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AFD-Parteitag in RiesaWilde Weidel-Wochen

Beim AfD-Parteitag will sich Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin krönen lassen. Koalitionsoptionen hat sie keine – dafür Geschichtsrevisionismus.

Alice Weidel will Deutschland groß machen. Bei ihrem jüngsten Auftritt mit Elon Musk zeigt sich allerdings: Dafür muss sie noch üben Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Zu Weihnachten wurde Alice Weidel reich beschenkt. „Nur die AfD kann Deutschland retten“, schrieb Elon Musk, Techmilliardär und Verstärker des globalen Autoritarismus, auf seiner Social-Media-Plattform X. Einige Tage später ließ er einen argumentativ äußerst dünnen Gastbeitrag in das Springer-Blatt Welt heben – ein Coup für die AfD.

Wenn die Vorsitzende der Partei eine gleichgeschlechtliche Partnerin aus Sri Lanka habe, könne die AfD wohl nicht rechtsextrem sein, so lautete die These. „Klingt das für Sie nach Hitler?“, fragte Musk seine Leser:innen. Als Weidel dann noch einen Livetalk mit Musk eintütete, wirkte die Parteichefin für kurze Zeit fast gigantisch.

Ausgerechnet aber in der Woche vor dem Parteitag in Riesa, wo sich Weidel am Samstag zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl küren lassen will, entpuppte sie sich als Scheinriesin. Beim Talk mit Musk am Donnerstagabend – ausgestrahlt natürlich auf Musks X – wirkte Weidel überfordert. In drögem Schulenglisch stammelte sie ein paar rechte Allgemeinplätze zusammen, himmelte Musk fast unterwürfig an und deutete Hitler kurzerhand mittels plumpstem Geschichtsrevisionismus zum Kommunisten um. Selbst in der AfD-Bubble gab es nach dem Gespräch viel Fremdscham.

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Es war nicht der einzige fragwürdige Auftritt von Weidel in dieser Woche. Erst am Montag hatte das paläokonservative Magazin The American Conservative ein bemerkenswertes Interview veröffentlicht, in dem Weidel im schönsten Reichsbürger-Sprech argumentierte, Deutschland sei nur der „Sklave“ der USA und müsse als Diener nicht in den Krieg der Meister ziehen. Der CDU wiederum warf sie Kriegsgeschrei vor und stellte Vergleiche mit „wilden sexuellen Fantasien von impotenten Menschen“ an. Das Ganze rundete sie stilecht mit einem Zitat von Johann Gottlieb Fichte aus den „Reden an die deutsche Nation“ ab. Fichte gilt als intellektueller Wegbereiter der völkischen Ideologie. Weidels Interview war rechtsextremes Dogwhistling für Fortgeschrittene.

Treu der Reichsbürgerrhetorik

Ganz so überraschend kommt all das nicht. Schon länger gibt es ein Schlüsseldokument zum Verständnis von Alice Weidels Ansichten: eine geleakte private E-Mail, in der Weidel 2013, noch vor Gründung der AfD, unverhohlen ihre Weltsicht preisgibt. Deutschland werde „von kulturfremden Völkern wie Arabern, Sinti und Roma etc. überschwemmt“ und „von Verfassungsfeinden“ regiert, heißt es da. „Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte des 2. Weltkriegs“, schreibt Weidel. Der Reichsbürgerrhetorik ist sie treu geblieben.

Es ist die Wahlkampfstrategie ihres eigenen Bundesvorstands, die Weidel mit solchen Aussagen über den Haufen wirft. In einem der taz vorliegenden Strategiepapier für den Bundestagswahlkampf heißt es: „Als AfD begrüßen wir die durch die ‚Normalisierung‘ unserer Forderungen wachsende Anschlussfähigkeit von etablierten politischen Kräften und Bewegungen an die AfD.“ Von „Hitler in einen Kommunisten umdeuten“ steht nichts in dem Papier, über das zuerst der Deutschlandfunk berichtet hatte. Trotz allem ist die einstimmig von den Landeschefs im Dezember nominierte Weidel als Spitzenkandidatin gesetzt.

Aber auch auf dem Parteitag lauern Fallstricke, denn beim Wahlprogramm droht über noch einige offene Fragen Streit. So will der zweifach wegen eines SA-Spruchs verurteilte Björn Höcke endlich straffrei NS-Parolen rufen können und fordert in einem Antrag die Abschaffung der unter Rechtsextremen verhassten entsprechenden Paragrafen des Strafgesetzbuchs.

Noch mehr Konfliktpotenzial hat der Streit über die Parteijugend Junge Alternative. Einige Teile des völkischen Lagers sowie große Teile der Parteijugend wollen verhindern, dass der Bundesvorstand die als gesichert rechtsextrem eingestufte Jugend durch eine Neugründung näher an die Partei bindet, um besser disziplinarisch durchgreifen zu können.

Vater, Mutter, Kind als Familienbild

Ebenso ist eine Kontroverse bei der Wehrpflicht zu erwarten: Obwohl sie im Grundsatzprogramm steht, sprach sich vor allem der russlandnahe Co-Vorsitzende Tino Chrupalla dagegen aus, sie explizit ins Wahlprogramm zu heben. Und ein Streitpunkt, der Weidel besonders schmerzen dürfte: Eine Familie soll laut Wahlprogramm doch wieder explizit aus „Vater, Mutter, Kind“ bestehen – und damit faktisch sogar das Lebensmodell der eigenen Spitzenkandidatin ausschließen.

Bisher sieht der Leitantrag für das Wahlprogramm neben dem EU-Austritt und der Wiedereinführung der D-Mark die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland für billiges Gas vor. Leistungen für Asyl­be­wer­be­r*in­nen und Bürgergeld­empfänger*innen will die Partei stark einschränken, auch fordert sie Festnahmen an der Grenze. Erbschaft- und Vermögensteuer sollen abgeschafft, Unternehmensteuern gesenkt werden. Über Letzteres dürfte sich Elon Musk freuen, der in Brandenburg eine E-Auto-­Fabrik betreibt.

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