in Gesprächen die Bilder aus Los Angeles anführe und sage, dass die Bilder vom Berliner Herrmannplatz oder dem Frankfurter Bahnhof mittlerweile schon Ähnlichkeiten haben, wird immer gleich gekontert, dass das in den USA ja ganz andere Gründe habe. Na gut.

Dass es eine Kokainschwemme gibt, ist unbestritten. Als Grund werden die Taliban genannt, die den Anbau von Schlafmohn in Afghanistan verboten haben. Aus ihm wird Opium gewonnen, die Grundlage für Heroin. Synthetische Drogen wie Fentanyl traten an seine Stelle, oder eben Crack.

Die Gründe für den gestiegenen Konsum liegen aber auch in zunehmender Wohnungslosigkeit. Wer auf der Straße lebt, läuft große Gefahr, sich für ein paar Euro aus dem elenden Leben zu beamen.

Mein Hauseingang ist jetzt auch verbarrikadiert

Warum es über die Drogenepidemie, die deutsche Städte bedroht, keine Lanz-, Maischberger- und Illner-Talks gibt, warum darüber nicht mit dem gleichen Alarmismus wie über Trump, Putin, Gaza diskutiert wird, ist mir ein immer größer werdendes Rätsel.

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