: Anheizer. Analytiker. Alexander
Er ist einer der Köpfe der „Migrationswende“, mit der die Union Wahlkampf machte. Als Bundesinnenminister soll Alexander Dobrindt sie umsetzen. Dabei hätte der CSU-Politiker schon mit der Betreuung von Friedrich Merz und Markus Söder genug zu tun

Aus Berlin und München Sabine am Orde und Dominik Baur
Vor gut einem Jahr, es ist Mitte März, sitzt Alexander Dobrindt in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin umd erzählt begeistert von seiner jüngsten Reise. In der Ecke steht eine Büste von Franz Josef Strauß, darüber hängt ein Kreuz. Gereicht werden Weißwürste und Brezn. Es geht um Ruanda.
Dobrindt war gerade dort und macht sich nun für einen Pakt mit dem kleinen ostafrikanischen Land stark. Geflüchtete, die nach Deutschland kommen, so sein Plan, sollen nach Ruanda gebracht werden, dort das Asylverfahren durchlaufen und nach der Anerkennung auch dort bleiben. Diese Drittstaatenlösung, sagt der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, sei ein „notwendiger Baustein, um illegale Migration zu begrenzen“. Er habe ein UN-Flüchtlingslager in der Nähe von Kigali besucht, das zeige, dass dort Asylverfahren nach europäischen Standards möglich seien. Dass Gerichte gegen ein ähnliches Vorhaben Großbritanniens Einspruch erhoben hatten – geschenkt.
Die Szene ist typisch für den Mann, der jetzt Bundesinnenminister wird. Der Oberbayer profilierte sich in den vergangenen Jahren besonders stark mit harten Forderungen in der Migrationspolitik. In der „Bayern-Agenda“, dem ergänzenden Wahlprogramm der CSU zur Bundestagswahl, stellten er und seine Mitstreiter sogar das individuelle Recht auf Asyl in Frage; und als die Union im Januar gemeinsam mit der AfD einen Antrag über Migrationsverschärfungen durch den Bundestag brachte und damit einen Tabubruch beging, war Dobrindt eine der treibenden Kräfte. Er gehört zwar nicht zu denen in der Union, die gern mal an der Brandmauer zur AfD kratzen, meint aber, wenn man die extrem rechte Partei ein bisschen kopiere, kriege man sie schon klein.
Alexander Dobrindt inszeniert sich überhaupt gern als harter, konservativer Knochen. Gleich bei seiner ersten Klausurtagung als Landesgruppenchef setzte er 2018 einen neuen Ton und sich selbst an die Spitze einer „konservativen Revolution“, womit er einen neurechten Kampfbegriff verwendete. Der Umsturzversuch verlief zwar schnell wieder im Sande. Doch die Schlagzeilen hatte Dobrindt da schon dominiert.
Der Mann denkt in Schlagzeilen und versucht der Presse auch stets die dafür passenden Zitate zu liefern. Die „Anti-Abschiebe-Industrie“ war mal so eine Dobrindt-Kreation, auch die „Klima-RAF“. Den damaligen Grünen-Politiker Volker Beck bezeichnete er ohne jegliche Grundlage als „Vorsitzenden der Pädophilen-AG“. Besonders aber haben es ihm Alliterationen angetan. Ob er über „Kante, Kurs und Kompromiss“ philosophiert, „Mitte, Mehrheit, Merz“ proklamiert, über „Habecks Heizungshammer“ herzieht oder „Weiß-blau statt woke“ fordert – die Aussicht, am Ende als der Alberne-Alliterationen-Alex dazustehen, schreckt ihn offenbar wenig.
Dobrindt heizt die Debatte gern mal mit Forderungen an, deren Aussichtslosigkeit ihm bewusst sein muss. So wollte er im Wahlkampf das Betreiben von Tauschbörsen unter Strafe stellen, die das Ziel verfolgten, die Bezahlkarten für Flüchtlinge zu umgehen. Zuvor war er schon mit der selbst in der Union nicht mehrheitsfähigen Idee vorgeprescht, Deutschland möge doch alle arbeitslosen Ukrainer zurück in das Kriegsland schicken. Ach ja, und das Porträt des „russischen Söldners“ Gerhard Schröder im Kanzleramt solle abgehängt werden. Hauptsache, die Schlagzeile stimmt.
Die Ausflüge in rhetorisch seichte Gewässer könnten einen dabei aber schnell in die Irre führen. Denn Dobrindt ist ein intelligenter und scharfsichtiger Analytiker und Stratege, er hat – für den Lebenslauf eines CSU-Politikers eher ungewöhnlich – Soziologie studiert und vertieft sich gern in demoskopische Studien. Kaum eine populistische Forderung, die er im inneren Zirkel nicht auch mit Argumenten unterfüttern kann, warum sie bei der eigenen Klientel gut verfangen müsste.
Einer, der Türen öffnet
Noch überraschender allerdings ist, dass sich hinter dem Hardliner-Image ein Mann verbirgt, mit dem auch die politischen Gegner gern reden. Der als verbindlich, verlässlich und mit Verständnis für die roten Linien der anderen ausgestattet gilt.
Das hat Dobrindt gerade erst unter Beweis gestellt. Als sich Union und SPD bei den Koalitionsverhandlungen über Steuerfragen so verhakten, dass plötzlich ein Scheitern möglich schien, war es Dobrindt, der den Knoten löste. In zahlreichen Gesprächen suchte er – und nicht Friedrich Merz – mit SPD-Chef Lars Klingbeil eine Lösung. Mit Erfolg, wie mehrere Zeitungen rekonstruiert haben.
Auch zuvor, als es galt, die Grünen für die Grundgesetzänderung in Sachen Schuldenbremse zu gewinnen, hat Dobrindt eine entscheidende Rolle gespielt. Als die Zeit drängte, die Verhandlungen stockten und die grünen Fraktionschefinnen von Merz’ Gesprächsstil genervt waren, bat Dobrindt Katharina Dröge vor die Tür. Eine halbe Stunde sprachen sie zu zweit, danach gab es einen Kompromiss. Zu Details will Dröge sich nicht äußern, im Gespräch mit der taz gibt sie allerdings zu: „Die Art und Weise, wie Alexander Dobrindt verhandelt, hat dazu geführt, dass die Verhandlungen am Ende erfolgreich waren.“ Wobei sie Dobrindts Hetze gegen die Grünen natürlich nicht vergessen hat. Wenige Wochen zuvor hatte er diese noch als „Brandbeschleuniger für die AfD“ bezeichnet.
Es sei nicht hilfreich, ständig mit dem Kopf vor die Wand zu rennen, bis alle blutig sind, so beschrieb Alexander Dobrindt seinen Blick auf die Verhandlungen in einem Podcast bei Table.Media. Besser sei es, eine Tür zu suchen. Und: „Ich bin auf der Seite derer, die eine Tür suchen.“
Seine diplomatischen Fähigkeiten unterscheiden Dobrindt auch von den beiden starken Männern der Union, Friedrich Merz und Markus Söder, die für derlei nicht bekannt sind. So avancierte er in den vergangenen Jahren zum Vermittler auch zwischen den beiden, die Augsburger Allgemeinetitulierte ihn gar schon als „Paartherapeuten“.
Im Bundestag sitzt Alexander Dobrindt seit 2002. Durchgehend eroberte er in dieser Zeit den Wahlkreis Weilheim. Anders als der Münchner Franz Josef Strauß, der hier zuvor jahrzehntelang das Mandat geholt hatte, kommt Dobrindt auch tatsächlich aus der Gegend – genau genommen aus Peißenberg, einer Marktgemeinde auf halber Strecke zwischen München und der Zugspitze, auf deren Gipfel Dobrindt gern politische Weggefährten schleppt.
Dobrindt galt einmal als Seehofers Mann. Horst Seehofer, der ihn 2009 zum Generalsekretär machte, soll ihn in Stellung gebracht haben, um Söder als seinen Nachfolger zu verhindern. Von 2013 bis 2017 war er dann Bundesverkehrsminister. Der erste Abstecher ins Kabinett fiel jedoch wenig erfolgreich aus. Dobrindt war der Vater des Mautdesasters, das dann zu seinem Glück vor allem sein Nachfolger Andreas Scheuer auszubaden hatte. Auch im VW-Abgasskandal machte Dobrindt keine gute Figur. Seit 2017 steht er der CSU-Landesgruppe vor – ein Job, der ihm offensichtlich mehr liegt.
Einer, dem Söder vertraut
Sie seien „nicht automatisch schon geborene beste Freunde“ gewesen, sagte Söder mal. Inzwischen allerdings verbindet die beiden unverkennbar ein starkes Vertrauensverhältnis. Söder lässt seinem Statthalter in Berlin weitgehende Beinfreiheit, der wiederum kommt ihm in München nicht in die Quere. Ob die Konstellation auch noch funktioniert, wenn Söder künftig über den Koalitionsausschuss selbst mehr in der Hauptstadt mitmischen will, wird sich zeigen.
Innenministerium und CSU – thematisch passt das, auch wenn Dobrindts CSU-Vorgänger nicht zu den strahlendsten Vertretern ihrer jeweiligen Kabinette gehörten. Von der Amtszeit von Hermann Höcherl (1961 bis 1965) blieb nach einer Abhöraffäre vor allem das Zitat „Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen“. In den Achtzigern bekleidete das Amt Friedrich „Old Schwurhand“ Zimmermann, bekannt als strikter Law-and-Order-Mann, Hans-Peter Friedrich (2011 bis 2013) hinterließ noch weniger bis gar keinen Eindruck, und Seehofer schließlich hatte seinen Zenit schon überschritten, als er ins Bundesinnenministerium einzog. Er machte es zu einer Art Bunker, in dem er seine Niederlage gegen Söder zu verdauen versuchte.
Der 54-jährige Dobrindt wird sich daher genau überlegt haben, ob er sich noch einmal in die Kabinettsdisziplin einbinden lassen will. Aber nachdem die „Migrationswende“, wie sie der künftigen Bundesregierung vorschwebt, zu einem gehörigen Teil seine Handschrift trägt, ist es folgerichtig, dass er sich nun auch um deren Umsetzung kümmert.
Das Ruanda-Modell hat es zwar nicht in den Koalitionsvertrag geschafft, aber zahlreiche andere Verschärfungen, die die Union im Wahlkampf fest versprochen hat. Darunter die Zurückweisung an den Grenzen auch von Asylsuchenden, obwohl diese nach weit verbreiteter Auffassung gegen Europarecht verstößt und von angrenzenden EU-Ländern scharf kritisiert wird. Dobrindt könnte nun also das vollenden, was Seehofer nicht schaffte, weil die Kanzlerin es damals verhinderte.
Seine Chancen jedenfalls stehen besser. Denn er und Merz wollen die Verschärfungen beide. Dobrindt kann nicht nur, er muss sie sogar umsetzen. Es liegt an ihm, zumindest dieses Wahlversprechen einzulösen, nachdem Merz schon so viele gerissen hat. Der künftige Kanzler ist auf ihn angewiesen. Mal wieder.
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