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Israels Kampf im GazastreifenVölkermord, im Ernst

Leon Holly
Essay von Leon Holly

In der „Süddeutschen Zeitung“ empört sich die Soziologin Eva Illouz über den Genozidvorwurf gegen Israel. Ihre Argumente sind nicht überzeugend.

Zerstörungen in Rafah, Gaza, 20. Januar Foto: Abdel Kareem Hana/ap

Z erstörte Landstriche, Bombenangriffe auf Flüchtlingszelte, Zehntausende tote Zivilisten. Der Krieg, den Israel in Gaza geführt hat und der trotz Waffenstillstandsabkommen wieder ausbrechen kann, hat in dem Küstenstreifen eine lebensfeindliche Trümmerlandschaft hinterlassen. Genozidforscher und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International werfen Israel deshalb vor, einen Völkermord zu begehen.

Der Vorwurf wird kontrovers diskutiert, was ja ganz richtig ist, solange sich die Debatte auf einem gewissen Niveau bewegt. Die Süddeutsche Zeitung jedoch veröffentlichte kürzlich einen Text, der vor Halbwahrheiten und merkwürdigen Argumenten strotzt.

„Völkermord? Im Ernst?“, ist der Text der französisch-israelischen Soziologin Eva Illouz übertitelt. Zu Beginn kritisiert Illouz Südafrika dafür, dass es Israel vor dem Internationalen Gerichtshof mit einer Klage des Völkermordes beschuldigt. „Warum … hat Südafrika nie Beschwerde eingelegt gegen den Völkermord an den Kongolesen, den Sudanesen in Darfur, den Rohingya oder den Syrern?“, fragt Illouz. Diesen Einwand entkräftet sie im Anschluss selbst als „Whataboutismus“. Doch es gebe ja weitere, „noch verstörendere Fakten“. „Verstörend“ nennt Illouz hier den Vorwurf des Völkermordes, nicht die israelische Kriegsführung.

Wenn Illouz von den Rohingya spricht, meint sie die muslimische Minderheit im Norden Myanmars, die ab Herbst 2016 von der Armee Myanmars massakriert wurde. Hunderttausende Rohingya flüchteten in das angrenzende Bangladesch. Das Schicksal der Rohingya spielt Illouz nun gegen jenes der Palästinenser aus. „In diesen (und anderen) Fällen war die Zahl der Todesopfer erheblich größer als in Gaza“, schreibt sie.

Das ist ein merkwürdiger Einwand – aus drei Gründen. Erstens kann Südafrika im Falle der Rohingya keine Genozidklage einreichen, weil ein Verfahren auf Antrag Gambias seit 2019 bereits läuft. Zweitens sprechen die Vereinten Nationen und die Asean Parlamentarians for Human Rights von 25.000 bis 43.000 getöteten Rohingya.

Wichtig ist, dass sich der Genozidvorwurf nicht auf moralische Empörung beschränkt

Die höhere Ziffer entspricht etwa der Zahl der bestätigten getöteten Palästinenser. Obwohl sich darunter auch Kämpfer befinden, dürfte die Zahl der zivilen Opfer und der Toten aufgrund von Hunger und Seuchen viel höher liegen, wie Wissenschaftler im Medizinjournal Lancet dargelegt haben.

Drittens ist das Aufrechnen von Opferzahlen taktlos – und geht am Thema vorbei. Wie viele Zivilisten getötet wurden, ist für die Frage, ob es sich um einen Völkermord handelt, nicht entscheidend. Laut Genozid-Konvention geht es um die Absicht der beschuldigten Partei, „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“.

Genozidales aus dem Alten Testament

Das führt uns zu den Absichtsbekundungen israelischer Politiker. Illouz spricht hier von fürchterlichen Rachedrohungen einer „Regierung im Schock“ nach den Hamas-Angriffen am 7. Oktober. Bald aber hätten die Politiker ihre Aufrufe eingestellt. Nur waren es nicht nur irgendwelche Politiker, die sich menschenverachtend äußerten, sondern auch die höchsten Regierungsbeamten. Staatspräsident Herzog machte „eine ganze Nation“ verantwortlich für das Hamas-Massaker, Premierminister Netanjahu zitierte genozidale Passagen aus dem Alten Testament, und Verteidigungsminister Galant sprach von „menschlichen Tieren“, als er ankündigte, dem Gazastreifen Strom und Lebensmittel vorzuenthalten.

Für Illouz sind diese Aussagen Ausrutscher im Eifer des Gefechts, während sie in Wahrheit recht kongruent mit der israelischen Kriegsführung sind. Auch verkennt sie, wie offenbarend diese Vernichtungsdrohungen sind. So wies der israelische Genozidforscher Omer Bartov darauf hin, dass es in Völkermordprozessen normalerweise sehr schwierig ist, den Verantwortlichen die Absicht nachzuweisen. In Israel aber posaunten die Politiker ihre Intentionen für alle Welt heraus.

Illouz nennt Netanjahu daraufhin einen „grauenvollen Staatschef“, womit sie nur zur Hälfte recht hat, denn er ist Israels Regierungschef. Trotzdem gesteht sie dem Premier zu, einen Krieg zu führen, „um Israels Bevölkerung zu schützen“. Ob dieser Krieg für mehr Sicherheit in Israel sorgen wird, bleibt zu bezweifeln.

Die Soziologin macht es „stutzig“, dass sich Netanjahu für seine Taten vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten soll, obwohl er demokratisch gewählt ist. Die Regierungsform sollte bei der Bewertung von Netanjahus Taten aber keine Rolle spielen.

Die Liste von seltsamen Argumenten und selektiven Belegen ließe sich noch weiterführen. So rechtfertigt Illouz die israelischen Angriffe auf zivile Einrichtungen, weil diese zum Kriegsgeschehen beitrügen. Was sie dagegen auslässt, sind die zahlreichen Fälle, in denen das israelische Militär gezielt Universitäten, Moscheen, Schulen und Wohnhäuser sprengt, ohne dass dort gekämpft wird.

Schließlich, schreibt sie, „können wir unserer moralischen Empörung“ über die Wiederbesiedlungspläne extremistischer israelischer Siedler keinen Ausdruck mehr verleihen, wenn der Begriff „Genozid“, „die schlimmste aller Schändlichkeiten, bereits verbraucht wurde“. Doch, natürlich können wir das. Gerade wenn wir im Gegensatz zu Illouz erkennen, dass die zerstörerische Kriegsführung und die Vertreibungen die Bedingungen für die Besiedlungsfantasien der Siedler sind.

Wichtig ist, dass der Genozidvorwurf sich nicht auf die von Illouz angesprochene moralische Empörung beschränkt. Als Kategorie des Internationalen Rechts entfaltet er Wirkung, weil sich alle Unterzeichnerstaaten der Genozid-Konvention verpflichtet haben, einen möglichen Völkermord zu verhindern oder einen abgeschlossenen zu bestrafen. „Wir haben Waffen geliefert und wir werden Waffen liefern“, sagte dagegen Bundeskanzler Scholz im Oktober im Bundestag. Sollte der IGH Israels Krieg als Genzoid einstufen, bleibt zu hoffen, dass auch Komplizenschaft gesühnt wird.

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Leon Holly
Jahrgang 1996, Studium der Politikwissenschaft und Nordamerikastudien in Berlin und Paris. Seit April 2023 Volontär der taz Panter Stiftung. Schreibt über internationale Politik, Klima & Energie, und Kultur.
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28 Kommentare

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  • Dieses Israel ist so dermaßen unfähig, es ist kaum zu glauben! Da entschließen sie sich zu einem Völkermord an den Palästinensern in Gaza, verfügen über das modernste und effektivste Militär der ganzen Region, bis hin zu Atomwaffen, haben vollen Zugriff auf ihre Opfer, die können weder emigrieren noch sich verstecken - und dann schaffen sie es in mehr als einem Jahr Kriegführung gerade mal, gut 2% des Opfervolkes zu vernichten? Zum Vergleich: Die Genozidäre in Ruanda brauchten nur 100 Tage für 75%, und die hatten im Wesentlichen nur Gewehre und Macheten zur Verfügung! Bei soviel Unfähigkeit kommt man langsam nicht umhin, am Willen zu zweifeln...

    Mir ist schon klar, dass dieser Zynismus angesichts der furchtbaren Realität in Gaza eigentlich unangebracht ist. Aber diesen lächerlichen Genozidvorwürfen kann man sich eigentlich nur noch so nähern. Die israelische Kriegführung in Gaza ist sicherlich äußerst rücksichtslos, aber klar erkennbar nicht auf die physische Vernichtung des palästinensischen Volkes ausgerichtet. Und das ist halt das, was einen Genozid ausmacht, will man den Begriff nicht durch immer weitere Ausweitung entleeren.

  • Danke für den Artikel, volle Zustimmung. Ich vertraue lieber auf Völkermord-Experten und Rechtsexperten wenn es um dieses Thema geht und da ist die Meinung recht einstimmung und darunter sind etliche Israelische und jüdische Experten wie Omer Bartov, Raz Segal, Amon Goldberg etc. und auch Experten die bereits erfolgreich Anklagen wegen Völkermord vor dem ICJ geführt haben!



    Gerade dieses Ausspielen von Opfern gegeneinander finde ich mehr als geschmacklos. Zumal die Dame dabei scheinbar den Völkermord in Jugoslawien und auch den an den von vielen Nationen anerkannten Völkermord an den Jesiden ausblendet mit weniger Opfern. Das spielt bei diesem Verbrechen aber auch überhaupt gar keine Rolle, schlimm genug wenn das überhaupt immer noch passiert.



    Und wenn man über die Todeszahlen in Gaza reden will, dann kann man sich ja die Einschätzung internationale Ärzteteams ansehen. Hier ein amerik. Team: static1.squarespac...endix+20241002.pdf



    Und der neuste Lancet Artikel spricht davon das die Zahlen ca. 40% zu niedrig sind: www.thelancet.com/...4)02678-3/fulltext

  • Den Satz "Der Vorwurf wird kontrovers diskutiert, was ja ganz richtig ist, solange sich die Debatte auf einem gewissen Niveau bewegt" sollte sich der Autor lieber selbst zu Herzen nehmen. Es ist nämlich nicht sehr redlich, wie er hier Eva Illouz Empörung unterstellt und ihre Argumente zum Teil verdreht. Illouz Stärke ist es, Fragen zu stellen, statt vermeintlich eindeutige Antworten zu geben. So fragt sie z. B. " (...) Ist es ein Genozid oder ein Krieg? Haben Südafrika und Karim Khan in gutem Glauben gehandelt, als sie Israel beim Internationalen Gerichtshof (IGH) des Völkermordes angeklagt und beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant erwirkt haben?"



    Tatsächlich ist es doch auffällig, warum Israel schon vor dem 7.10., noch bevor es zu militärischen Einsätzen kam, Genozid unterstellt wurde, während es in recht eindeutigen genozidalen Konflikten ewig dauert, dies als Genozid anzuerkennen, das Engagement für Strafverfolgung durch SA ausfiel. Zweierlei Maß wird da angewendet. Das zu hinterfragen ist wichtig. Illouz' Beitrag in der SZ absolut lesenswert und klug.

  • Anders herum wird ein Schuh draus. Auch wenn ich das Grauen das sich durch den Angriff der Hamas im Gaza entfaltet hat nicht klein reden möchte. Es ist der Horror.

    "Man kann mit gutem Grund vertreten, dass es sich bei diesem massenhaften Mord um Völkermord handelt. Denn die Hamas will das jüdische Volk als Ganzes vernichten."

    Dieser Einschätzung haben sich mehr als 250 Juristen weltweit angeschlossen. In einem offenen Brief schreiben sie, dass die Hamas-Terroristen "offenbar mit der Absicht" handelten, "eine nationale Gruppe - die Israelis - ganz oder teilweise zu vernichten".

    Und weiter heißt es:

    Die Militäraktionen Israels der letzten Tage erfüllen die Voraussetzungen des Tatbestands des Völkermordes bislang nicht.

    www.zdf.de/nachric...sexperten-100.html

    Auch hier:

    Zunächst keine Hinweise auf Völkermord im Gazastreifen

    www.stern.de/polit...dazu-34356280.html

    Oder hier:

    Völkermord ist allerdings nicht Teil der Vorwürfe

    www.zdf.de/nachric...astreifen-100.html

    • @Pawelko:

      Die Absicht der Hamas war ungut und recht offensichtlich auf Terror aus. Den Drall "nationale Gruppe vernichten" kann ich hingegen so gar nicht nachempfinden, selbst wenn ich es mit aller Kraft vermute.



      Gucken Sie vielleicht auch noch mal auf den einen Schuh etwas länger?

    • @Pawelko:

      Das Dilemma, vor dem wir in der Beurteilung des israelischen Vorgehens im Gaza stehen, ist, dass wir sehr genau dorthin schauen müssen, wo wir - wegen der Grausamkeit des Geschehenen und der Verbundenheit mit dem Angeklagten - eigentlich nicht hinschauen wollen.



      Der Genozid-Vorwurf ist so ziemlich der schlimmste, der gegen einen Staat erhoben werden kann und in diesem Fall richtet er sich gegen den Staat Israel, der selbst einer existenziellen Bedrohung von außen ausgesetzt ist. Das sollte bei allen Erwägungen der Fairness und Gerechtigkeit wegen mitbedacht werden. Und das war gewiss Eva Illouz Intention, als sie in der SZ ihre Verteidigungsrede gegen den Völkermord-Vorwurf gegenüber dem Staat Israel formulierte.



      Zudem sollte sauber definiert werden, in welchen Fällen der Tatbestand des Genozids erfüllt ist und wann nicht.



      Aber Fakten lassen sich nicht ignorieren und man tut der Verteidigung des Beklagten keinen Gefallen, wenn die Argumente krumm und schief werden. Dies hat Leon Holly in seiner Erwiderung auf Eva Illouz eindrucksvoll aufgezeigt.

    • @Pawelko:

      "Denn die Hamas will das jüdische Volk als Ganzes vernichten."

      Dem Statement der Juristen kann man sich wohl nur klar anschließen. Es ist seit langem offensichtlich. Hier findet der tatsächlich sorgfältig vorbereitete Genozid statt, den Israel bisher vermeiden konnte. Auch wenn die antisemitische Internationale dies bedauert. Doch wen hätten sie dann als Feindbild? Auf wen könnten sie dann projizieren? Müssten sich vielleicht sogar mit sich selbst beschäftigen? Um dann in Entsetzen auszubrechen?

      Die Hamas wie ihre Chefs in Teheran haben ihre Nase zu lange in die "Protokolle der Weisen von Zion" gesteckt, der Urmutter aller Verschwörungstheorien und eine der übelsten Hetzschriften Anfang des letzten Jahrhunderts. Wann werden diese Leute im Jahre 2025 ankommen?

      Bundeszentrale für politische Bildung: "Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas"

      www.bpb.de/themen/...-charta-der-hamas/

  • Die möglichen "Whataboutismen" und Vergleiche, die man ziehen oder nicht ziehen kann, sind schon aufschlussreich. Der gemeinsame Nenner dabei: Wenn Juden bzw. der Judenstaat ("der Jude unter den Staaten") im Notwehrexzess gegen seine unmenschlichen Feinde vorgeht ist der weltweite Aufschrei mindestens 10 mal so groß wie bei jeder anderen Grausamkeit.

    Was im Sudan, im Kongo, in Syrien, Eritrea oder etwa in China mit den Uiguren passiert, scheint der Welt vergleichsweise egal zu sein, obwohl die Uiguren China nie angegriffen haben oder gar mit kompletter Vernichtung gedroht haben - wie es Palästinenser (selbst hier in Deutschland!) regelmäßig gegenüber Israel tun.

    • @Winnetaz:

      Kunming sagt Ihnen etwas?



      Hätte in der taz gestanden.

      Einigen wir uns einfach darauf, sowohl bei Marokko (Westsahara) als auch Israel (Palästina) einen zügigen Abzug anzuregen, in ähnlicher Lautstärke - beides ist der Schlüssel zum Frieden.

    • @Winnetaz:

      Schon Ihren Begriff „Notwehrexzess“ im Zusammenhang mit dem israelischen Vorgehen in Gaza halte ich für einigermaßen problematisch. Denn entweder IST es ein legitimer Akt der Notwehr auf den schrecklichen Terrorüberfall der Hamas am 7.10.2023 - oder aber es ist ein nicht zu rechtfertigender, unverhältnismäßiger (Gewalt-)Exzess der israelischen Seite gegen die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza. Als NOTWEHR lässt sich das dann nicht legitimieren und es ist außerdem völlig zu Recht zu prüfen, ob der Tatbestand des Genozid erfüllt ist.



      Wie Sie darauf kommen, dass der öffentliche Aufschrei bei vergleichbaren Menschheitsverbrechen angeblich geringer ausfällt, erschließt sich mir nicht ganz. Leon Holly hat in seinem Essay doch überzeugend auf Unterschiede und die Grenzen des Vergleichs zu anderen „prominenten“ Fällen hingewiesen.



      Möglicherweise liegt ein wesentlicher Unterschied in der Wahrnehmung dieser Verbrechen darin, dass uns mit Israel - aufgrund der deutschen Verantwortung für die Shoa und der daraus resultierenden Ereignisse - weitaus mehr verbindet als mit dem Sudan, Myanmar oder China.

  • Zum subjektiven Tatbestand von Genozid ist Vorsatz erforderlich. Wer diesen Vorsatz hat, wirft keine warnenden Flugblätter ab. Auch wer vertreiben will, tut das nicht. Also hat Eva Illouz vollkommen Recht. Das heißt nicht, dass es keine Kriegsverbrechen gegeben hat. Mir ist bei Antisemitismus übrigens völlig egal, ob er von alten Nazis, Stalinisten oder Arabern kommt.

    • @Claude Nuage:

      Die zahlreichen Aussagen von israelischen Spitzenpolitikern, Militärsprecher und des Präsidenten selbst sprechen für sich, sie:

      Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Armee, 10.10.23



      „Wir werfen hunderte Tonnen von Bomben auf Gaza. Der Fokus liegt auf Zerstörung, nicht auf Genauigkeit“.



      theguardian.com/world/2023/oct/10/right-now-it-is-one-day-at-a-time-life-on-israels-frontline-with-gaza



      Yoav Gallant, Kriegsminister, am 09.10.23



      „Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen Tiermenschen und handeln entsprechend.“



      timesofisrael.com/liveblog_entry/defense-minister-announces-complete-siege-of-gaza-no-power-food-or-fuel



      Premierminister Netanjahu am 08.10.23



      „Wir werden Gaza zu einer Insel aus Ruinen machen“



      timesofisrael.com/promising-merciless-war-on-hamas-netanyahu-says-israel-will-avenge-this-black-day/



      Generalmajor der israelischen Armee, Ghassan Allan, bei einer Ansprache am 09.10.23



      etc...

  • Mich verblüffte Illouz' Argumentationsführung auch, doch lese ich gerne gerade Texte, deren Einordnung ich nicht teile, um eigene Perspektiven besser kritisch zu prüfen.



    Ihr Artikel ist tiefer gehend als hier zusammengefasst. Doch wischt er auch zu leichtfertig einen ernstzunehmenden Vorwurf beiseite, den es gut zu prüfen gilt.

  • Ich halte diesen Essay für unlauter. Die Aussagen von Frau Illouin werden verdreht.

    "Zu Beginn wirft Frau I. ...".

    Nein.

    Zu Beginn zeichnet Frau I. die Konfliktlinien nach, zeigt die dominanten Seiten im Diskurs auf, verweist auf den unbedingten Glauben an die jeweils eigene Deutungsüberlegenheit.

    Der Ton des Artikels ist m.E. sehr um Dialog bemüht. I. stellt dabei kritisch den Begriff "Genozid" in Frage, und verweist auf jüngere Präzedenzfälle.

    Die festgefahrene Situation ist ihr schmerzlich bewusst:



    "Eines aber haben beide Lager gemeinsam: unerschütterliche Gewissheit, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen."

    Weiterhin rechnet Frau I. im SZ-Artikel die Opferzahlen (anders als Herr Holly) eben NICHT auf. Sie fragt, warum ausgerechnet Israel ein Genozid vorgeworfen wird, wenn es Dutzende andere Beispiele gäbe, bei denen SA und UN eben nicht unmittelbar tätig wurden.

    Und damit ist auch klar, wohin sie diskursiv zielt - nämlich das Herausstellen Israels als besonders böse, abscheulich, einzigartig - eben der Lieblingssport der Neo-Antisemiten: Hass im Gewand der Israelkritik.

    'Essays' wie der von Herrn Holly verhärten nur die Fronten weiter, anstatt Dialog zu stiften.

  • Die hier vorgebrachten Argumente gegen den Genozidvorwurf sind in der Tat nicht gut. Dennoch ist der Genozidvorwurf, so er erhoben wird, zu belegen, und dies ergibt sich nur aus einer Kombination aus Zitaten und Verhalten. Die vorgebrachten Zitate sind (sofern sie nicht, wie viele der von Südafrika vorgebrachten Zitate, völlig aus dem Kontext gerissen sind) sind hierbei ein möglicher Beleg. Dies jedoch als "kongruent mit der israelischen Kriegsführung" zu charakterisieren, halte ich für verfehlt. Denn Dinge wie Opferzahlen spielen durchaus eine Rolle, wenn es um die Ermittlung von Intentionen geht. Das Verhalten der IDF passt hierbei nicht zum geäußerten Vorwurf, ist es doch z.B. allgemein bekannt, dass Insassen von Mehrfamilienhäusern vor Angriffen oft gewarnt werden. Ebenfalls passen selbst die höheren Schätzungen der Opferzahlen nicht zum Genozidvorwurf, weil die Möglichkeiten, sehr viel höhere Opferzahlen zu erzeugen, leicht vorhanden gewesen wären.



    Das heißt nicht, dass die israelische Kriegsführung akzeptabel gewesen wäre. Aber: "Genozid" ist ein sehr spezifischer Vorwurf, den man nur verwenden sollte, wenn man ihn konkret belegen kann, und die Belege sind nicht überzeugend.

  • Wir rekapitulieren:

    Die gewählte Regierung der Palästinenser, die Hamas, greift Israel am 07.10.2023 an. Der Kriegsbeginn wird syncron geschaltet mit Irans weiteren Söldnerheeren wie Hizbollah, Huthis und Islamischer Jihad. Beginnt mit einem Angriff auf ein israelisches Friendesfestival. Wird so orchestriert, dass das Massaker an Grausamkeit (insbesondere Frauen gegenüber) alles in den Schatten stellt was wir bisher vom IS, den Taliban & Co. kennen.



    Die taz berichtete hervorragend darüber:



    taz.de/Sexualisier...er-Hamas/!5987483/



    so die NYT:



    www.nytimes.com/20...xual-violence.html

    Die Strategie sah vor, die Attacke so entsetzlich durchzuziehen, dass Israel zur Gegenwehr gezwungen wurde um seine Bewohner:innen zu schützen.

    Die Hamas verwendete ihre seit Jahrzehnten bewährte Taktik, Zivilpersonen Frauen und Kinder als Schutzschilde zu benutzen, insbesondere auch Wohngebiete, in denen sich diese aufhalten. So Schulen und Krankenhäuser, die gern als Waffenlager benutzt werden.

    Es geht nicht um Genozid sondern um Präventivmaßnahmen, in denen die Gefahr durch Terrororganisationen reduziert wird.

  • Leider gibt es in Zusammenhang mit allen Konflikten immer auch Fanatiker, die sich rationalen, fairen Überlegungen verweigern. Das ist auch in diesem so. Sowohl bei den Palästinensern als auch bei den Israelis gibt es solche Wirrköpfe. Nur auf einer Seite - das ist nahezu unmöglich, schließlich sind es alles Menschen, die handeln und denken. Wer sich aber erlaubt, diese einseitigen Schuldzuweisungen zu rechtfertigen, ist selbst nahe dran an der Position des Fanatikers. Auf diese Weise wird man niemals zu einem gerechten Frieden kommen - auf keiner Seite....

  • Will mich nicht am "G."-Wort festklammern. Was eindeutig ist, ist eine Kriegsführung, die zivile Opfer praktisch ohne jede Zurückhaltung in Kauf nimmt, und das, in den ersten Kriegswochen, im Verhältnis von über 100 zu 1 bei der Auswahl der Ziele: die vermutete Anwesenheit einer gesuchten Person rechtfertigte in den Augen des Militärs die Zerstörung eines Wohnblocks.

    Es ist das Gesicht eines asymetrischen Kolonialkrieges, so wie er einst von Franzosen und Briten gegen die Bevölkerung der kolonisierten Länder geführt wurde. Auch damals war den Franzosen sicher gleichgültig, wieviele Kämpfer oder Zivilisten sie in Algerien töteten bei dem hoffnungslosen Versuch, das nicht zu haltende Regime der Unterdrückung von Menschen zweiter Klasse aufrechtzuerhalten.

    Gewonnen wurde so ein Krieg dauerhaft noch nie. Es heißt, Hamas habe während des Kriegs mehr Kämpfer rekrutiert als verloren. Wer sich darüber wundert, hat nichts aus den Kolonialkriegen gelernt.

    • @Deutschfranzose:

      Ich stimme Ihnen absolut zu.

    • @Deutschfranzose:

      "Es ist das Gesicht eines asymetrischen Kolonialkrieges"

      Tatsächlich wurden mehr Raketen von Gaza aus auf Israel abgeschossen als umgekehrt. Es war die bessere Flugabwehr Israels, die verhindert hat, dass Israel ebenso aussieht wie Gaza. Und Sie glauben ja wohl nicht, dass die Hamas irgendwie zwischen Zivilisten und Militärs unterscheidet, oder?

  • > Bald aber hätten die Politiker ihre Aufrufe eingestellt.

    Haben sie das? Wieso fehlt die Antwort darauf hier im Artikel?

    Was hier auch fehlt: schützt sich Israel gegen die angekündigte Wiederholung des zweifelsfrei stattgefundenen Genozid durch die Hamas?

    Alle Staaten haben die Verantwortung, einen Genozid zu vermeiden. Warum gilt das nicht, wenn der Genozid gegen Israel verübt wird?

  • Ich weiss natürlich nicht, ob Sie Herr Holly, sich die Mühe gemacht haben den Bericht von AI zu lesen. Ich habe das getan. AI sagt selbst, auf Seite 101 ihres Berichts, dass der Genozidvorwurf anhand der aktuellen Rechtslage nicht funktioniert. Deswegen habe man sich einen eigenen Genozidbegriff überlegt haben, nach dem Israel dann eben einen Genozid begeht. Kann man hier herunterladen und nachlesen: www.amnesty.de/isr...onen-hintergruende

    Darüber hinaus sind die Opfer nicht bestätigt. Eine Behörde unter Kommando der Hamas veröffentlicht sie Zahlen. Da gibt es nicht mal eine Einteilung zwischen Zivilisten und Kämpfern. Und auch so sagt die Zahl immer noch nichts über die Absicht aus, die hinter ihr steckt. Der Völkermord an den Jesiden hatte 5.000 bis 10.000 Opfer. Die Frage ist eben die nach der Intention und die ist bis heute nicht belegt. Bzw. eben nur durch einen selbstkonstruierten Genozidbegriff, der einen Offenbarungseid darstellt- für die vorwerfende Partei.

    • @Paul Meier:

      Ich lege Ihnen ans Herz, die entsprechenden Passagen des AI-Berichts noch einmal zu lesen. AI gibt nicht zu, dass der Genozid-Vorwurf aufgrund der geltenden Rechtslage „nicht funktioniert“, sondern es verweist auf verschiedene Rechtsauffassung bezüglich des Kriteriums der Intentionalität (das ist etwas anderes!!!). Im Falle der israelischen Kriegsführung in Gaza ist das ohnehin leicht nachweisbar, wie die in dem Artikel oben zitierten Äußerungen israelischer Entscheidungsträger zeigen. Übrigens: selbst wenn man bestreitet, dass die Intentionalität nachweisbar ist, bleiben systematische Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von den Tätern teils selbst dokumentiert wurden. Es gibt hier nichts zu leugnen.

  • Nachtrag: Hier ein detaillierter Kommentar auf englisch zu den Haftbefehlen des ICC, und warum der “Genozid”-Vorwurf nicht enthalten ist. Ebenfalls ein Exkurs, warum genozidale Absichten und Handlungen im Sinne des Gesetzes weitaus klarer durch die Hamas und ihre Schergen am 7. Oktober 2023 demonstriert wurden.

    Wäre schön, wenn Journalisten sich erst einmal einen genauen Überblick verschaffen würden, anstatt die Punkte rauszupicken, die der eigenen Agenda entsprechen:

    web.archive.org/we...a-warrant-charges/

  • Was in solchen und ähnlichen Fällen (etwa beim Thema "Rassismus") immer wieder passiert: Statt über Täter und Opfer von "schlimmen" Ereignissen, statt über Leid von Menschen und Lösungsmöglichkeiten zu sprechen, wird darüber diskutiert, ob ein "Begriff" zutrifft oder nicht zutrifft. Stundenlang, wochenlang, jahrelang! Warum reicht es nicht, das verursachte Elend zu erfassen, anzuklagen, zu verurteilen?

    Ich wette, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland mit dem Begriff "Völkermord" in allererster Linie den Holocaust verbindet. Ja, nach der internationalen Definition des Begriffs, könnte man tatsächlich Argumente dafür anführen, dass Israel einen Völkermord beabsichtigt. Aber ich vermute, dass es den Pro Palästina Aktivisten gar nicht darum geht, sondern tatsächlich um die Dramatisierung der israelischen Verbrechen und die Assoziation mit dem Holocaust.

    Diese Assoziation ist aber grundfalsch, denn keine israelische Regierung hat geplant oder plant die vollständige Vernichtung jeden palästinensischen Lebens!



    NICHTS ist gewonnen durch die leichtfertige Verwendung des Begriffs.

  • Wegen Völkermordes wurden bis jetzt nur Politiker aus sogenannten "Dritte Welt Staaten" verurteilt, warum sollte es im Falle Israels plötzlich anders sein? Schließlich ist Israel im "Westen", in dem die genannten Prozesse stattfanden/finden bestens vernetzt.

  • Ich wiederum finde Leon Hollys Argumente hier nicht sonderlich überzeugend.

    Mein Hauptkritikpunkt: Hat Israel mit der Absicht gehandelt, die “Palästinenser”, oder besser gesagt, die Bevölkerung Gazas “als Ganzes oder zum Teil” auszulöschen? Ich bin da eher auf Seiten von Frau Illouz, anstatt aus dem Kontext gerissene, fehlgedeutete und letztlich nicht in Taten umgesetzte Zitate von israelischen Politikern kurz nach dem unfassbaren Überfall durch die Hamas als “Beweise” dafür heranzuziehen. Zum Glück werden die Gerichte sicherlich die Tatsachen bewerten, anstatt sich von der weit verbreiteten antizionistischen Stimmung in Feuilletons leiten zu lassen - hoffentlich. Was die “Experten” angeht, die einen Genozid erkannt haben wollen: Nun ja, es lassen sich für uns gegen so ziemlich alles “Experten” finden, wenn man nur will.

    Wenn ich mich recht erinnere, ist der Vorwurf eines Genozids nicht mal in den Haftbefehlen des ICC gegen Netanyahu und Gallant enthalten. Komisch, folgt man der Argumentation hier… und was sollen die feuchten Träume, Deutschland wegen “Beihilfe” gleich mit anzuklagen? Man könnte sich auch stattdessen einfach mal über den Waffenstillstand freuen…

  • Groß und breit analysiert und sogar aus dem alten Testament vermeintliche Genozidabsichten aus den Fingern gesaugt.

    Man muss bedenken: Das jüdische Volk hatte in den letzten Jahrhunderten viel mit Ausgrenzungen und Vertreibungen zu kämpfen. Letztendlich gipfelte das in den Holocaust. Was ist also der logische Schritt der jüdischen Bevölkerung? Doch nicht dasselbe machen? Und schon garnicht etwas, was vor tausenden von Jahren überliefert wurde? Mit den vielen Jahrhunderten in der Opferrolle wird das jüdische Volk schon mehr und mehr Abneigung gegen Genozid entwickeln.

    Und die Hamas? Die Hamas-Charta wird gnadenlos ignoriert. Denn da steht schwarz auf weiß genozidiale Absichten gegenüber das jüdische Volk. Und zwar für das Jetzt. Nicht von vor tausenden von Jahren wie das alte Testament.

    Die Solidarität mit Israel schwindet immer mehr.