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Pflegeheim muss doch nicht schließen

Ein Drittel der Belegschaft des „Haus Wilstedt“ sollte nach Kolumbien abgeschoben werden. Jetzt haben die Betreiber erst mal eine Lösung gefunden: Ausbildungsplätze

Von Amira Klute

Das Zauberwort ist ein sehr deutsches: Ausbildungsduldung. Ein Pflegeheim für demente Menschen in Wilstedt bei Bremen rettet die Ausbildungsduldung davor, dicht machen zu müssen und sie rettet zehn Menschen erst mal davor, Deutschland verlassen zu müssen. Im November hatte der Träger des Heims Alarm geschlagen, weil ein Drittel der Belegschaft, zehn Menschen aus Kolumbien, abgeschoben werden sollte. Wenn die als Pfle­ge­hel­fe­r*in­nen angestellten abgeschoben würden, drohe der Einrichtung die Schließung, sagte einer der Betreiber der taz im November.

Jetzt sieht es so aus, dass die Betroffenen erst mal bleiben können, weil für sie Ausbildungsplätze geschaffen wurden. Acht Personen sollen zu Pfle­ge­as­sis­ten­t*in­nen oder Pflegefachkräften ausgebildet werden, eine zum Koch, sagte Betreiberin Andrea Wohlmacher dem NDR. Für eine Person, die in Kolumbien Pflege studiert hat, werde die Anerkennung ihres Studiums als Ausbildung angestrebt. „Die Probleme haben sich damit nicht in Luft aufgelöst. Aber wir sind optimistisch, alles zu regeln“ sagte Betreiber Timo Wohlmacher dem Spiegel.

Das niedersächsische Innenministerium bestätigte am vergangenen Freitag auf Nachfrage der taz, dass die zehn Mitarbeitenden mit Beginn der Ausbildung den rechtlichen Status der Duldung erhalten können. Dieser schützt Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die „ausreisepflichtig“ sind, vor einer Abschiebung. Nach einer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung hätten die Menschen sogar Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie im erlernten Beruf eine Beschäftigung aufnehmen, so das ­Innenministerium.

Die zehn Menschen aus Kolumbien hatten im November alle eine Aufforderung zur freiwilligen Ausreise bekommen, die einer Abschiebung vorausgeht. Daraufhin hatten nicht nur die Betreiber*innen, sondern auch Angehörige der Pflegebedürftigen im Haus Wilstedt ordentlich Welle gemacht. Unter der Überschrift „Rettet das Zuhause unserer demenz­erkrankten Mütter, Väter & Ehepartner!“ forderte eine Angehörige in einer Petition, die Abschiebungen auszusetzen. Mehr als 80.000 Menschen unterschrieben, überregionale Medien ­berichteten.

Im Dezember schaltete sich dann Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein und versprach, eine Lösung suchen zu wollen. „Ausländische Pflegekräfte sind bei uns mehr als willkommen, weil wir auf sie angewiesen sind und auch sehr gute Erfahrungen mit ihnen machen“, sagte Lauterbach bei einem Treffen mit der Heimleitung. Der jetzige Schritt sei mit ihm abgesprochen, teilten die Heim­be­trei­be­r*in­nen mit.

Dass der Bundesgesundheitsminister sich um das kleine Pflegeheim in Wilstedt sorgt, ist kein Wunder. In Deutschland herrscht Pflegenotstand. Zwar ist die Lage bei unausgebildeten Pflegehelfer*innen, zu denen auch die zehn kolumbianischen Mitarbeitenden in Wil­stedt bisher gehörten, Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zufolge noch vergleichsweise entspannt. Bei den ausgebildeten Pflegefachkräften herrscht aber akuter Personalmangel. Die Gewerkschaft Verdi rechnet mit einem Bedarf von allein 110.000 zusätzlichen Pflegefachkräften. Prognosen rechnen bis 2030 sogar mit einem Mehrbedarf von 300.000 Stellen. Auch der Betreiber des Heims in Wilstedt sagte der taz im November, dass er große Schwierigkeiten habe, Mitarbeitende zu finden. „Ich habe meine Stellengesuche seit Jahren überall stehen“, so Timo Wohlmacher.

Dass es zu wenige Pflegefachkräfte in Deutschland gibt, verwundert viele Ex­per­t*in­nen kaum. Die Initiative Pflegenotstand weist darauf hin, dass Arbeitsbedingungen und Entlohnung in der Pflege in Deutschland im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich sind. Ungünstig also, wenn Menschen, die unter diesen Bedingungen arbeiten, abgeschoben werden sollen.

Die Menschen aus Wilstedt hätten ihre Abschiebung aber verhindern können, so war ein Sprecher des Innenministeriums Niedersachsen zu verstehen. Auf einer Pressekonferenz Anfang Dezember sagte er, die Betroffenen hätten „schlicht das falsche Tor nach Deutschland“ gewählt. Statt Asyl zu beantragen, hätten sie nach dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz von Kolumbien aus ein Visum beantragen und legal einreisen sollen. Dafür gebe es ein entsprechendes Abkommen mit Kolumbien, so der Sprecher.

„Ich habe meine Stellengesuche seit Jahren überall stehen“

Timo Wohlmacher, Pflegeheimbetreiber

Dieser Darstellung widerspricht Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. „Die Betroffenen aus Wilstedt hätten keine Chance gehabt nach dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz“, sagte er der taz. Dafür hätten sie schon in Kolumbien eine in Deutschland anerkannte Ausbildung vorweisen müssen, die sie nicht hatten. Der einzige Weg sei also gewesen, Asyl zu beantragen. Die Anerkennungsquote für Asylanträge von Menschen aus Kolumbien ist aber äußerst gering.

„Wir kritisieren, dass viele Verfolgungsgründe aus Kolumbien nicht anerkannt werden“ sagte Walbrecht. Die reale Bedrohungslage im Land durch ehemalige Guerilla-Organisationen und andere Akteure spiegele sich darin nicht wider. „Es gibt etliche Asylanträge aus Kolumbien, wo wir davon ausgehen, die sind zu Unrecht abgelehnt worden.“

Die kolumbianischen Pflegekräfte in Wilstedt sollen ihre Ausbildungen im nächsten Jahr beginnen. Eine Duldung gilt nur, bis die Ausbildung abgeschlossen ist. Wie es danach für die Menschen weitergeht, ist also offen.

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