: Sie sammeln das weiße Gold
Schon seit Jahrtausenden wird im Oman Weihrauch geerntet, er gilt als der beste der Welt. Nomaden wandern oft kilometerweit, um ihn zu finden. Aber im modernen Golfstaat droht diese Tradition auszusterben
Aus Salalah Rike Uhlenkamp
Gerade bevor die Sonne hinter den Hügeln verschwindet, erreicht Said Ali al-Mahri sein Paradies: Verteilt auf dem steinigen Plateau und auf den umliegenden Hängen wachsen Tausende uralte Bäume, krallen ihre Wurzeln in das Gestein und recken die dünnen, knorrigen Äste gen Himmel. Für die Boswelia sacra, die arabischen Weihrauchbäume, und ihr „weißes Gold“ ist der 62-Jährige in die Berge gewandert. Etwas Tageslicht bleibt ihm noch. Im langärmeligen Funktionsshirt und einem aus Tuch gebundenen Rock hockt er sich vor einen Stamm. Dann beginnt er mit seinem scharfen Messer das getrocknete Harz abzulösen, das an mehreren Stellen aus der Baumhaut tritt. Ein geflochtenes Körbchen baumelt an seinen Arm, darin sammelt er seine Ausbeute.
Ein paar Bäume weiter kratzt al-Mahris Cousin an einer Rinde. Die beiden Männer tragen denselben Vor- und Nachnamen. Um sie zu unterscheiden, fügt man ihren Namen den des jeweils erstgeborenen Sohnes hinzu: Said Ali und Said Mohammed. In der Erntesaison zwischen April und Oktober erklimmen die beiden Männer alle zwei bis drei Wochen das Gebirge.
Der Weihrauch, den die sie dabei ernten, gilt als der beste der Welt. Hier in Dhofar, der südlichsten Provinz des Oman, herrschen für die Bäume die perfekten klimatischen Bedingungen: Es ist karg und trocken. Gleichzeitig schenken der nahe indische Ozean und der jährliche Monsun Luftfeuchtigkeit. Um an das Olibanum, den Weihrauch, zu kommen, müssen die Männer mehrere Schnitte setzen: Das Harz, das anfangs aus dem Baum fließt, ist minderwertig. Erst ab dem dritten Schnitt beginnen die Cousins mit ihrer eigentlichen Ernte, die über die nächsten Wochen immer reiner wird. Über Tage bearbeiten sie dann Baum für Baum. Manchmal werden sie von Freunden begleitet, oder von einem ihrer Kinder. Fast immer sind Kamele dabei, um das Gepäck zu schleppen.
Ihre Ausflüge sind auch eine Reise in die eigene Vergangenheit und die ihrer Heimat: In Dhofar wird das kostbare Baumharz schon seit Jahrtausenden geerntet, verarbeitet und exportiert. Es prägt das Leben der Menschen hier bis heute.
So auch das von Said Ali al-Mahris Onkel. Mohammed al-Mahri ist heute weit über 80 Jahre alt, für ihn ist die Wanderung in die Berge mittlerweile zu anstrengend. Stattdessen hat er in seinem Garten rund 20 Bäume gepflanzt, aus denen er regelmäßig das Harz gewinnt. „Sie erinnern mich an früher“, erklärt er bei einem Besuch in seinem Zuhause. Über Wochen, gar Monate, ernteten er und die anderen al-Mahris früher den Weihrauch, brachten ihn an die Küste, um ihn dort gegen Reis und Datteln einzutauschen. In den Bergen gab es damals kein fließendes Wasser, keinen Strom oder Straßen, kaum Schulen. „Es war ein hartes Leben, aber wir waren frei und glücklich“, erinnert er sich. Er hatte das Handwerk von seinen Eltern gelernt und es selbst an die kommende Generation weitergegeben.
Auch an Said Ali. Mit sechs Jahren durfte er das erste Mal mit zur Ernte. Er hütete die Tiere, schaute Mohammed und seinen eigenen Eltern beim Anschneiden der Bäume zu. Ein paar Jahre später zog er selbst los, mit der Familie oder Freunden. „Waren wir müde, motivierten wir uns, indem wir gemeinsam sangen“, erzählt er.
Schon im Altertum wurde Weihrauch aus Dhofar exportiert. Auf einer der wichtigsten Handelsrouten der Welt, der Weihrauchstraße, schleppten Kamelkarawanen die Ware von hier wochenlang durch die Wüste, nach Mekka, Gaza, Jerusalem und Alexandria. Damals war Weihrauch so wertvoll und begehrt wie Gold. Pharao Tutanchamun ließ sich mit Weihrauch bestatten. Über das Mittelmeer brachten Schiffe es zum römischen Kaiser, der die „Tränen der Götter“ ebenso ehrte wie viele Gläubige bis heute: Im neuen Testament bringen es die Heiligen drei Könige als auserwählte Gabe dem Jesuskind, der Rauch, der beim Verbrennen entstand, galt als Symbol für das nach oben steigende Gebet.
Eine große Zahl an Weihrauchbäumen findet sich bis heute im Wadi Dawqah. Im Jahr 2000 wurde das Tal auf die Liste des Unesco-Welterbes gesetzt, ebenso wie ehemalige Schauplätze des Weihrauchhandels.
Zwar exportiert das Sultanat bis heute Weihrauch, aber in viel geringeren Mengen. Der weltweit größte Teil kommt mittlerweile aus Somalia. Er gilt jedoch als weitaus weniger wertig. Für ein Kilo omanischen Weihrauch bekommen die Verkäuferinnen und Verkäufer auf dem Weihrauch-Suk in der Küstenstadt Salalah rund 120 Euro. „Aber nur für den besten, der grünlich-weiß schimmert“, erklärt Mohamed Abkar. Er sitzt in seinem Kaftan im Eingang eines kleinen Geschäfts. Süßlich duftende Rauchschwaden ziehen an ihm und den anderen Ständen des Marktes vorbei.
Der 33-jährige Abkar kommt aus dem benachbarten Jemen. Lange hat er in Saudi-Arabien als Tagelöhner und Klempner gearbeitet, danach in seiner Heimat in der Cafeteria einer Schule gejobbt. „Das Einkommen reichte gerade für das Nötigste“, erklärt Abkar. Dann beschloss er, im Oman nach einem besseren Job zu suchen. Seine Frau und Tochter ließ er zurück. „Drei Monate fand ich keine Anstellung, dann kam ich auf dem Markt“, sagt er und lächelt. „Allah hat für uns alle eine Berufung. Bei mir ist es der Weihrauch.“ Das kleine Marktgeschäft, in dem er arbeitet, gehört einem Omaner. Irgendwann möchte Abkar am liebsten einen eigenen Laden aufmachen und seine Familie aus dem Jemen in den Oman holen.
Im Oman gehört der Weihrauch zum Alltag: Die Menschen räuchern damit ihre Wohnungen und die Kleidung aus. Das riecht gut, soll Unheil und böse Geister vertreiben, Insekten verscheuchen und Bakterien abtöten. Omaner lösen Weihrauchklümpchen auch in ihrem Trinkwasser auf – gegen Husten, Asthma und zur besseren Konzentration. Oder sie kauen sie als Kaugummi zur Zahnreinigung. In manchen Luxusrestaurants landet Weihrauch auch auf den Tellern.
Bei den al-Mahris in den Bergen gibt es gegrilltes Ziegenfleisch. Kurz vor der Wanderung geschlachtet, brutzelt es nun auf Steinen, die die Männer in der Umgebung ihres Lagers gesammelt und über Feuer erhitzt haben. Auf dem mitgebrachten Gaskocher köchelt der Reis. Im Dunkeln, nur vom Mond und dem Lagerfeuer erleuchtet, hocken sie später auf ihrer Picknickdecke und trinken Tee, bevor sie unter freien Himmel einschlafen.
Zwischen drei und zehn Kilogramm Weihrauch ernten die al-Mahris pro Baum in einer Saison. Rund 5.000 Euro verdient jeder von ihnen damit. Said Ali al-Mahri freut sich über das zusätzliche Geld neben seiner staatlichen Rente, und über das Harz, welches er nutzen oder verschenken kann. Ihn treibt aber noch etwas anderes immer wieder in die Berge: „Wenn ich bei den Bäumen bin, fühle ich mich zu Hause“, sagt er. „Hier schlafe ich besser als in jedem Palast.“
Das Land, auf denen die Weihrauchbäume wachsen, gehört der omanischen Regierung. Nur Omaner dürfen das Harz ernten und müssen sich dafür registrieren lassen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass nur diejenigen Weihrauch ernten, die sich damit auskennen. „Wer zu tief in die Rinde ritzt, kann den Baum verletzen oder sogar töten“, erklärt al-Mahri. „Er trocknet dann aus.“
Doch die, die das Handwerk beherrschen, werden immer weniger. Den Jungen ist die Arbeit zu hart, das Leben in der Stadt ist angenehmer und das Einkommen durch den Weihrauch wenig verlockend. Auch unter seinen Kindern hegt niemand wirklich Ambitionen, die Passion des Vaters zu übernehmen. „Dabei wäre es so wichtig, dass die Tradition erhalten bleibt“, sagt Said Ali al-Mahri. Seine Hoffnung liegt in der Regierung. Darin, dass sie Schulungszentren einrichtet und die Bedeutung des Weihrauchs betont.
Es ist Zeit aufzubrechen. Said Ali al-Mahri zieht einmal kräftig an dem Seil, mit dem er sein Kamel führt. Das Tier erhebt sich, setzt sich mit großen Schritten in Bewegung. Sein Cousin tut es dem Gespann nach. Etwa zwei Stunden später kommt die kleine Karawane bei den Autos nahe der asphaltierten Küstenstraße an. Zurück im modernen Oman, mit ein paar Brocken Weihrauch im Gepäck – und mit neuen Erinnerungen an ihr Paradies.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen