Grünen-Politikerin über Kinderschutz: „Wir tragen riesige Verantwortung“
Am Freitag will der Bundestag Strukturen gegen sexuellen Kindesmissbrauch gesetzlich verankern. Das sei ein „Meilenstein“, sagt die Grüne Denise Loop.
taz: Frau Loop, bei den Unwägbarkeiten rund um das Abstimmungsverhalten von CDU und AfD am heutigen Freitag, denkt eigentlich noch irgendjemand an andere Gesetze, die verabschiedet werden sollen?
Denise Loop: Ich würde es mir auf jeden Fall wünschen. Gerade beim Thema Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) haben wir schon vor dem Scheitern der Ampelkoalition versucht, eine gemeinsame breite Mehrheit im Parlament herzustellen. Auch mit der CDU hatten wir Gesprächstermine. Es war uns wichtig, dass es nicht im parteipolitischen Kleinklein untergeht, sondern dass man es gemeinsam beschließt. Genau das wird uns hoffentlich gelingen.
30, sitzt seit 2021 für Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Die Sozialarbeiterin ist Obfrau der Grünen im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
taz: Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik waren 2023 rund 18.500 Kinder betroffen unter 14 Jahren Opfer von sexuellem Missbrauch. Das Dunkelfeld ist wahrscheinlich noch viel höher. Was löst das bei Ihnen aus?
Loop: Ich finde es schrecklich. Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist mit das schlimmste Verbrechen, das man jungen Menschen antun kann. Wir wissen, dass es Folgen für das gesamte Leben haben wird. Wir als Staat, aber auch als Parlament und auch die gesamte Gesellschaft tragen eine riesige Verantwortung. Alle Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, tragen Verantwortung.
Ich bin vor anderthalb Jahren selbst Mutter einer Tochter geworden. Natürlich kenne ich die Zahlen als Sozialarbeiterin schon länger, aber jetzt habe ich noch mal einen ganz anderen Bezug dazu. Wir sind in der Verantwortung, die Strukturen zu stärken und abzusichern. Und das tun wir mit dem Gesetz.
taz: Das Gesetz also, das heute im Bundestag beschlossen werden soll: Wie schützt es denn jetzt konkret Kinder und stärkt Betroffene?
Loop: Erst einmal geht es darum, Institutionen abzusichern, die vorher nicht abgesichert waren. Die Unabhängige Beauftragte für den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, die Aufarbeitungskommission, der Betroffenenbeirat, sie alle waren immer durch Kabinettsbeschlüsse befristet.
Denise Loop, Bündnis90/Die Grünen
Mit dem Gesetz bekommen sie jetzt endlich eine feste Grundlage. Und wir erweitern den Aufgabenbereich der Beauftragten: der digitale Raum kommt mit rein, die Verpflichtung zur Erstellung von Schutzkonzepten und auch die angemessene Beteiligung von Kindern und Jugendliche an der Erstellung der Konzepte. Auch wurde eine Berichtspflicht an den Deutschen Bundestag festgeschrieben, sodass das Thema im Parlament aber auch im medialen Diskurs regelmäßig mehr Aufmerksamkeit bekommt. Zudem wird die Aufarbeitung erleichtert, indem wir die Akteneinsicht verbessern für Betroffene.
taz: Die Präsidentin des Kinderschutzbundes, Sabine Andresen, genauso wie der Betroffenenrat, der an die UBSKM angeschlossen ist, fordern aber gleichzeitig, dass damit auch erweiterte finanzielle Ressourcen einhergehen müssen. Die sind im Gesetz nicht festgeschrieben.
Loop: Das stimmt, das haben wir im Gesetz nicht festgeschrieben, das muss im Haushaltsverfahren geklärt werden. Wie alle wissen, daran ist ja auch die Regierungskoalition gescheitert. Für uns ist auf jeden Fall relevant, sich für eine bessere finanzielle Ausstattung der Strukturen einzusetzen. Wir haben uns erfolgreich für die Finanzierung der Sensibilisierungskampagne der Unabhängigen Beauftragten eingesetzt. „Schiebt den Gedanken nicht weg“ heißt sie, die wirklich sehr eindrücklich deutlich macht, dass jeder in der Verantwortung ist zu handeln.
Denn allein statistisch kennt jeder von uns betroffene Kinder und Jugendliche. Aber trotzdem kann man sich nicht vorstellen, dass man eine Person kennt, obwohl es vermutlich so ist.
taz: Im vorläufigen Regierungsprogramm versprechen die Grünen die gesetzliche Verankerung der Unabhängigen Beauftragten. Heißt das, Ihre Arbeit in diesem Bereich ist nun schon vor der Wahl erledigt?
Loop: Das würde ich so nicht sagen, wir haben in dem Bereich noch viel zu tun. Gerade im digitalen Raum müssen wir noch besser werden. Und gerade auch, wenn wir an die institutionelle Aufarbeitung denken. Gleichzeitig muss man sehen: 2010 fing es ja erst an, damals kochte die Berichterstattung zum sexuellen Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche so richtig hoch. Seitdem gibt es den Unabhängigen Beauftragten.
Der Betroffenenrat ist 2015 dazugekommen. Wir können sagen, dass wir heute ein Gesetz beschließen, das aus dem Mut der Betroffenen resultiert, die das damals öffentlich gemacht haben. Und wenn man bedenkt, dass viele Betroffene schon älter sind, dass sie zu einer Zeit Opfer von sexuellem Missbrauch wurden, als das Thema noch gar nicht präsent war, dann ist das schon ein Meilenstein.
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