
Sozialdemokrat:innen im Kabinett: Die neun Neuen der SPD
Am Tag vor der Kanzlerwahl hat auch die SPD ihre Kabinettsmitglieder benannt. Die Minister*innen und Beauftragten im Porträt.
Finanzen: Die Macht des Geldes
D er neue Finanzminister war gesetzt. Als Schlüsselressort hat es Durchgriff auf alle anderen Häuser, oder, salopp formuliert: Wer das Geld hat, hat die Macht. Und die liegt jetzt in den Händen von Lars Klingbeil, dem zugleich mächtigsten Mann der SPD. Der 47-jährige Niedersachse aus Soltau wird Vizekanzler und hat damit gute Aussichten, der nächste SPD-Kanzlerkandidat zu werden. Darüber will er aber noch nie ernsthaft nachgedacht haben. Überhaupt schafft er es immer, den Eindruck zu vermitteln, als sei ihm Macht gar nicht so wichtig. Er spielt gern Gitarre, guckt Fußball und treibt fünfmal wöchentlich Sport. Work-Life-Balance also. Doch in dem netten Lars mit dem jugendlichen Aussehen steckt auch ein ehrgeiziger Politprofi, der Menschen an die Wand verhandeln oder auch mal kaltstellen kann.
Fairerweise muss man sagen: Es geht Klingbeil nicht um Macht als Selbstzweck. Er treibt seine Idee voran, wie die SPD wieder mächtig wird, und verbindet dies mit einem Verständnis vom Staat, der investiert, sich um Wirtschaft und Arbeitsplätze kümmert. Die arbeitende und Überstunden schiebende Mitte steht für den Sohn eines Soldaten und einer Verkäuferin, die beide nebenbei Taxi fuhren, im Fokus, und das sollen sie auch für die SPD. Um sie und die Wirtschaft will sich der Parteichef nun auch als Finanzminister kümmern. Erfahrung im Ressort hat er noch nicht gesammelt. Nach Einschätzung aus dem Ministerium sei er trotzdem gut geeignet. Weil thematisch breit aufgestellt und mit schneller Auffassungsgabe. Sonst wäre er wohl kaum so weit gekommen. Anna Lehmann
Arbeit und Soziales: Die Aufsteigerin
Neue Ministerin für Arbeit und Soziales ist die Duisburgerin Bärbel Bas. Bekannt geworden ist die 57-Jährige durch das Amt der Bundestagspräsidentin, zu der sie im Oktober 2021 gewählt wurde. Abgeordnete ist die Parteilinke aber schon seit 2009: Fünfmal in Folge gewann Bas den Wahlkreis Duisburg I im westlichen Ruhrgebiet direkt.
Jetzt wird sie die Nachfolgerin von Hubertus Heil. Auch wegen des Regionalproporzes in der SPD galt dieser als nicht mehr vermittelbar: Neben Finanzminister Klingbeil und Verteidigungsminister Pistorius wäre er der dritte Minister aus Niedersachsen gewesen.
Bas hingegen repräsentiert den mitgliederstärksten SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen, der in der neuen Bundesregierung zudem durch vier Parlamentarische Staatssekretär:innen vertreten ist. Die Tochter einer Hausfrau und eines Busfahrers verkörpert den sozialen Aufstieg: Nach ihrem Hauptschulabschluss und einer Lehre als Bürogehilfin bildete sie sich unter anderem berufsbegleitend zur Personalmanagement-Ökonomin weiter und wurde schließlich Personalchefin einer Betriebskrankenkasse.
Das zentrale Ziel der SPD im Sozialministerium, das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent zu sichern, ist im Koalitionsvertrag bereits festgeschrieben. Dennoch ruhen große Erwartungen auf Bas, denn zehntausende Arbeitsplätze, vor allem in der Industrie, stehen auf dem Spiel: Allein in ihrer Heimatstadt kämpfen die Stahlsparte von Thyssenkrupp und die Hüttenwerke Krupp Mannesmann ums Überleben – und tausende Stahlarbeiter um ihre Jobs. Andreas Wyputta
Verteidigung: Der einzig Verbliebene
Überraschend an der Nominierung von Boris Pistorius ist alleine, dass der alte und neue Bundesverteidigungsminister der Einzige aus der bisherigen Regierung ist, der es auch in das neue Kabinett schaffen wird. Das dürfte vor allem an seinen ungebrochen hohen Beliebtheitswerten in der Bevölkerung liegen, die der 65-Jährige seinem Image als Anpacker zu verdanken hat.
Dabei hat Pistorius nicht einmal geschadet, dass er das durch zwei Weltkriege eigentlich gänzlich kontaminierte Wort „Kriegstüchtigkeit“ nach 80 Jahren wieder zurück in den politischen Diskurs in Deutschland geholt hat. Hauptaufgabe in seiner zweiten Amtszeit wird sein, ein gigantisches, finanziell nicht beschränktes Aufrüstungsprogramm der Bundeswehr möglichst ohne Skandale und Störungen umzusetzen.
Der ehrgeizige Pistorius bezeichnet sich selbst gerne als „Parteisoldaten“. Seit 1976 SPD-Mitglied, war der frühere Oberbürgermeister seiner Geburtsstadt Osnabrück von 2013 an niedersächsischer Innenminister, bevor er im Januar 2023 in die Bundespolitik wechselte. Mit seinem schneidigen Auftreten sollte er das ungeschickte Agieren seiner Vorgängerin Christine Lambrecht vergessen machen. Das hat er geschafft.
Gelingt es Pistorius, die gesamte Wahlperiode auf dem Posten zu bleiben, käme er auf eine Amtszeit von über 6 Jahren. Damit stünde er an der Spitze einer langen Reihe sozialdemokratischer Wehr- und Verteidigungsminister – von Gustav Noske über Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel bis zu Rudolf Scharping und Peter Struck. Pascal Beucker
Justiz: Die sich schon lange auskennt
Eine Justizministerin agiert meist im Spannungsverhältnis zum Innenministerium. Bei Stefanie Hubig (SPD), der neuen Justizministerin, und Alexander Dobrindt (CSU), dem designierten Innenminister, dürften diese Spannungen wohl besonders schnell deutlich werden. CDU-Chef Merz hatte im Koalitionsvertrag eine umstrittene Asylpolitik mit Zurückweisungen an den Grenzen durchgesetzt, die Dobrindt nun umsetzen muss. Dagegen sollte eine Justizministerin natürlich auf Einhaltung des Rechts pochen. Stefanie Hubig ist promovierte Juristin und kennt das Justizministerium schon lange. Sie arbeitete dort zunächst von 2000 bis 2008, unter anderem im zentralen Kabinettsreferat. Nach einer ersten Zwischenstation in Rheinland-Pfalz holte sie der damalige Justizminister Heiko Maas (SPD) 2014 als beamtete Staatsekretärin ins Bundesjustizministerium zurück.
Sie wirkte damals schon ministrabel, ging dann aber 2016 als Bildungsministerin nach Rheinland-Pfalz, wo sie bis jetzt neun Jahre lang amtierte. Einen grauen Fleck hat Hubig in ihrer Vita. 2015 behauptete der damalige Generalbundesanwalt Harald Range, Staatsekretärin Hubig habe ihn per Weisung gezwungen, ein unliebsames Gutachten zum Vorwurf des Geheimnisverrats durch den „netzpolitik“-Blog zu stoppen. Hubig bestritt eine solche Weisung, es stand Aussage gegen Aussage. Am Ende wurde Range von Maas entlassen, weil kein Vertrauensverhältnis mehr bestand. Lange galt Sonja Eichwede als Favoritin für das Justizministerium, letztlich dürfte aber Hubigs größere Erfahrung den Ausschlag gegeben haben. Christian Rath
Wohnen und Bauen: Die Quereinsteigerin
Viel Zeit zur Einarbeitung bleibt Verena Hubertz nicht. In den ersten 100 Tagen soll sie einen Gesetzentwurf für einen Bauturbo vorgelegen. „Die Bagger müssen wieder rollen“, sagte die 37-Jährige am Montag. Doch schnelles Bauen allein wird nicht reichen, um die Wohnungsnot zu lindern. Hubertz muss als neue Bundesbauministerin dafür sorgen, dass Wohnraum wieder für die breite Masse bezahlbar wird. Weil das eine komplexe Herausforderung ist, hat die schwarz-rote Koalition vermutlich in weiser Voraussicht darauf verzichtet, ein konkretes Ziel zu benennen, wie viele neue Wohnungen pro Jahr geschaffen werden sollen. Gut ist, dass auch das Bundesjustizministerium in SPD-Hand ist. Denn dort ist das Mietrecht beheimatet – worunter auch etwa die geplante Verlängerung der Mietpreisbremse fällt. In der Ampelregierung hatte Justizminister Marco Buschmann (FDP) jegliche Mietrechtsverbesserungen blockiert.
So richtig vom Fach ist Hubertz nicht, aber sie versteht was von Wirtschaft. Die studierte Betriebswirtin gründete 2013 mit einer Kommilitonin das erfolgreiche Start-up Kitchen Stories, eine App für Kochrezepte. Die Firma wurde später an eine Tochterfirma von Bosch verkauft. Hubertz selbst verließ die Firma aber 2020, um für den Bundestag zu kandidieren. 2021 gewann sie das Direktmandat für ihren Wahlkreis Trier. Sie wurde stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, unter anderem zuständig für Wirtschaft, Klimaschutz, Bauen und Wohnen. Bei der letzten Wahl zog sie über die Landesliste ein.
Zur SPD kam Hubertz nach eigener Aussage übrigens, als sie 2009 eine Rede von Frank-Walter Steinmeier zum Thema Mindestlohn hörte. Nur zur Erinnerung: Damals galt der Mindestlohn vielen noch als verrückte sozialistische Idee, die die Wirtschaft schrotten würde. Hubertz war dennoch überzeugt. Denn sie selbst habe neben dem Studium bei Burger King gearbeitet für nicht einmal 6 Euro die Stunde. Ein gutes politisches Gespür kann ihr auch bei der neuen Herausforderung nicht schaden. Jasmin Kalarickal
Umwelt: Der Fachfremde
Als Umwelt- oder Klimaexperte hat sich Carsten Schneider bislang nicht hervorgetan. Der Erfurter war Ostbeauftragter der Ampel. Dass er das Umwelt- und Klimaministerium übernimmt, hat er dem konservativen Seeheimer Kreis und den Ost-Landesgruppen der SPD zu verdanken. Viel Konkurrenz von Fachpolitiker*innen hatte er nicht, kritisiert Georg Kössler, Leiter Politik bei Greenpeace: „Es ist bezeichnend, dass keine der Volksparteien jemanden in der ersten Reihe hat, der Klima- und Umweltpolitik von der Pike auf gelernt hat.“
In Thüringen habe Schneider dem Umweltschutz aber immer zur Seite gestanden, sagt Dagmar Becker, Vorstandsmitglied beim Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND Thüringen. Sie war lange SPD-Abgeordnete im Thüringer Landtag. Schneider sei „ein Zuhörer“. Georg Kössler von Greenpeace wünscht sich im Umweltministerium allerdings einen „Wadenbeißer“, damit Umwelt und Klima nicht unter den Kabinettstisch fallen.
Das wird Zuhörer und Netzwerker Schneider wohl nicht, aber sein Einfluss in Merz’ Kabinett könnte größer sein als der seiner Vorgängerin Steffi Lemke (Grüne) in der Ampel: Aus dem Wirtschaftsministerium wandert die Verantwortung für Klimapolitik in Schneiders Haus, aus dem Auswärtigen Amt die Klimadiplomatie. Und vom 500-Milliarden-Infrastrukturpaket sollen 100 Milliarden in Klimaschutz fließen. Davon wird nicht alles im Klima- und Umweltministerium enden, aber als Haushaltspolitiker mit 27 Jahren Erfahrung im Bundestag ist Schneider gut positioniert für das Gerangel um die Milliarden. Jonas Waack
Entwicklung: Die Durchboxerin

Die neue Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan boxt in ihrer Freizeit. Durchsetzungsfähigkeit braucht sie auch in ihrem neuen Amt. Dass es das Ministerium noch gibt, ist nicht selbstverständlich – etliche Stimmen haben die Eingliederung in ein anderes Haus gefordert. Wie fast alle Industriestaaten streicht Deutschland die Mittel für Entwicklungshilfe zusammen oder richtet Projekte noch stärker als bisher nach eigenen Interessen aus.
Alabali-Radovan ist die erste Bundesministerin, die mit ihrer Familie aus dem Nahen Osten nach Deutschland geflohen ist. Sie wurde 1990 in Moskau geboren, während ihre Eltern dort studierten. Danach kehrte die Familie für kurze Zeit in die autonome Region Kurdistan Irak zurück. Dort konnte sie nicht bleiben, weil der Vater im Widerstand gegen Saddam Hussein aktiv war. Die ersten Monate in Deutschland verbrachte die Familie in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Mecklenburg-Vorpommern.
Alabali-Radovan studierte Politikwissenschaft und arbeitete in der Flüchtlingshilfe. Anfang 2021 trat sie in die SPD ein und wurde im selben Jahr Bundestagsabgeordnete und Migrationsbeauftragte der Ampelregierung. Zentrale Fortschritte der vergangenen Legislatur gehen auch auf ihr Konto, etwa die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Migrantische Selbstorganisationen waren regelmäßig zum Austausch bei ihr im Kanzleramt. Als der asylpolitische Kurs der Ampel nach rechts rückte, war klar zu erkennen: Alabali-Radovans Linie ist das nicht. Mit offener Kritik am Kanzler oder der Innenministerin aber hielt sie sich zurück. Anja Krüger und Dinah Riese
Die Ostbeauftragte: Für mehr Sichtbarkeit
Elisabeth Kaiser kommt aus Gera, der drittgrößten Stadt Thüringens. Sie engagiert sich in örtlichen Vereinen und hat 2017 als Abgeordnete im Bundestag begonnen, um Fördermittel für Bauprojekte in Gera zu akquirieren. Seit 2023 ist sie Parlamentarische Staatssekretärin im Bauministerium und leitet nun als Ostbeauftragte im Finanzministerium die Aufgabe, die Einheit Ostdeutschlands in sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen voranzutreiben. Die Ostbeauftragte ist künftig im Finanzministerium von Lars Klingbeil (SPD) angesiedelt, statt im Kanzleramt. Als Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland lautet Kaisers Auftrag nun, „die Einheit zu vollenden – sozial, wirtschaftlich und gesellschaftlich“. Eine Floskel, hinter der sich viele Aufgaben verbergen.
Dass es „den Osten“ nicht gibt, zeigt die SPD: Bei der Landtagswahl 2024 erzielte sie in Brandenburg mit 30 Prozent den höchsten Zweitstimmenanteil, während sie in Thüringen mit knapp 6 Prozent gerade so ins Parlament kam. Im Bundestagswahlkampf forderte Kaiser gezielte Investitionen in Infrastruktur und die Lebensleistung aller im Osten anzuerkennen.
Wie ihr Vorgänger Carsten Schneider stammt Kaiser zwar aus dem kleinen Thüringer SPD-Verband, gehört jedoch innerhalb der Fraktion dem linken Flügel der SPD an und ist im Vorstand der parlamentarischen Linken. Wohlstand solle gerecht verteilt und der sozial-ökologische Umbau gefördert werden. Von solchen Ideen würden vor allem die Bundesländer im Osten profitieren. David Muschenich
Integration: Die Stimme für Minderheiten
Zu Migration und Asyl hat Kanzler in spe Friedrich Merz viel zu sagen. Die Menschen, um die es dabei geht, interessieren ihn offenbar weniger: Das Amt der Staatsministerin und Bundesbeauftragten für Integration, Migration und Flüchtlinge zieht aus dem Kanzleramt aus – ins Arbeitsministerium.
Damit sackt das Amt in der Hierarchie ab – bleibt aber in SPD-Hand. Und zwar in der von Natalie Pawlik, bisher Beauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. In dieser Rolle hat die 32-Jährige sich vor allem mit den Belangen von Spätaussiedlern sowie der dänischen und friesischen Minderheiten, der Sorben und der Sinti und Roma befasst.
Pawlik wurde 1992 im sibirischen Wostok geboren. 1999 kam die Familie als Spätaussiedler nach Deutschland. Pawlik wuchs im hessischen Bad Nauheim auf und jobbte früh, um zum Familieneinkommen beizutragen. Schon mit 19 Jahren saß sie dort in der Stadtverordnetenversammlung. Ihre Biografie sei für sie „Antrieb gewesen, diese Gesellschaft gerechter und besser zu machen“.
Dass Pawlik nun im Arbeitsministerium sitzt, macht mit Blick auf den Sound der Koalition Sinn: Arbeitsmigration ist erwünscht, schließlich soll die Wirtschaft nicht kollabieren. Geflüchtete sollen aber bitte weg bleiben. Der direkte Draht von Pawliks Amt zum CDU-Kanzler oder dem CSU-Hardliner im Innenministerium fehlt. „Fluchtursachen bekämpfen, nicht Geflüchtete“, forderte Pawlik zum Weltflüchtlingstag 2023. Diesen Anspruch auch in der neuen schwarz-roten Koalition geltend zu machen, das dürfte eine große Herausforderung werden. Dinah Riese
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