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VW und MaasaiLebenslängliches Greenwashing

Die Maasai in Tansania sollen ihre Rinderherden für 40 Jahre regelmäßig von einer Weide auf die andere treiben. VW will so Kohlenstoff-Emissionen wettmachen.

Soll hier mehr Gras wachsen? Masai mit Rindern in Tansania Foto: picture alliance

Kampala taz | Graslandschaften wie die in den Savannen Tansanias bedecken fast ein Drittel der Erdoberfläche. Sie sind enorme Kohlenstoffspeicher. Um noch mehr CO₂ aufzunehmen, sollen nun die Herden der Maasai schnell im Kreis herumgetrieben werden.

Dabei wird das Grasland auf Karten in Blöcke eingeteilt und die Hirten verpflichtet, die Herden alle zwei Wochen von einem Block auf den anderen zu treiben. Die Grashalme sollen nie kürzer als 5 Zentimeter sein, um schnell auf 10 Zentimeter zu wachsen. Ein auf künstlicher Intelligenz basierender Algorithmus berechnet dann mithilfe von Satellitendaten, wie viel CO₂ eingelagert wird.

In der Praxis bedeutet dies, dass die Maasai ihre Flexibilität verlieren, wo sie wann die Tiere grasen lassen, gibt Maasai-Anwalt Joseph Oleshangay zu bedenken: „Traditionell treiben wir die Tiere auf andere Weideflächen, aber nicht alle 14 Tage“, erklärt er. In der Regel würden die Herden alle drei Monate rotieren. „Manchmal gibt es in gewissen Gegenden Krankheiten wie Zecken, dann vermeiden wir diese“, so Oleshangay. Rotationsprinzipien würden diese „jahrhundertelange Funktionsweise und Erfahrungswerte in der Viehzucht untergraben“, so der Maasai-Vertreter.

In Kenia sind diese Methoden bereits in Kritik geraten. „Sie funktionieren einfach nicht“, erklärt Simon Counsell, unabhängiger Berater für Kohlenstoffhandel. Er kommt zum Schluss: „Es ist einfach nur ein großes Geschäft.“ Es gebe überhaupt keinen wissenschaftlichen Beweis, dass dadurch mehr Kohlenstoff eingelagert werde, und letztlich komme bei der Bevölkerung nur ein kleiner Teil an. „Es ist quasi ein Pakt mit dem Teufel“, so Counsell. „Man verkauft diese ganzen fragwürdigen Kohlenstoffkredite an genau jene Firmen, die den Planeten zerstören.“

Kohlenstoffprojekte laufen Gefahr, Landenteignung zu wiederholen

Mittlerweile wurden die ersten Verträge geschlossen, so der jüngste Bericht der Maasai International Solidarity Alliance (Misa), der am Dienstag vorgestellt wird. „Den Maasai wird nun auch noch vorgeschrieben, wie sie ihre Weidewirtschaft zu betreiben haben“, so Roman Herre vom FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk (Fian), das den Bericht mit ausgearbeitet hat: „Obwohl sie das natürlich seit vielen Jahrhunderten sehr gut können und machen – sowie lokal angepasst organisieren.“

Fazit des Berichts: „Bodenkohlenstoffprojekte laufen Gefahr, historische Muster der Landenteignung der Massai zu wiederholen, wobei Gemeinschaftsland von ausländischen Investoren kontrolliert und Weideflächen für vermeintliche Klimalösungen privatisiert werden.“

Misa fordert einen Stopp aller Verhandlungen. Sechs der elf von Misa besuchten Maasai-Gemeinden haben bereits Verträge mit tansanischen Kohlenstofffirmen unterzeichnet. Eine dieser Firmen ist Soil for the Future Tanzania, die auch im Auftrag des Autokonzerns VW CO₂-Handel betreibt. Laut Bericht haben vier Dorfgemeinden Vorauszahlungen erhalten, wobei es nicht klar ist, zu welchem Zweck und ob es sich dabei um Bestechungsgeld handelt.

Tansanias Regierung verspricht den Hirten dafür viel Geld. Rund 13 Millionen Dollar sollen die insgesamt 16 Gemeinden in den nächsten Jahrzehnten auf einer Gesamtfläche von rund 2,4 Millionen Hektar erwirtschaften. Im Juni 2024 überreichte Marco Ng’umbi, Kommissar für den Bezirk Longido, den Gemeindevorstehern einen Scheck. „Dies wird die örtlichen Gemeinden ermutigen, angemessene Pläne zur Flächennutzung zu entwickeln“, so der Bezirksvorsteher. Denn die Weideflächen der Tiere werden in der Zukunft „den Dörfern Geld einbringen“.

„Die meisten wissen nicht, wie Kohlenstoffhandel funktioniert“

Eines dieser Projekte wird von Volkswagen (VW) mitbetrieben. Der deutsche Autohersteller hat ehrgeizige Pläne. „Der Volkswagen-Konzern beschleunigt seine Anstrengungen, bis 2040 an allen Produktionsstandorten weltweit bilanziell CO₂-neutral zu werden“, heißt es auf der VW-Webseite. Dazu ist VW 2022 ein Joint-Venture mit ClimatePartner eingegangen, einem Start-up, welches „Unternehmen auf dem Weg zu Net Zero“ unterstützt. Auf taz-Anfragen antwortet die Firma nicht.

Die meisten Verträge haben eine Laufzeit von insgesamt 40 Jahren. „Wir betrachten dies als ein ernsthaftes Problem“, so Maasai-Anwalt Oleshangay. „Die meisten wissen nicht, wie Kohlenstoffhandel überhaupt funktioniert, und verpflichten selbst ihre ungeborenen Kinder, diesen Vereinbarungen Folge zu leisten.“

Oleshangay hat mehrfach VW-Vertretern diese Probleme erklärt, erzählt er. „Sie haben unsere Bedenken verstanden“, so der Anwalt: „Ob sie dem nun Taten folgen lassen, ist eine andere Frage.“ Ein Blick ins Internet-Archiv verrät: Bis Oktober war auf der VW-Internetseite das Projekt in Tansania noch prominent dargestellt. Nach den Gesprächen mit Oleshangay wurde es gelöscht. Auf taz-Anfragen reagierte der Konzern bis Redaktionsschluss nicht.

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