Machtkämpfe beim BSW: Thüringer Wirsing-Rochade
Auf dem Thüringer BSW-Landesparteitag treten Anke Wirsing und Matthias Bickel gegen den aktuellen Vorstand an. Unterstützung kommt von ganz oben.

Sie heißen Anke Wirsing und Matthias Bickel und gelten beide als loyal gegenüber der Parteivorsitzenden Sahra Wagenknecht. Wirsing war früher bei der Linken und sitzt nun für das BSW im Thüringer Landtag. Für Bickel ist das BSW die erste Partei. Die beiden seien gut geeignet für den Vorsitz, findet BSW-Generalsekretär Christian Leye. Er fühle, in Thüringen brauche es neue Impulse, erklärte er dem Mitteldeutschen Rundfunk. Landtagsmitglied Sven Küntzel will als stellvertretender Landesvorsitzender kandidieren, berichtete der MDR. Auch er signalisierte, Wirsing und Bickel unterstützen zu wollen.
Die bisherigen Vorsitzenden Wolf und Schütz zeigten sich irritiert von der Unterstützung aus Berlin für ihre Konkurrenz. Der Konflikt zwischen der Bundespartei und dem Thüringer Landesverband schwelt schon länger. Vor allem zwischen Katja Wolf und Sahra Wagenknecht gab es in den letzten Monaten mehrere Auseinandersetzungen.
Zuerst war da die Regierungsbildung in Thüringen, bei der Wagenknecht öffentlich den von Wolf verhandelten Koalitionsvertrag kritisierte. Dann nahm Wagenknecht am Landesvorstand vorbei neue Mitglieder in Thüringen auf, die ihre Position teilten – also den Koalitionsvertrag zunächst ablehnten.Trotzdem setzte sich Wolf durch und brachte in Thüringen die Brombeerkoalition mit CDU und SPD auf den Weg.
Monate später, nach dem knappen Bundestagswahlergebnis, schrieb Wagenknecht dem thüringischen Landesverband eine Mitschuld daran zu, dass die Ergebnisse für das BSW bei den Bundestagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern hinter den Erwartungen zurückgeblieben waren. Wolf und ihr Co-Vorsitzender Schütz hielten dagegen. Aus Thüringen hieß es, die überschaubare Mitgliederzahl sei einer der Gründe, weshalb es bei der Bundestagswahl im Februar nicht für den Einzug in den Bundestag gereicht habe. Bislang hat der Landesverband hier nur 126 Mitglieder.
Bundesvorstand entscheidet über neue Mitglieder
Ob neue hinzukommen, das entscheidet mehr als ein Jahr nach Gründung der Partei immer noch der Bundesvorstand. Die Idee dahinter: langsam und kontrolliert wachsen, um zweifelhafte Interessent:innen aus der Partei zu halten und „das Projekt nicht zu gefährden“, heißt es auf der Website. Darum bleibe die Mitgliederaufnahme begrenzt.
Zu den rund 1.350 Mitgliedern, die das BSW derzeit hat, würden allerdings in den kommenden Wochen mehrere Hundert hinzukommen, erklärte Co-Parteichefin Amira Mohamed Ali der taz. Schon vor der Wahl hatte die Partei ihren Unterstützer:innen versprochen, mehr Mitglieder aufzunehmen. Denn unter ihnen hatte die restriktive Aufnahmepraxis für Unmut gesorgt und ihren Elan gebremst. Die letzte Entscheidung über Aufnahmen soll trotzdem weiterhin beim Bundesvorstand bleiben.
Wolf und Schütz haben vor, das zu ändern. Im Leitantrag, den sie ihrem Thüringer Landesverband beim Parteitag in Gera am 26. April vorlegen wollen, fordern die beiden „die Aufnahme von Mitgliedern durch Strukturen vor Ort“. Also: weniger Kontrolle für den Bundesvorstand und Sahra Wagenknecht.
Die Landesverbände spielen trotzdem eine wichtige Rolle
Im BSW wird also um Macht gekämpft. Am deutlichsten ist das gerade in Thüringen, aber nicht nur hier wird um die Richtung der Partei gerungen: Seit das BSW nicht mehr im Bundestag vertreten ist, wankt auch das Machtzentrum im Bundesverband.
Sahra Wagenknecht hatte vor der Bundestagswahl angekündigt, ihr politisches Schicksal hänge vom Ergebnis ihrer neuen Partei ab. Am Ende reichte es nicht für den Einzug in den Bundestag, mit 4,9 Prozent der Zweitstimmen verpasste das BSW ihn knapp. Und Wagenknecht sagte zunächst mehrere öffentliche Auftritte ab, zog sich merklich zurück.
Immerhin sichert das Ergebnis durch die staatliche Parteienfinanzierung die Zukunft des BSW teilweise ab. Doch ohne Mandate im Bundestag verliert die Partei im Bund wichtige Stellen und Personal, Einkünfte und Einfluss. Die Landesverbände sind auch deshalb im alltäglichen Betrieb kaum wegzudenken: In Thüringen und Brandenburg sitzt das BSW in der Regierung, in Sachsen zumindest in Parlamenten.
In Sachsen will das BSW über den Haushalt mitbestimmen
Anfang April sitzt etwa der sächsische Co-Landesvorsitzende Jörg Scheibe zurückgelehnt auf einem Stuhl im Landtagsgebäude. In Sachsen dreht sich die Politik derzeit um die schwierigen Haushaltsverhandlungen. In den nächsten zwei Jahren fehlen 4,3 Milliarden Euro, fast überall stehen Kürzungen an. Da CDU und SPD nur eine Minderheitsregierung führen, brauchen sie 10 Stimmen der Opposition für ihren Finanzplan. Und so erhofft sich das BSW mit seinen 15 Fraktionsmitgliedern Einfluss – obwohl es nicht Teil der Regierung ist.
Nach der Landtagswahl im vergangenen Jahr schien es zunächst, als würde das BSW mit CDU und SPD eine Koalition eingehen. Doch die Verhandlungen platzten. Scheibe bereut nicht, in der Opposition zu sein und nur indirekt mitzubestimmen: „CDU und SPD haben schon sehr hart um diesen Haushaltsentwurf gerungen, das wäre mit uns nicht leichter geworden. Jetzt müssen wir sehen, dass wir trotzdem unsere Marken setzen.“ Das sei eine große Verantwortung, deswegen sei die Stimmung in der Fraktion „ein wenig angespannt“.
Der Haushalt ist aber nicht das Einzige, was für Anspannung sorgt: Nach der Bundestagswahl schrieb Alexander Ulrich, BSW-Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz und Mitglied des Bundesvorstands, in einer internen Mail an seine Parteikolleg:innen, der Osten habe „nicht geliefert“.
Bei Jörg Scheibe klingt das anders: In den alten Bundesländern habe nur das BSW in Saarland mehr als 5 Prozent der Stimmen bekommen. Der sächsische Landesvorsitzende gibt sich etwas gereizt: „Da können wir uns natürlich sehr anstrengen hier.“ Aber schon im nächsten Satz schiebt er besänftigend hinterher, für eine so junge Partei sei das Ergebnis von fast 5 Prozent bei der Bundestagswahl „trotzdem ein Erfolg“. Das habe es noch nie gegeben.
Nun Blick nach vorne, auf die nächsten Wahlen. In spätestens vier Jahren gibt es einen neuen Versuch bei der Bundestagswahl. Bis dahin solle vor allem die Mitgliederzahl in Sachsen steigen – aktuell sind es hier nur 84 Mitglieder. Scheibe sagt: „Wir nehmen jetzt regelmäßig Mitglieder auf und wir wollen das beschleunigen.“ Momentan könne der Landesverband monatlich ein bestimmtes Kontingent an Anwärter:innen melden, der Bundesverband nehme sie nach einer Prüfung dann auf. „Wir wollen nun, dass das deutlich mehr werden.“
Noch besser wäre es, wenn der Bundesvorstand die Entscheidung komplett den Ländern übertrage, findet Scheibe. Schon aus organisatorischen Gründen. Wenn aus allen Landesverbänden neue Mitgliedsanträge zur Kontrolle in Berlin eingehen würden, sei das schwer zu leisten, sagt er. „Letztendlich sollten wir hier entscheiden. Der Bund kann von mir aus dann auch nochmal drübergucken.“ Das sei so auch schon beantragt und in Videokonferenzen besprochen. Scheibe geht bis zur Mitte des Jahres von mehr als 100 Mitgliedern im Landesverband aus.
In Sachsen-Anhalt sucht das BSW einen anderen Weg
Der benachbarte Landesverband in Sachsen-Anhalt hat die 100-Mitglieder-Marke schon überschritten. Trotzdem warten weiter mehr als 550 Anwärter:innen darauf, dem Bündnis beizutreten. John Lucas Dittrich, einer der beiden Landesvorsitzenden, verspricht, die Aufnahme beschleunige sich nun. Bis zur Jahreshälfte sollen es mehr als 200 Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt sein. Dittrich ist auch Teil des BSW-Bundesvorstands.
Im Gespräch mit der taz versichert der 20-Jährige, die Stimmung beim BSW in Sachsen-Anhalt sei gut. Bei der Bundestagswahl schnitt das BSW hier am besten ab, 11,2 Prozent erreichte die Partei. Dabei trat Parteichefin Sahra Wagenknecht selbst hier gar nicht im Wahlkampf auf.
2026 steht die nächste Ostwahl an, die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Dann sei auch Wagenknecht dabei, versichert Dittrich. Doch zunächst stehe der weitere Parteiaufbau im Vordergrund. Dittrich sagt, der Landesverband gehe es „ruhig und strukturiert“ an, damit das Ergebnis zweistellig bleibe. In den elf Landkreisen und den drei kreisfreien Städten hätten Mitglieder und Unterstützer:innen schon beim Bundestagswahlkampf geholfen. Das müsse sich nun professionalisieren.
Dabei wolle Sachsen-Anhalt seinen eigenen Schritt gehen, auch mit Blick auf andere Landesverbände. „Das Vorgehen des Thüringer Landesverbandes ist nicht unser Weg.“ Was er damit meine? „Der Weg in die Brombeerkoalition ist für uns als Partei nicht gut gelaufen. Dort haben wir massiv an Stimmen eingebüßt. Das ist kein Musterweg.“ Für den Landesverband in Sachsen-Anhalt seien die Positionen des BSW nicht verhandelbar. „Das werden wir im Wahlkampf auch sehr deutlich machen.“
Weil es in Sachsen-Anhalt um die nächste vielversprechende Wahl ginge, glaubt Dittrich, dass der Landesverband eine wichtige Rolle bekommen werde. „Wir werden uns bemühen, die auch einzunehmen.“ Aber nicht gegen den Bundesverband, sondern zusammen, betont Dittrich. (Mitarbeit: Daniel Bax)
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