Comeback der Linkspartei: „Bist du Jan van Aken?“
Der Linken-Chef hat dazu beigetragen, die Gräben in der Partei zu überwinden. Politik denkt er als Kampagne, das Wort „Apartheid“ benutzt er nicht.
Er schaut mal kurz bei Gewerbetreibenden rein. Im Restaurant Olympisches Feuer, wo sich St.-Pauli-Fans und linke Aktivisten schon seit Jahrzehnten treffen, klagt der Wirt über gestiegene Einkaufspreise. Eine kurdische Schneiderin, die Hochzeitskleider herstellt, berichtet, dass sie doppelt so viel Ladenmiete zahlt wie vor Corona. Van Aken, in manchen Läden mit „Moin Jan“ begrüßt, nickt und hört zu. Inflation, Mieten, das sind Themen der Linkspartei.
Er ist etwas angeschlagen bei seiner Tour durch das Schanzenviertel. Am Vorabend hatte er einen TV-Auftritt im ZDF und hat danach Wein getrunken. Schwierig im Wahlkampfendspurt. Aber er hat blendende Laune. In Aachen haben ihm vor ein paar Tagen zwei junge Frauen ein Freundschaftsband geschenkt, wie es bei Taylor-Swift-Fans Mode ist. Er krempelt den Jackenärmel hoch und zeigt es – halb stolz, halb noch immer verwundert. Mit viel Rosa und Herzchen. Farblich passt es immerhin zur rosafarbenen Mütze. „Fuck AfD“ steht auf dem Bändchen.
Er hat schon ein paar Wahlkämpfe erlebt, so viel Euphorie aber noch nie. Am U-Bahn-Ausgang kommt ihm ein junger Mann mit 1.-FC-Köln-Schal entgegen. Mit glänzenden Augen fragt er: „Bist du Jan van Aken? Warst super gestern im Fernsehen.“ Van Aken bedankt sich. Er wirkt fugenlos selbstsicher.
„Nun halten Sie mal den rechten Rand“
Die Wahlkampfauftritte der Linkspartei platzen seit ein paar Wochen aus allen Nähten. In der U-Bahn wollen Leute Selfies mit van Aken machen. Plötzlich Polit-Star. Jedenfalls ein bisschen. Eine Freundin hat ihm gesagt: Heb bloß nicht ab.
Jan van Aken ist 63 Jahre alt und Chef der Linkspartei. Aber er wirkt, trotz grauer Haare, nicht wie ein 63-jähriger Parteivorsitzender. Seine blauen Augen strahlen recht jugendlich. Er kann ein entzückendes Jungslächeln anknipsen. Sein Dresscode hat sich in den letzten Jahrzehnten offenbar nicht groß geändert: Jeans, Sweatshirt, mal ein Hemd. Alles an ihm wirkt casual, Anzug und Schlips wären Verkleidung.
Er klingt auch nicht wie ein Parteivorsitzender. Nichts Gravitätisches, Ausgewogenes, Formelhaftes. Im ZDF ranzte er erfolgreich AfD-Chef Tino Chrupalla an, der ihm ins Wort gefallen war: „Nun halten Sie mal den rechten Rand.“ Solche Ausrufesätze wirken bei ihm. Auch, weil er so groß ist.
Nach dem Schanzenviertel eilt van Aken zu einem Termin am anderen Ende der Stadt. Er nimmt kein Taxi, lieber U-Bahn. Aus der Jackentasche nestelt er einen Zettel hervor, der verrät, wer auf dem Podium sitzt. Aha, FDP, Grüne, SPD und er. Warum nicht die Union? Was sind die Themen? Man weiß es nicht so genau. Die linke Wahlkampforganisation wirkt eher improvisiert.
Radfahren ist eh gesünder
Abends ein Auftritt in Flensburg, danach nach Frankfurt am Main. Das geht nicht mit der Bahn. „Ich muss“, sagt er mit einem seltenen Anflug von Bekümmernis, „den Dienstwagen nutzen.“ Van Aken ist seit Oktober Parteichef. Seinen Dienstwagen hat er noch nie benutzt. Warum?
„Man muss aufpassen, dass man sich nicht verführen lässt“, sagt er. Schon der Fahrdienst des Bundestags erscheint ihm wie süßes Gift. Er habe junge und wilde linke Abgeordnete erlebt, die Fahrdienst und Diäten in Windeseile in zahme Karrieristen verwandelten. Er fährt lieber Rad, ist sowieso gesünder. Und: „Nur so kriege ich mit, wenn Radwege kaputt sind.“
Jan van Aken misstraut dem Parlamentarismus nicht grundsätzlich. Aber Restbestände der bei Bewegungslinken verbreiteten Vorbehalte gegen Institutionen, die gibt es noch.
Sonntagabend, Anfang Januar. Im Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale der Linkspartei, sitzt van Aken in seinem Chefzimmer. An der Wand hängt viermal Rosa Luxemburg. Das Zimmer sieht noch aus wie zu Katja Kippings Zeiten. Er hat nichts verändert.
Keine Triggerwörter
Am Holztisch sitzen Reem Hazan und Nimrod Flaschenberg. Beide sind Mitglieder von Hadash, einer linkssozialistischen israelischen Partei. Seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober gebe es keine Opposition mehr gegen Netanjahu, sagt Reem Hazan. Keinen Protest gegen die ethnische Säuberung im Westjordanland. „Alle sind rechts oder rechtsextrem. Die Mitte ist verschwunden.“ Andererseits, so Flaschenberg, sei die Mitte in Israel vom Krieg in Gaza erschöpft. Van Aken hört zu, fragt kurz nach, macht Notizen. Ein konzentriertes Gespräch, eine Stunde lang.
Van Aken fragt: „Was ist eure zentrale Forderung?“ „Stopp der deutschen Waffenlieferung an Israel“, sagt Hazan ohne Zögern. Van Aken hakt nach: Warum Waffen? Israel verfüge über Waffenindustrie und sei auf deutsche Rüstung nicht angewiesen. Ob es nicht sinnvoller sei, mehr auf finanziellen und wirtschaftlichen Druck zu setzen?
„Wir können eine gemeinsame Erklärung verfassen“, sagt der Linke am Ende. Aber: „Ich benutze das Wort Apartheid nicht“. Wenn man in Deutschland Apartheid sage, „reden wir danach nur noch über das Wort, nicht mehr über die Zustände“.
Empfohlener externer Inhalt
Als am 7. Oktober in Tel Aviv der Raketenalarm ertönte, war van Aken dort. Er hatte einen Job bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er kennt die Debatten in Israel, in Palästina, in Deutschland. Und die Missverständnisse. Van Aken bewegt sich ziemlich trittsicher in vermintem Gelände.
Das Image der Putin-Freunde
Eigentlich ist er Außenpolitiker, Experte für Biowaffen und Abrüstung. Die Linkspartei war im Herbst im freien Fall und schien sich auch noch wegen Nahost – Lieblingszoffthema linker Rechthaber – zu zerlegen. Van Aken half, einen vernünftigen Kompromiss zu zimmern, der Kritik am Hamas-Terror und israelischen Kriegsverbrechen mit der Forderung nach Waffenstillstand und Freilassung der Geiseln verband. Seitdem ist die Implosionsgefahr in der Partei erst mal gesunken.
Noch eine zweite Entschärfung versuchte er: Waffenlieferungen an die Ukraine sind für viele GenossInnen eine rote Linie. Man will ja Friedenspartei sein. An der Partei klebt aber das Image, Putins Krieg nicht so schlimm zu finden. Und halbherzige Kritik an Putin gern mit ermüdend langen Ausführungen über die Nato-Osterweiterung zu verbinden.
Van Aken versucht, diese für die Partei moralisch wie diskursiv missliche Defensive mit einem Überraschungscoup zu drehen. Die Sanktionspolitik des Westens sei zu lasch, ätzt er. Dass russische Tanker als Schattenflotte Unmengen Öl durch die Ostsee transportieren, kritisierte er schon, bevor es in den Überschriften stand.
Dieses Geld fließe direkt in Putins Kriegskasse, die Bundesregierung tue nichts. Van Aken hat den pazifistischen Ansatz vom Ruch der Kollaboration mit Putin gereinigt, ohne das Parteiheiligtum – keine Waffenlieferungen – umzustürzen. Die Kremlpartei, sagt er, sei das BSW.
Kurz und knackig
Seit ein paar Wochen strömen Tausende Jüngere in die Linkspartei. Weil die Republik nach rechts kippt. Weil Wagenknecht und Co die Partei verlassen haben. Weil Co-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek ein richtiger TikTok-Star ist. Und auch, weil van Aken ein paar Barrieren beiseite geräumt hat. Die diskursive Neujustierung des Pazifismus hat die Hemmschwelle für junge, linke AktivistInnen, die auf Putin-Nähe allergisch reagieren, gesenkt. Wie stabil das ist, wird man sehen.
Van Aken ist kein Theorielinker. Mehr als die Wahrheit interessiert ihn: Funktioniert das? Lieber knappe Sätze als lange Reden. „Ich kann in Talkshows drei gerade Sätze sagen. Das ist eine meiner Stärken“, sagt er. Falls er Selbstzweifel kennt, verbirgt er sie beeindruckend gut.
Das Spontane, Authentische kann aber auch ungehobelt wirken. In einer Wahlsendung herrschte er Sahra Wagenknecht an: „Jetzt halt doch mal den Mund.“ Die Mixtur aus Duzen, seiner raumgreifenden Körperlichkeit und Ruppigkeit gegenüber einer Frau wirkte unhöflich. Das Unbürgerliche, Direkte hat auch eine Schattenseite.
Herr van Aken, was hat Sie politisch am stärksten geprägt?
Die Antwort kommt wie immer ohne Zögern. „Bei Greenpeace Kampagnen zu machen.“ Dort hat er in den 90er Jahren gearbeitet. Es hat sein Denken, seinen Begriff von Politik geformt. Bei Kampagnen müsse man erst das Ziel identifizieren. Ein Ziel, nicht zwei. Und dann alle Kräfte auf diesen Punkt fokussieren.
Mietendeckel, Mietendeckel, Mietendeckel
In Schulungen lehrt van Aken, wie man Kampagnen inszeniert: „Wenn ihr versucht, die Wand einzudrücken, scheitert ihr. Wenn ihr eine Reißzwecke nehmt, könnt ihr einen Riss erzeugen.“ Van Aken denkt Politik nicht als komplexes System, in dem man sich umsichtig zu bewegen hat, sondern als Suche nach dem einen Punkt.
Der Wahlkampf der Linkspartei folgt einem Kampagnendrehbuch. Im Fokus stehen Mieten. „Ich muss jeden Tag mindestens dreimal Mietendeckel sagen“, so van Aken fröhlich. Die Linkspartei hat eine App eingerichtet, in der MieterInnen zu hohe Mieten und Nebenkosten melden können. Das ist die Reißzwecke. Es reicht nicht, das Richtige zu wollen, man muss auch brauchbares Werkzeug haben.
Die Gefahr ist nicht, dass sich Jan van Aken an Dienstwagen gewöhnt und den Sirenengesängen des Systems erliegt. Oder flüchtigem Ruhm auf den Leim geht. Die Gefahr ist, dass er das robuste „Wir gegen die“ übertreibt. Dass er nur noch den Punkt sieht, nicht mehr die Wand.
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