Demonstrationen zur Sicherheitskonferenz: Getrennte Vorstellungen von Frieden
Mehrere Tausend Menschen protestierten am Samstag an verschiedenen Orten für Frieden in der Ukraine und in Gaza. Gemeinsam haben sie nicht viel.
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Wegen des Anschlags sei dieses Jahr mehr Polizei da, erklärt der Versammlungsleiter. Man habe eine „sehr gute Kommunikation“. Aber dem Polizeiwunsch, aus der Demo aus Sicherheitsgründen nur eine Kundgebung an einem Ort zu machen, haben die Organisator:innen dann doch nicht entsprochen. Durch die Straßen rund um den „Bayerischen Hof“ will man schon ziehen, diesen Ort „umzingeln“, wie sie es nennen.
Neben den jedes Jahr gleichen roten Fahnen in verschiedensten Abwandlungen sind diesmal sehr viele Palästina-Flaggen in Rot-Schwarz-Weiß-Grün dabei. Der Nahost-Krieg – er ist dieses Jahr das zentrale Thema bei der Demo. Auf der Bühne beschreibt ein Palästinenser eindrücklich die Situation in Gaza, spricht von „Terrorismus und Völkermord“. Die Menge ruft „Free free Palestine“. Man wehre sich dagegen, „als Antisemiten verleumdet zu werden“, ruft die Moderatorin Laura Meschede ins Mikrofon.
Vor dem Hintergrund des Palästina-Konflikts scheinen der Ukraine-Krieg und die üblichen Warnungen vor dem „US-Imperialismus“ in den Hintergrund zu rücken. Aber das stimmt nicht so ganz. Auch klassische, in der Regel ältere Friedensbewegte von Pax Christi oder der DFG-VK sind bei der Demo dabei. Ein Ver.di-Senior trägt eine blaue Fahne mit weißer Friedenstaube und dem magentafarbenem Gewerkschaftslogo. Neben ihm läuft eine Blaskapelle.
Linke Miniparteien wie DKP oder die MLPD verteilen ihre Zeitungen Unsere Zeit und Rote Fahne. Einen schwarzen Block gibt es auch. „Kein Krieg fürs Kapital – Wir kämpfen für die Revolution“, erschallt es aus ihm. Ein Wagenknecht-Transparent ist auch zu sehen. Ganz hinten wehen ein paar Fahnen der Linkspartei. Ein buntes Häufchen, zu dem auch ein kleiner eigener Block von Kongoles:innen gehören. „Sofortiges Ende des Krieges im Kongo“ steht auf ihrem Transparent, und: „Sofortige Sanktionen gegen Ruanda + Komplizen“.
Unerschütterliche Hoffnung auf einen ukrainischen Sieg
Erstaunlicherweise spielt auch auf der pro-ukrainischen Demonstration die USA nur am Rande eine Rolle. Einsam schwimmt ein „Vance go home“-Plakat durch die Menge der Ukraine-Flaggen. „Taurus für die Ukraine“ und „Liebe reicht nicht, wir brauchen Waffen“ steht ansonsten auf den Schildern.
Während die Staatenlenker:innen und Sicherheitsexpert:innen wenige hundert Meter entfernt im Bayerischen Hof über die ungewisse Zukunft der Ukraine diskutieren, sind sich die etwa 450 Menschen am Odeonsplatz einig: Die Ukraine müsse über den Aggressor Russland siegen. Ein Satz, den der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seit mehreren Monaten nicht mehr so leichtfertig in den Mund zu nehmen wagt, auch nicht bei seinem Auftritt am Samstag auf der Sicherheitskonferenz.
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Die Wahrnehmung des Krieges von Ukrainer:innen hier in Deutschland und denjenigen, die in ihrer Heimat geblieben sind, gehen stark auseinander, sagt ein Demoteilnehmer, der sich als Oleksander vorstellt. Seine Eltern leben in Kamjanske, in der Mitte der Ukraine und seien von den täglichen Angriffen und Toten in den vergangenen drei Jahren erschöpft.
„Auch wenn meine Familie immer weniger an einen Sieg glaubt, weiß ich, dass wir nicht aufgeben dürfen“, sagt Oleksander. Die Nachrichten der vergangenen Tage und die möglichen Verhandlungen, die US-Präsident Donald Trump mit Kremlchef Wladimir Putin führen will, beunruhigen ihn nicht. „Für mich gibt es nur noch wenige Überraschungen, wir warnen seit Jahren vor Putin und bitten die EU uns zu helfen, jede neue Nachricht, zeigt nur, dass wir weiter auf die Straße gehen müssen.“
Demonstrierende warnen Europäer
Ähnlich sieht es Oksana, die seit elf Jahren in München lebt. Vier Stunden lang steht sie auf dem Odeonsplatz und hält ihr Schild in die Luft: „In der Ukraine verteidigen wir auch Deutschland“ mahnt das Blatt Papier. Sie wünscht sich von der neuen Regierung in Deutschland, dass sie verstärkt Waffen in die Ukraine liefert. Ein Wunsch den die Mehrheit auf der Demo und unter den Redner:innen teilen.
Auch die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann, eine starke Verfechterin von Waffenlieferungen an die Ukraine, ist zum Odeonsplatz gekommen. „Seit knapp drei Jahren schauen wir in die Ukraine, und das müssen wir weiter tun, denn die Ukrainer kämpfen nicht nur für ihre Freiheit, sondern auch für die Freiheit in Europa“, sagt Strack-Zimmermann auf der Bühne. Sie lobt Selenskyj für seine „historische Rede“, die er am Samstagmorgen auf der Siko gehalten habe.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter und der Grünen-Parlamentarier Anton Hofreiter betonen in ihren Reden die Zugehörigkeit der Ukraine zu Europa. „Es geht im Krieg um Menschenleben und nicht um technische Zahlen und genau für deren Sicherheit müssen wir uns einsetzen“, sagt Kiesewetter. Mit einem CDU-Kanzler könne die Ukraine sich sicher sein, dass Deutschland den Taurus liefere.
Während sich die Redner:innen auf der Bühne an dem politischen Geschehen der vergangenen Tage abarbeiten, fokussieren sich viele der Teilnehmer:innen darauf, was sie selbst für ihre Heimat tun können. Danylo und Andrii, die vor mehr als vier Jahren für ihr Studium nach München kamen, versuchen sich nicht von jeder Nachricht aus der Ukraine verunsichern zu lassen. „Wir erleben seit drei Jahren, wie unsere Heimat massiv angegriffen wird, ich weiß, dass es wichtig ist sich zu informieren, aber genauso wichtig ist es auch, auf die Straße zu gehen – egal was die Politiker gerade sagen oder eben nicht.“
Merkwürdige „Friedensdemo“ der Querdenker:innen
Auf dem Königsplatz in der Maxvorstand findet zur gleichen Zeit eine Kundgebung statt, die sich auch „Friedensdemo“ nennt. Organisiert ist dieses Treffen aber von den Resten der Münchner Querdenker:innen- und Corona-Leugner:innen-Szene. Ihr Motto „Macht Frieden!“ Wie im vergangenen Jahr sind etwa 2.000 gekommen. Es waren schon einmal mehr: 2023 kamen noch 10.000. Vieles ist in blau gehalten – Luftballons mit Friedenstauben, Transparente. Offensichtlich versuchen sie die alte Farbe der Friedensbewegung zu okkupieren.
Es ist eine äußerst krude Mischung, die sich hier versammelt hat. „Wir sind nicht im Krieg mit Russland“ oder „Grüner Wahnsinn! Ohne mich!“ ist auf Plakaten zu lesen. In Redebeiträgen wird das „System“ angeprangert, das „süchtig nach Krieg“ sei. Lob gibt es hier hingegen für US-Vize Vance, der vielen aus den Herzen zu sprechen scheint, wenn er gegen das demokratische Establishment in Europa wettert und sich mit AfD-Chefin Alice Weidel zum Gespräch trifft.
Von der Abgrenzung zur AfD hält auch Friedrich Pürner nicht viel, einer der Hauptredner. Der Arzt hat eine bewegte jüngere Vergangenheit: Als Gegner der einstigen Corona-Maßnahmen von Sahra Wagenknecht gecastet, zog er 2024 für das BSW ins Europaparlament, am 6. Februar dieses Jahres ist er mit einem lauten Knall wieder ausgetreten, sein Mandat aber hat er behalten. Aus den USA wird Helga Zepp-LaRouche zugeschaltet. Seit Jahrzehnten ist sie mit wirrsten Theorien auf dem Markt und führt die Minipartei BüSo an.
Bayern- und Deutschlandfahnen werden geschwenkt. Eine ganz neuartige Kreation ist eine Deutschlandfahne mit weißer Friedenstaube. Eines ist hier zumindest zu sehen: Nach rechts ist man offen.
Linkes Anti-Siko-Bündnis nicht nach rechts offen
Das ist man bei der linken Anti-Siko-Demonstration nicht. Die Bühne auf der Abschlusskundgebung am Samstagnachmittag auf dem Marienplatz ist größer als in den vergangenen Jahr, die Teilnehmer:innenzahl nicht. Die Veranstalter sprechen von 3.000 Menschen, die Polizei will 1.400 gezählt haben, die sich dem Protest des Anti-Siko-Bündnisses angeschlossen haben.
„Militarisierung schafft keine Sicherheit, Militarisierung kostet Leben“, ruft Lisa Poettinger von der Bühne. Die 28-jährige Lehramtsstudentin hat in den vergangenen Tagen bundesweit für Schlagzeilen gesorgt: Weil sie sich an Aktionen des zivilen Ungehorsams für den Klimaschutz beteiligt hat und als Marxistin versteht, verwehrte ihr das bayerische Kultusministerium den Antritt zu ihrem Referendariat.
Das Linken-Mitglied ist eine der führenden Stimmen der Klimaprotestbewegung in Bayern und organisierte außerdem Massendemos unter dem Motto „Gemeinsam gegen rechts“. So etwas kommt im CSU-geführten Freistaat nicht gut an. Aber dafür ist der Applaus der Demonstrant:innen auf dem Marienplatz an diesem Tag um so größer. „Wir wollen nicht kriegstüchtig werden, sondern friedfertig sein“, schließt sie ihre Rede.
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