EU-Richtlinie gescheitert: Wie Deutschland mehr Schutz vor Diskriminierung blockierte
Einheitlichen Schutz vor Diskriminierung in der EU wird es vorerst nicht geben – wegen der Blockade aus drei Ländern.
Diesen Missstand sollte die sogenannte 5. EU-Antidiskriminierungsrichtlinie beheben. Doch das Vorhaben ist vom Tisch – die EU-Kommission hat im Februar die Antidiskriminierungsrichtlinie aus ihrem Arbeitsprogramm gestrichen. Der Grund: „Keine Einigung in Sicht“, heißt es dort. Fast 17 Jahre wurde das Vorhaben blockiert, einen solchen EU-weiten Schutz vor Diskriminierung einzuführen. Hauptverantwortlich für das Aus ist neben Tschechien und Italien Deutschland. Seit 2008 blockiert Deutschland mit einem Veto im Europäischen Rat das Vorhaben, in dem nur einstimmig abgestimmt werden kann.
Die Richtlinie sieht vor, dass der EU-weite Diskriminierungsschutz im Zivilrecht erweitert wird. Derzeit sind dort nur die Merkmale „Rasse“ bzw. ethnische Herkunft und Geschlecht enthalten. Durch die Aufnahme der Merkmale Alter, sexuelle Orientierung, Religion, Weltanschauung und Behinderung sollten Lücken beim Schutz vor Diskriminierung geschlossen werden. Ein erweiterter rechtlicher Schutz scheint angesichts Studienergebnissen der EU-Agentur für Grundrechte von 2024 dringend geboten. Dort heißt es, dass mehr LSBTIQ-Personen in Europa offener mit ihrer Identität umgehen würden. Gleichzeitig seien sie mehr Gewalt, Belästigung und Mobbing ausgesetzt als zuvor. Besonders gefährdet seien jüngere Personen.
Deutschland blockiert seit Jahren
Aber warum blockierte die Bundesregierung dieses Vorhaben? In Deutschland selbst ist mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein breiter Diskriminierungsschutz gegeben – inklusive der Merkmale, die auf EU-Ebene fehlen. Anpassungen hätte es für Deutschland demnach kaum gegeben. Auf eine Anfrage der taz antwortet eine Sprecherin des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): „Das BMFSFJ hat sich innerhalb der Bundesregierung vehement für eine Verabschiedung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie eingesetzt. Leider kam es innerhalb der Ampel-Regierung zu keiner Einigung.“
Als Bremser traten offenbar FDP-geführte Ministerien auf, wie der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. in einer Stellungnahme zur Entscheidung der Kommission kritisiert. 2008 äußerte Deutschland öffentlich noch Subsidiaritätsbedenken: Entscheidungen über solche Rechtsvorschriften sollten im nationalen Recht und nicht im EU-Recht geregelt werden.
Das EU-Parlament schreibt, dass Tschechien, Italien und Deutschland hauptsächlich aus finanziellen Gründen das Vorhaben blockiert hätten. Diese finanziellen Bedenken dürften eine Rolle für die deutsche Blockade spielen, sowie die Sorge, dass die Wirtschaft zu stark belastet wäre, wenn sie zur Barrierefreiheit verpflichtet würde.
Verbände und Antidiskriminierungsbeauftragte für Richtlinie
Die Liste der Institutionen, die von Deutschland die Aufgabe der Blockadehaltung fordern, ist lang: Darunter sind diverse Verbände, die sich für von Diskriminierung betroffene Personen einsetzen, aber auch alle Sozialminister:innen der Bundesländer. Ferda Ataman, die unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, zählt ebenso zu den Kritiker:innen. „An die nächste Bundesregierung appelliere ich dringend, die Blockade der Antidiskriminierungspolitik endlich zu überwinden“, sagt Ataman der taz. Deutschland müsse aus dem europapolitischen Abseits raus. „Gerade in Zeiten, in denen autoritäre und illiberale Kräfte Europa angreifen und die Gesellschaften spalten wollen, ist ein robuster Diskriminierungsschutz nötiger denn je.“
Im Koalitionsvertrag der kommenden Bundesregierung steht nun geschrieben, dass der Diskriminierungsschutz gestärkt werden soll. Was das konkret heißt, ob sie auch die EU-Richtlinie unterstützen, bleibt jedoch offen.
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