Münchner Großdemo gegen Rechts: „Auf keinen Fall, Digga“
Hunderttausende sind auf die Münchner Theresienwiese gekommen, um gegen Hass und Hetze zu demonstrieren. Auch die Union bleibt nicht ungeschoren.
![Demonstranten hinter einem Absperrband Demonstranten hinter einem Absperrband](https://taz.de/picture/7517977/14/37629664-1.jpeg)
Tausende und Abertausende sind gekommen, um gegen Rechts ihre Stimme zu erheben, gegen Hass, gegen Hetze und gegen die, die den Rechtsextremen ihrer Meinung nach die Hand reichen, wenn nicht gar den Steigbügel. Am Fuße der Bavaria, einer Art Münchner Freiheitsstatue, knapp 20 Meter hoher in Bronze gegossener Patriotismus, haben sie die Bühne aufgebaut.
Gerade steht dort Robert Misik, Wiener, Journalist, taz-Autor. Er berichtet von seinem Land, einem Land, in dem sich ein Herbert Kickl, der Chef der rechtsextremen FPÖ, anschickt, die Macht zu übernehmen. „Es ist etwa so“, sagt Misik, „als würde Björn Höcke bei Ihnen Bundeskanzler werden.“ Und er fragt, als sei es für Deutschland noch nicht zu spät, aus dem Schicksal des Nachbarlands zu lernen. „Aber wie kommt ein Land an so einen Abgrund?“ Seine Antwort: „Allmählich, und dann plötzlich.“
Dreißig Jahre lang sei in Österreich das Klima vergiftet worden, die Sprache. Am Ende sei dann jeder Migrant als Krimineller hingestellt worden, jeder Flüchtling als Messerstecher. Schleichend sei die Vergiftung des Klimas geschehen, in kleinen Dosen – „dann rasant, eine Rutschpartie ins Fiasko.“ Erst sei es ein Tabubruch gewesen, dann langsam zur gewohnten Übung geworden. „Es ist, das ist die Lehre aus meinem Land, so unschätzbar wichtig, dass Sie genau jetzt, genau bei den ersten Versuchen, den ersten Tabubrüchen, schon aufstehen und sagen: Halt, stopp, hier geht’s steil bergab, da lauert der Abgrund!“
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Die Brandmauer ist tot
Die Menschen haben Schilder mitgebracht. „Wer schweigt, stimmt zu. Nie wieder“, steht auf den Pappen und: „Sie haben Hass, wir haben Haltung“. Oder auch: „Sometimes RIGHT is just WRONG“. Besonders beliebt sind „Menschenrechte statt rechte Menschen“, „EkelhAFD“ oder schlicht „Auf keinen Fall, Digga“. Frauen, Männer jeglichen Alters, auch einige Kinder sind da. Es wehen Europafahnen, Friedensfahnen, Regenbogenfahnen im leichten Wind, auch die Königlich Bayerischen Antifaschisten schwenken ihre Fahne. Einer hat einen Grabstein mitgebracht. „Brandmauer“ steht darauf. Und das Todesdatum: „29.1.25“.
Ira B und die Dystopianer singen von der braunen Raupe Nimmersatt, die junge, in München aufgewachsene Jüdin Joëlle Lewitan erzählt von ihren Großeltern, die den Holocaust überlebt haben und sich trotzdem dafür entschieden haben, in diesem Land, im Land der Täter zu bleiben, die an die Kraft der Demokratie geglaubt haben. Und sie erzählt davon, was wir ihnen schuldig sind. „Ich stehe heute hier, laut und wütend“, sagt sie. Und ganz bestimmt ließen sich die Juden in Deutschland nicht für rechte Hetze instrumentalisieren. Der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus gehöre immer zusammen. Wer gemeinsame Sache mit der AfD mache, sagt sie dann an die Adresse der Union, „der gedenkt nicht unserer Vorfahren, der verrät sie.“
Vereinzelt schweben Seifenblasen über den Köpfen, auch Luftballons und eine Drohne.
Alle sind sie da, in ihrer schönsten Vielfalt. Menschen, die wenig eint, aber doch das Wesentliche. Hans Well, zählt sie auf: „De Aufbretzltn und de Gschlampatn, de Zaundürrn und de Gwampatn, de Radlfahrer und de Porschefahrer, de evangelischn und de echtn Pfarrer, de Weiba und de Manna, de Metzger und de Vegana, de Tramhappatn und de Wutzla, de Freibierlätschn und de Noagalzutzla.“ Und, und, und … Und ob die Zuagroasten jetzt wissen, was ein Tramhappata ist, oder ein Noagalzutzla – es ist egal, Hauptsache, sie sind auch da.
Es ist ein altes Lied der legendären Biermösl Blosn, deren Texter Hans Well war; er hat es recycelt und für den Anlass adaptiert. Heute ist er mit seiner neuen Combo, den Wellbappn, gekommen. Eine Portion deftigen Sarkasmus hat er auch dabei. Von Höcke, der sich an die Macht geputscht hat, singt er in einem weiteren Lied: „Kameraden jetz wird aufgrammt, auf zur Remigration! Afrikaner, Mongolen, Österreicher, raus zur Massendeportation! Für Veganer gibt’s verschärfte Festungshaft, oane werd glei gschnappt, de Sarah Wiener hom’s beim Brokoli Essn, auf frischer Tat ertappt.“
Münchens CSU-Chef kommt nicht
Dann wird Hans Well von einer der Veranstalterinnen unterbrochen. Sie gibt das Ergebnis einer Zählung bekannt. Über 320.000 Menschen seien gekommen, Applaus brandet auf. Ursprünglich sollte die Demonstration im Univiertel stattfinden. Doch dann kamen schon Zweifel, ob der Platz reicht, und man hat sie schnell noch verlegt. „Das sind dreimal so viel wie in Wackersdorf“, sagt Well, der damals beim Protest gegen die WAA schon auf der Bühne stand. „Respekt!“
Ein Mann in Uniform kommt vorbei, er trägt ein Hitlerbärtchen. Und ein Schild, auf dem steht: „Alice Weidel lügt: Ich bin kein Kommunist. Mief heil!“
Später werden die Menschen noch einmal wie Erbsen gezählt, es seien nur 250.000 gewesen, sagt die Polizei. Was immer noch mehr sind als die erwarteten 75.000. Aufgerufen hatten zu der Großdemo die unterschiedlichsten Einrichtungen und Vereine – von den Kirchen bis zum FC Bayern. Auch viele Parteien zeigten Flagge und Gesicht. Der Chef der Münchner CSU, der bayerische Justizminister Georg Eisenreich, dagegen wollte ausdrücklich nicht kommen. Der Grund: Es sei zu erwarten, dass wegen ihrer Asylpolitik Stimmung gegen die Union gemacht werde. Eine nicht ganz aus der Luft gegriffene Annahme. Auf vielen Schildern steht: „Kein Merz im Februar“. Die Redebeiträge sind entsprechend.
Zu groß scheint bei den meisten hier die Furcht vor dem, was aus einem ersten Tabubruch entstehen könnte. Deshalb sind sie hier. Oder wie es Joëlle Lewitan sagt: „Wir brauchen die Demokratie, und in diesen Tagen braucht sie auch uns.“
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