Kindererziehung nach Trennung: „Das Finanzamt benachteiligt Nestmodell-Eltern“
Nina Schick betreut ihre Kinder abwechselnd mit dem Vater in derselben Wohnung. Vor Gericht kämpft sie um den Steuervorteil für Alleinerziehende.

taz: Frau Schick, Sie leben nach Ihrer Trennung im Nestmodell: Die Kinder bleiben in der Familienwohnung; Sie und der Vater wechseln sich in diesem „Nest“ regelmäßig ab und haben jeweils eine Zweitwohnung. Sie haben das Finanzamt verklagt, weil es Ihnen den Einkommensteuerfreibetrag für Alleinerziehende verweigert. Was ist Ihr wichtigstes Argument?
Nina Schick: Es ist ungerecht, Eltern im Nestmodell diesen Entlastungsbetrag nicht zu gewähren. Dieser Steuervorteil wird ja mit den höheren Kosten begründet, die Alleinerziehende gegenüber Paaren haben. Auch Eltern im Nestmodell müssen mehr ausgeben, weil jeder zwei Haushalte führen muss. Trotzdem verweigert der Staat ihnen die Steuerentlastung. Das Finanzamt benachteiligt Nestmodell-Eltern. Besonders deutlich ist das im Vergleich zum Residenzmodell.
taz: Dabei werden die Kinder überwiegend oder ausschließlich von nur einem Elternteil betreut. Das ist immer noch bei den meisten Kindern aus Trennungsfamilien so.
Schick: Genau. Hier räumt das Finanzamt den Freibetrag ein. Ich habe mal eine Vergleichsrechnung aufgestellt, wie meine finanzielle Situation im Residenzmodell aussähe. Das Ergebnis: Ich stünde jeden Monat um viele Hundert Euro besser da als im Nestmodell – obwohl ich dann alle Kosten, die wir jetzt aufteilen, alleine tragen würde. Das liegt vor allem daran, dass ich vom Vater vollen Unterhalt für die Kinder bekäme. Und dann müsste ich noch weniger Steuern zahlen wegen des Entlastungsbetrags. Im Nestmodell stehe ich also finanziell schlechter da. Übrigens: Zweitwohnungssteuer muss ich auch zahlen. Das ist in meinen Augen auch nicht der Sinn dieser Abgabe, die ja eher als Luxussteuer gedacht ist.
taz: Wie viel würden Sie denn durch den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende sparen?
Schick: Fürs erste Kind gibt es einen Freibetrag in Höhe von 4.260 Euro pro Jahr. Für jedes weitere Kind kommen 240 Euro dazu, um die das zu versteuernde Einkommen reduziert wird. Bei mir mit drei Kindern würde das bedeuten, dass ich jeden Monat netto gut 100 Euro mehr hätte. Das macht für mich einen enormen Unterschied. Finanziell muss ich schon sehr darauf achten, was ich mit den Kindern unternehmen kann und was nicht.
taz: Das Finanzgericht München hat Ihre Klage abgewiesen. Das zentrale Argument lautete: Sie und der Vater hätten durch das Nest eine „Haushaltsgemeinschaft“, weil Sie gemeinsam wirtschaften würden. Was sagen Sie dazu?
Schick: Das Gericht begründet die angebliche Haushaltsgemeinschaft allein finanziell. Dabei stellt man sich gemeinhin unter einer Haushaltsgemeinschaft doch ein Minimum an Zusammenleben vor, oder nicht? Es ist schließlich so, dass mein Ex-Partner und ich uns ausschließlich für die Übergaben gemeinsam in der Wohnung aufhalten, und den Kindern zuliebe mal zu Ereignissen wie Kindergeburtstagen. Ein gleichzeitiges Übernachten in der Wohnung beispielsweise ist absolut undenkbar. Natürlich mussten wir finanzielle Regelungen treffen. Die Miete und weitere Kosten teilen wir auf. Dabei geht es aber nur um die Versorgung der Kinder. Meiner Auffassung nach ist das Kindesunterhalt. Und über den müssen sich auch viele Eltern im Wechselmodell einigen. Vor allem dann, wenn sie – wie wir – unterschiedlich hohe Einkommen haben. Beim Wechselmodell betreut jedes Elternteil die Kinder in seiner eigenen Wohnung, die Kinder ziehen regelmäßig um. Gerade habe ich in einem Ratgeber gelesen, dass für das Wechselmodell ein gemeinsames Kinderkonto empfohlen wird, auf das beide Eltern unterschiedlich viel einzahlen. Da würde auch niemand von einer Haushaltsgemeinschaft sprechen.
taz: Im Urteil heißt es: „Letztlich lebte die Familie in der Familienwohnung weiterhin zusammen.“ Das klingt doch sehr nach Gemeinschaft, oder?
Schick: Das klingt für mich zynisch. Da trennt man sich und es ist alles so, so mühsam. Die Kinder sind traurig, dass es nicht mehr gemeinsame Eltern gibt. Und dann versucht man eben so eine Lösung, die in den eigenen Augen noch das Beste ist. Obwohl die Begegnungen mit dem Vater eine enorme Belastung für mich sind. Und dann wird da so getan, als ob das irgendwie weiterhin Friede, Freude, Eierkuchen sei, eine Gemeinschaft. Über diesen Satz im Urteil habe ich mich wirklich geärgert. Kurz darauf heißt es noch einmal, durch die Nestwohnung „sollte gerade die möglichst ungestörte Fortführung des Familienlebens dort gewährleistet werden“. Das zu lesen, tut weh. Nein, es ist keine Gemeinschaft mehr, sondern definitiv eine Trennung.
taz: Warum haben Sie sich überhaupt für das Nestmodell entschieden und nicht für ein Wechselmodell? Für Letzteres würde Ihnen das Finanzamt den Entlastungsbetrag gewähren.
Schick: Um die Kinder zu schonen: Sie können an einem Ort bleiben, in der bisherigen Wohnung und im gewohnten Umfeld. Sie haben dort ihre beste Freundin, denselben Schulweg. Sie haben einfach nicht diese ständigen Veränderungen. Ich sehe es ja an mir. Ich mache das jetzt seit fast drei Jahren. Es ist eine enorme Anstrengung, jede Woche zu wechseln, sich neu zu organisieren, jeden Montag einen Haushalt neu zu starten. Jedes Mal, wenn ich denke, das ist mir aber zu viel, denke ich mir: Besser, wir Erwachsene machen das, als dass drei Kinder hin- und herwechseln müssen.
taz: Bei vielen Nestmodellen müssen 3 Wohnungen zur Verfügung stehen. Beim Wechselmodell nur 2 Wohnungen. Wird beim Nestmodell Wohnraum verschwendet?
Schick: Wenn Sie nur die Zahl der Wohnungen rechnen, ja. Wenn Sie die Quadratmeter rechnen, nein. Unsere beiden Einzelwohnungen sind sehr klein. Im Wechselmodell bräuchten wir ja bei 3 Kindern beide sehr große Wohnungen, die dann jede zweite Woche zum Großteil leer stünden, weil die Kinder gerade beim anderen Elternteil sind.
taz: Wollen Sie in Revision gehen?
Schick: Das ist noch offen. Das Gericht hat ausdrücklich eine Revision zugelassen, weil es noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage gebe. Ich bin aber nicht sicher, ob ich noch die Kraft und die Ressourcen dafür habe.
taz: Haben Sie versucht, von Verbänden für Alleinerziehende Unterstützung zu bekommen?
Schick: Ja, einmal, aber ich bin auf kein großes Interesse gestoßen. Es ist eben ein so spezielles Modell. Mir ist noch niemand begegnet, der sich dafür ins Zeug legen würde. Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn sich jemand mit mir solidarisiert, denn ich fühle mich sehr allein damit.
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