piwik no script img

Debatte um Fanhymne von Nazi-AutorDer FC St. Pauli bleibt herzlos

Ein Gutachten bestätigt, dass der Texter der Fanhymne „Das Herz von St. Pauli“ sich in den Dienst des NS-Regimes gestellt hatte.

Eine Hymne aus der Feder eines Nazi-Propagandisten passt dazu nicht: antifaschistisches Selbstverständnis Foto: Christian Charisius/dpa

hamburg taz | Die Fanhymne „Das Herz von St. Pauli“ hat im Millerntorstadion keine Zukunft. Das zeigte sich bei der Vorstellung eines Gutachtens, das der FC St. Pauli in Auftrag gegeben hatte. Es geht darin um den Texter des Liedes, den Journalisten und Schlagertexter Josef Ollig, und seine Nazi-Vergangenheit.

„Ollig hat von seinen Handlungsoptionen keinen Gebrauch gemacht, um sich vom Nationalsozialismus abzugrenzen. Im Gegenteil: Selbst dort, wo er Gelegenheit gehabt hätte, sich der Vereinnahmung durch das Regime zu entziehen, entschied er sich in der Regel dazu, dieses aktiv zu unterstützen“, heißt es im Fazit des Gutachtens von ­Celina Albertz vom FC St. Pauli Museum und Peter Römer von der NS-Gedenkstätte Villa ten Hompel in Münster. Albertz hatte mit einem Podcast über Ollig eine Debatte unter den Fans des Vereins ausgelöst, die dazu geführt hatte, dass das ­gemeinschaftliche Singen des Liedes vor dem Anpfiff zunächst ausgesetzt wurde.

Ollig schrieb den Liedtext 1956 unter dem Pseudonym Arno Grillo, wie Albertz recherchierte. Da war er längst Lokalchef beim Hamburger Abendblatt, wo er später zum stellvertretenden Chefredakteur aufstieg. Doch vor Kriegsende hatte er sich in den Dienst des NS-Regimes gestellt.

Ollig war 1929 zu den rechtsnationalen Hamburger Nachrichten gegangen, deren Redaktion schon 1930 offen die NSDAP unterstützte. Als Pressereferent bei Shell brachte er die Konzernpublikationen ab 1933 auf stramme Parteilinie. Während des Krieges diente er als Kriegsberichterstatter in einer Propagandakompanie. In dieser Position feierte er einerseits Wehrmacht und Führer, tat sich andererseits mit besonders entmenschlichenden Beschreibungen der osteuropäischen Kriegsgegner hervor.

Nach dem Krieg rekrutierte die britische Militärverwaltung ihn dennoch für die Tageszeitung Die Welt. Im nachfolgenden Entnazifizierungsverfahren versuchte Ollig, seine Rolle zu relativieren. So leugnete er etwa seine Urheberschaft eines in der Shell-Mitarbeiterzeitschrift erschienenen Artikels, in dem er Verschwörungsmythen rund um das Attentat von Georg Elser auf Hitler verbreitet hatte. Dieser trage irrtümlich sein Kürzel. Erfolglos: Die Prüfer kamen zu dem Urteil, Ollig sei für die demokratische Presse ungeeignet.

Nur der zunehmend nachlässigen Entnazifizierungspraxis verdankte er, dass er schließlich doch noch das Siegel „can be employed“ (kann angestellt werden) bekam. Bis zu seinem Tod 1982 habe Ollig seine Rolle im Nationalsozialismus nicht öffentlich reflektiert, schreiben Albertz und Römer in ihrem Gutachten.

Bis zu seinem Tod 1982 hat Ollig seine Rolle im Nationalsozialismus nicht reflektiert

Die von ihnen zusammengetragenen Fakten zeigten Wirkung: Mehrere Anhänger des Klubs sagten bei der Vorstellung vor einigen hundert Menschen im Ballsaal des Millerntorstadions, sie seien zu Beginn der Debatte um Ollig der Ansicht gewesen, man könne zwischen der problematischen Vergangenheit des Autors und seinem Werk trennen und Olligs Lied – zumal in der am Millerntor gespielten Punk-Version – weiterhin singen. Das habe sich aber im Lichte der historischen Erkenntnisse verändert, bei einigen sogar im Verlauf des Abends.

Wenig Zustimmung fand der Vorschlag, das „Herz von St. Pauli“ weiterhin zu singen, aber durch ein kraftvolles Bekenntnis zum Antifaschismus vorher und hinterher zu „rahmen“. Auch, die Melodie beizubehalten und mit einem neu zu dichtenden Text zu versehen, fanden nur wenige Fans überzeugend.

„Antifaschismus ist unbequem“

Für die große Mehrheit war klar: Olligs Lied kann ein antifaschistischer Verein nicht wieder spielen, auch wenn viele das persönlich bedauern. „Antifaschismus ist unbequem“, brachte es eine Frau auf den Punkt, „aber das hier ist die bequemste unbequeme Sache, die es geben kann. Es geht hier nur um ein Lied.“

Viele wünschten sich, dass ein neues Lied gesucht wird, sogar von einem FC-St.-Pauli-Songcontest war die Rede. ­Applaus bekam aber auch ein Fan, der sagte: „Ich finde Hymnen scheiße. Wir machen so vieles anders: Wir haben keinen Stadionnamen, keine hysterischen Moderatoren – warum müssen wir eine Stadionhymne haben?“

Entscheiden wird darüber nun das Präsidium des Vereins, bis Saisonbeginn. „Und dann steht es euch frei, uns dafür nicht wiederzuwählen“, sagte Präsident Oke Göttlich. Dass die Entscheidung lautet, „Das Herz von St. Pauli“ wieder zu spielen, ist nach diesem Abend weniger vorstellbar denn je.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Dem Lied-Autor muss der Vorwurf gemacht werden, nach dem NS Regime geschwiegen zu haben. Viele Journalisten arbeiteten in Propaganda Kompanien der Wehrmacht und der SS - Siehe Henry Nannen. Mein Vater war auch dabei, erzählte gerne von launigen Erlebnissen. Aber erst Mitte der 1970er Jahre erzählte er uns, dass er 1941 Zeuge eines Masakers beim Überfall auf die Sowjetunion in Kaunas gewesen war. Ihn hatte die Staatsanwaltschaft verhört. Er durfte 1946 als unbelastet wieder als Redakteur arbeiten. Ralph Giordano war in einer seiner Jugend-Diskussionsgruppe seiner Illustrierten. Nachgefragt in den 90ern teilte mir Giordano mit, mein Vater habe dabei nie von Kowno erzählt. Für Giordano ein Beispiel für die Verdrängung und die "Zweite Schuld" der Deutschen nach 45.



    Heute weiss man, das der Satz "Wir haben von nichts gewuss" - den ich noch als Schüler und junger Mann hörte, eine Lüge war. Viele Soldaten berichteten freimütig in Briefen von den Morden im Osten. Das jüdische Nachbarn in aller Öffentlichkeit



    deportiert wurden, bekamen alle mit.



    Darüber nach 45 geschwiegen zu haben, ist die Schuld dieser Generation und deshalb darf das Lied am Millerntor nicht mehr laufen.

  • Sehr schade, denn ich mochte das Lied sehr! Umso konsequenter finde ich es vom FCSP das Lied nicht mehr zu spielen und Ollig keinen Raum zu bieten. Eine absolut richtige Entscheidung! Antifaschismus funktioniert nur wenn Sie auch vor der eigenen Haustür und mit selbstreflexion stattfindet.

    ps. Das nächste mal wenn der 1.FCM am Millerntor gastiert: "Nazis Raus" ist keine Lösung für die Antifaschisten in BlauWeiß. Es ist schwer genug Haltung zu bewahren. In der Sache ist da auch nichts gegen zusagen, leider verstärkt das aber nur die Vorurteile und ich wäre froh wenn viel mehr Magdeburger ein bisschen mehr wie die Fans des FCSP wären.



    Vielleicht grüße ich das nöchstemal aus dem St.Pauli Block, wenn ich mit meinen Freunden wieder bei einem Spiel vom FCSP dabei sein darf. Alternativ winke ich vom Dach der Georg Elser Halle.