: Israel hat sich verschätzt
Der schnelle Sieg der syrischen Rebellen hat Israel überrascht
Aus Jerusalem Felix Wellisch
Israels Geheimdienste haben die syrischen Rebellenmilizen laut Medienberichten unterschätzt. Der schnelle Zusammenbruch des syrischen Militärs habe „alle überrascht“, berichtete die Zeitung Ha’aretz am Sonntag unter Berufung auf Armeekreise. Eine kürzlich intern ausgegebene Lagebewertung hatte der syrischen Armee laut der Zeitung noch ein Wiedererstarken attestiert. Eine deutliche Fehleinschätzung.
Umso entschiedener reagierte die israelische Führung und entsandte in der Nacht auf Sonntag Truppen in eine seit 1974 demilitarisierte Pufferzone entlang der von Israel besetzten Golanhöhen. Der seit 50 Jahren geltende Waffenstillstand sei „zusammengebrochen“, nachdem die syrischen Soldaten ihre Positionen verlassen hätten, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei einem Besuch an der Grenze.
Israel hat einen Großteil der Golanhöhen im Sechstagekrieg 1967 besetzt und 1981 völkerrechtswidrig annektiert. Der östliche Teil des Höhenzugs ist unter syrischer Kontrolle. Bewaffnete in Gemeinden auf der syrischen Seite hatten sich in den vergangenen Tagen dem Aufstand angeschlossen.
Die Armee teilte mit, dass sie die Pufferzone sowie Israel und seine Bürger schützen werde. Man wolle sich jedoch nicht in „interne Ereignisse in Syrien“ einmischen. Viele in Israel fürchten, dass Kriegswaffen des syrischen Regimes in die Hände der Milizen gelangen könnten.
Netanjahu nannte Assads Sturz einen „historischen Tag“. Sein Land sei an „guter Nachbarschaft“ mit Syrien interessiert, werde aber gegen Bedrohungen an der Grenze vorgehen. Die israelische Luftwaffe griff am Sonntag laut einem Bericht des TV-Senders Kanal 12 eine Chemiewaffenfabrik auf syrischem Gebiet an.
Israelische Politiker forderten noch weitergehende Maßnahmen: Amichai Chikli, Diasporaminister für die Regierungspartei Likud, verlangte am Sonntag, die israelische Armee müsse eine „neue Verteidigungslinie basierend auf der Waffenstillstandslinie von 1974“ einrichten. Der religiös-nationalistische Abgeordnete Zvi Sukkot schlug die Besetzung eines Sicherheitsstreifens auf syrischer Seite vor.
Der unter anderem durch Israels militärische Erfolge gegen die libanesische Hisbollah-Miliz ermöglichte Sieg der Rebellen hinterlässt ein Machtvakuum. Die syrischen Milizen haben sich für einen geordneten Übergang ausgesprochen.
Abu Muhammad al-Jolani, der Anführer der islamistischen Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), hat trotz seiner islamistischen Vergangenheit seit 2016 moderate Töne angeschlagen. Regierungschef Netanjahu sagte, man biete all jenen die Hand, die an Frieden mit Israel interessiert seien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen