Verfassungsschutz soll Bewerber checken: Und täglich grüßt das Berufsverbot
Rot-Grün in Hamburg erwägt Regelanfragen beim Verfassungsschutz, um Extremisten aus dem Staatsdienst zu halten. Das erinnert an den Radikalenerlass.
Bislang gibt es diese so genannte Regelanfrage in Hamburg nur für Sicherheitspersonal, vor allem für Polizist:innen. In den anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes ziehen Hamburgs Behörden den Verfassungsschutz nur anlassbezogen hinzu, also wenn es bereits Zweifel an der Verfassungstreue eine:r Bewerber:in gibt. Das könnte sich bald ändern.
Der Antrag der Regierungsfraktionen nimmt ausdrücklich auf die Bedrohung durch Rechtsextreme und Islamist:innen Bezug, die vermehrt darauf setzten, „gezielt in staatliche Strukturen einzudringen“. „Unser Staat war noch nie so bedroht wie heute“, sagt SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Auf eine konkrete Forderung will er sich nicht festlegen. „Wir erteilen einen Arbeitsauftrag an den Senat: Er soll die Problemlage beschreiben und Lösungsvorschläge machen.“
Sina Imhof, innenpolitische Sprecherin der Grünen, wird auf Nachfrage deutlicher: „Wir wollen prüfen, ob die Regelanfrage beim Verfassungsschutz auf weitere Bereiche des öffentlichen Dienstes ausgeweitet werden soll, etwa die Schulen.“
Kritik von Linken, Gewerkschaften und Bürgerrechtlern
Für den innenpolitischen Sprecher der Linken-Fraktion Deniz Celik ist klar, worauf das hinausläuft: SPD und Grüne wollten „den Weg für Regelanfragen bei den Sicherheitsbehörden“ freimachen. „Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen sind antidemokratisch, nicht nur geschichtsvergessen, sondern auch eine Bedrohung für eine plurale Gesellschaft“, teilt er mit. Für einen Eintrag beim Verfassungsschutz könne schon die Teilnahme an einer antifaschistischen Kundgebung reichen.
Auch die Gewerkschaften haben den Antrag der Koalition so verstanden: Keine zwei Stunden, nachdem Rot-Grün seinen Vorstoß öffentlich gemacht hatte, kritisierte Hamburgs DGB-Chefin Tanja Chawla in einer Pressemitteilung „die Wiedereinführung der Regelanfrage im öffentlichen Dienst“. Sie schlägt vor, den Antrag in der Bürgerschaft auszusetzen, um einen Dialog über ein Gesamtkonzept zur Extremismusprävention zu ermöglichen. Darin müsse es auch um Aus-, Fort- und Weiterbildung gehen.
„Die Regelanfrage auszuweiten, halten wir für eine völlig unausgegorene Idee“, fügt Sandra Goldschmidt hinzu, stellvertretende Landesbezirksleiterin bei Ver.di. Vorher gebe es viel mildere Mittel, etwa eine Selbstauskunft bei der Einstellung, die im Falle von Falschangaben auch arbeitsrechtliches Gewicht hätte. Oder geregelte Recherchen in öffentlichen Quellen. Sollten sich daraus Verdachtsmomente ergeben, könne man immer noch den Verfassungsschutz hinzuziehen.
David Werdermann von der Berliner Bürgerrechtsorganisation „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ empfiehlt Behörden, lieber ihre Personalabteilungen so zu schulen, dass sie eigene Recherchen anstellen und mit Bewerber:innen intensive Gespräche über die Verfassungstreue führen können. Der Verfassungsschutz habe sich in Sachen Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren „nicht gerade mit Ruhm bekleckert“ und hantiere mit der überholten Extremismustheorie, nach der Linke oft pauschal als Staatsfeinde diffamiert würden.
Zudem lege der Inlandsgeheimdienst meistens seine Quellen nicht offen. Betroffene könnten deswegen gegen eine Einstufung durch die Behörde kaum vorgehen. Den Verfassungsschutz hält Werdermann daher für ungeeignet, auch wenn er das rot-grüne Anliegen, den öffentlichen Dienst zu schützen, im Grundsatz für berechtigt hält. Mit einer Regelanfrage würden sich Behörden aber aus der Verantwortung stehlen. Im Zweifel sei dann der Verfassungsschutz schuld, wenn was schiefgeht. „Wir beobachten in mehreren Ländern, dass sich der Wind in eine illiberale Richtung dreht, in Richtung Regelanfrage und Berufsverbote.“
Ins selbe Horn stößt Fabian Georgi vom in Köln ansässigen Grundrechtekomitee: Den rot-grünen Antrag sieht man dort „aus grundrechtlicher Perspektive hochproblematisch“. Kern des Problems sei, dass hier mit den an Macht gewinnenden rassistischen und autoritären Tendenzen, wieder einmal, in repressiver Form umgegangen werden solle.
Hamburgs SPD trieb einst den Radikalenerlass voran
Georgi erinnert die rot-grüne Initiative an den Radikalenerlass, mit dem seit 1972 tausenden Linken Berufsverbot erteilt wurde. Treibende Kraft war damals die Hamburger SPD. Nach über 20 Jahren hatte der europäische Gerichtshof für Menschenrechte ihn für rechtswidrig erklärt.
Was für Blüten Einschätzungen des Verfassungsschutzes treiben können, zeigt aktuell ein Fall aus Bayern: Dort verweigert das Kultusministerium der Lehramtsstudentin Lisa Poettinger das Referendariat. In der Begründung heißt es, bei Protesten gegen die Internationale Automobilausstellung habe sie das Wort „Profitmaximierung“ verwendet – „eine den Begrifflichkeiten der kommunistischen Ideologie zuzuordnende Wendung. Die kommunistische Ideologie ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar“, so das Ministerium. Dass der Begriff auch im Mainstream der Wirtschaftswissenschaften geläufig ist, spielte keine Rolle. Dass Papst Franziskus ihn in durchaus despektierlicher Absicht ebenfalls verwendet hat, auch nicht.
Könnte Vergleichbares künftig in Hamburg drohen? „Es ist immer misslich, sich mit Bayern zu vergleichen“, sagt die Grüne Imhof, „aber meine Erwartung ist, dass so was hier nicht vorkommt.“ Letztlich entschieden ja die jeweiligen Behörden selbst über die Einstellung von Bewerber:innen. „Man ist nicht automatisch raus, wenn es einen Eintrag beim Verfassungsschutz gibt.“
Celik von der Linken meint: „Die Erfahrung lehrt etwas anderes: In der Praxis folgen die Behörden den Empfehlungen des Verfassungsschutzes.“
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