: Trost des Bildschirms
Weihnachten ist das Fest der multiplen sozialen Krisen. Manchmal hilft die Flucht in fiktive Welten. Von Psychoterror über Mode-Inspiration bis zu Leichenentsorgung: neun exklusive Tipps der liebsten Weihnachtsepisoden der taz-zwei-Redaktion
Kapitalisten erweichen
Doctor Who ist nicht nur ein zeitreisender Alien der BBC und das schon seit 1963. Heißt, es ist schwer, sich zwischen den vielen Weihnachts-Specials zu entscheiden. Jedes Jahr wieder. Alle paar Jahre wechseln die Darsteller*innen und auch der Charakter des Doktors ändert sich. Soll es der grummelige Doktor sein? Der neue? Der schottische?! Für mich meistens: der lustige, chaotische mit der tragischen Liebesgeschichte, der 11. (Matt Smith). So sollte Weihnachten sein, im Idealfall ohne „tragisch“ vor „Liebesgeschichte“. Selbst der 11. Doktor hat mehrere Specials. In meiner Lieblingssendung schwimmen Haie bei Nebel aus den Wolken in die Stadt, während der Doktor versucht, einen Ultrakapitalisten zu erweichen, der Schuldner*innen einfriert. Charles Dickens’„Weihnachtsgeschichte“, nur mit mehr Fisch und Technik. Aber statt wie der „Geist der vergangenen Weihnacht“ dröge einen emotional misshandelten Jungen vorzuführen, besucht der Doctor – Zeitreisender! – ihn einfach jedes Weihnachten wieder und schenkt ihm, was allen Kindern zusteht: Abenteuer, Zuneigung und Momente der Hoffnung.
Johannes Drosdowski
„Doctor Who: Fest der Liebe“ , Staffel 5, Episode 14, AppleTV
Zusehen ist Stress pur
Vielleicht ist die Weihnachtsepisode von „The Bear“ die unweihnachtlichste, die je geschrieben wurde. Eigentlich eine ästhetisch Serie über einen Spitzenkoch, der den Sandwich-Shop seines verstorbenen Bruders in Chicago übernimmt. Doch ästhetisch ist in dieser Rückblicksepisode nichts. Die betrunkene Mutter (Jamie Lee Curtis) kocht in einer vollkommen verdreckten Küche das Weihnachtsessen für die Großfamilie: Die Butterbrote werden mit der Hand geschmiert, in der anderen muss schließlich der Rotwein gehalten werden. Es gibt kaum eine Szene, in der nicht mindestens drei Personen gleichzeitig schreien. Alle Traumata, Süchte, psychischen Erkrankungen und ungelösten Streitigkeiten der Familie Berzatto kommen auf den Tisch. Zwischendurch schrillt immer wieder die Küchenuhr wie eine Sirene. Neben all dem zwischenmenschlichen Stress will ja auch noch das „Fest der sieben Fische“ zubereitet werden. Als Zuschauer_in muss man eigentlich alle 5 Minuten auf Pause drücken, um selbst nicht vollkommen den Verstand zu verlieren. Zusehen ist Stress pur! Zugleich kann man nicht abschalten und muss bis zum Ende schauen, wie der Versuch, ein Familienweihnachtsfest zu feiern, Schritt für Schritt eskaliert. Wenn man die 1 Stunde und 6 Minuten hinter sich gebracht hat, denkt man: Vielleicht ist die Weihnachtsepisode „The Bear“ die beste, die je geschrieben wurde. Carolina Schwarz
„The Bear: Fishes“,Staffel 2, Episode 6, Disney Plus
Problemfrage Geschenk
Ach, Weihnachten: Das Fest der Liebe, der Familie – und der Panik, das perfekte Geschenk finden zu müssen. Für Sheldon Cooper, Genie und sozialer Elefant im Porzellanladen, gleicht das einem hochkomplexen physikalischen Experiment. Als Penny verkündet, dass sie ein Geschenk für ihn hat, ist Sheldon weniger erfreut als gestresst. „Du fühlst dich selbstlos, aber du legst mir eine Verpflichtung auf!“ Der Mann hat einen Punkt. Der „Badeartikel-Geschenk-Hypothese“ folgend versucht er, das perfekt gleichwertige Geschenk zu finden. Nach einer peinlich genauen Analyse verlässt er den Laden mit sechs (!) unterschiedlich großen Geschenkkörben – für jede denkbare Schenkkatastrophe gerüstet. Doch Pennys Geschenk lässt Sheldons Logik zusammenbrechen: eine Serviette, signiert von Mr. Spock höchstpersönlich, Leonard Nimoy. Nicht einmal sechs Geschenkkörbe können mithalten. Am Ende kriegt Penny – kaum vorstellbar – eine Umarmung! Diese Folge dient als Erinnerung für alle, die im Weihnachts- und Konsumstress das Wesentliche aus den Augen verlieren: dass es am Ende um die Geste des Schenkens geht, nicht um den Wert. Christina Koppenhöfer
„Big Bang Theory: Die Geschenk-Hypothese“,Staffel 2, Episode 11, Netflix
Melancholie weglachen
Gordon Shumway, das kleinwüchsige Fellwesen mit den großen Füßen und der wehenden Tolle verwechselt Ostern mit Heiligabend und hat im ganzen Haus Eier versteckt. Außerdem hat er aufgeschnappt, dass sich die Menschen an Weihnachten gegenseitig eine Freude machen, und deswegen seiner Gastfamilie, den Tanners, eine Überraschung vorbereitet: Er hat den Weihnachtsbaum zu Brennholz zerhackt und fein säuberlich im Wohnzimmer gestapelt. Vater Willi versucht, einen neuen zu organisieren, und kommt mit einem Besenstiel zurück, an den er Zweige aus Plastik montiert. Das ist so jämmerlich, dass er sich mit Alf ins Auto setzt, um im Wald einen Baum zu schlagen. Da der Außerirdische höchstpersönlich die Navigation übernimmt, verfahren sie sich. Ob sie erst im März Weihnachten feiern oder noch rechtzeitig nach Hause kommen, sei nicht verraten. Ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass Alf es in 21 Minuten, die diese Folge dauert, schafft, jegliche Weihnachtsmelancholie und sonstigen Trübsal beiseitezulachen. Doris Akrap
„Alf: Oh Tannerbaum“, Staffel 1, Episode 12, YouTube
Schöne heile Welt
Wie heiße Schokolade für die Ohren ist das Adventskalenderhörspiel „Die drei???“. Es gibt mehrere Weihnachtsfolgen der Kultdetektive Justus, Peter und Bob, aber unter Fans ist man sich einig, die von 2015 ist die beste. Die Story ist eher fad: Der Festredner einer Spielzeugmesse bricht auf der Bühne zusammen, die drei Jungs waren wie immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort und müssen ermitteln. Was es hörenswert macht, ist die Atmosphäre der Nostalgie. Seit über 45 Jahren in gleicher Synchronstimmenbesetzung lösen die drei Fragezeichen jeden Fall und geben einem das unerschütterliche Gefühl, dass am Ende alles gut wird. In welchem Setting könnte man das besser erzählen als zwischen tonnenweise Geschenken, Weihnachtsdekokitsch und feierlichem Plätzchenbacken? Eine heile Welt, in der die Protagonist*innen nie älter werden, nie Smartphones benutzen und die Hörenden sich einfach wohlig kindlich fühlen lassen.
Ann-Kathrin Leclère
„Die drei???: „Stille Nacht, düstere Nacht“, Spotify
Krach in Skinny Jeans
Die Thanksgiving-Folgen von „Gossip Girl“ sind legendär dramatisch, an Weihnachten hat sich die Serie nur in ihrer Anfangszeit versucht. Vielleicht weil das Fest der Liebe für die Rich Kids von der Upper East Side zu viel Versöhnung und Frieden fordert. In der ersten Staffel ist die Serie noch sanfter. Wahrscheinlich klappt deswegen die entzückende Weihnachtsgeschichte in „Roman Holiday“: Serena und Dan sind frisch verliebt und wollen sich ihre Gefühle beweisen. Dafür suchen sie füreinander das beste Geschenk, aber es darf nicht teuer sein. Es gibt einen Weihnachtsbaumschmuggel, selbst gebastelte Schneeflocken und Teenager-Romantik. Ganz ohne Drama geht es aber nicht: Blair versucht ihren Vater durch eine Intrige von seinem Partner zu trennen und bei den Humphreys kommt es zum Familienkrach. Nebenbei bietet „Gossip Girl“ modische Inspiration und zwar topaktuelle, die Rüschentops, Faltenröcke und Ballerinas von 2007 kommen zurück. Falls auch die Skinny Jeans es noch mal schaffen sollten, kann man hier schon mal nachgucken, wie sie getragen werden.
Luisa Faust
„Gossip Girl: „Roman Holiday “, Staffel 1, Episode 1, Netflix
Aufgefangen im Kollektiv
Einsamkeit ist das Großthema unserer Zeit. Ich erinnere mich in diesen dramatischen Tagen an ein Gespräch mit einem aus Syrien geflüchteten Bekannten, der in Deutschland krank wurde. Er sei, sagte er, in Syrien schlicht nie länger als ein paar Stunden allein gewesen, hier in Deutschland plötzlich tagelang. Der Bauer in dieser schon 15 Jahre alten Folge von „Shaun das Schaf“ versorgt als Weihnachtsmann liebevoll seine Tiere und zappt sich dann, noch im Kostüm, frustriert durch das TV-Programm, bevor er tief traurig ins Bett schlurft. Bitzer, dem sensibelsten Hund der Welt, kommen die Tränen, als er sein Herrchen so vollkommen verlassen sieht. Shaun, das klügste Schaf der Welt, belässt es nicht bei der Trauer, sondern wird aktiv. Und wie! Die ganze Herde hilft mit. Teil einer Herde zu sein, das ist die Botschaft dieser Episode, ist eben das Schönste; zumindest an Weihnachten.
Ambros Waibel
„Shaun das Schaf: Fröhliche Weihnachten“, Staffel 2, Episode 40, ARD-Mediathek
Resilienzbooster Mind Fuck
Eine einsame Hütte mitten im Schnee. Holzvertäfelte Wände, eine kleine, funktionale Küche und ein bisschen rotes Lametta. Matt (Jon Hamm) und Joe (Rafe Spall) wohnen dort seit fünf Jahren. Der US-Amerikaner und der Engländer kommen sich am 25. Dezember beim Weihnachtsessen endlich näher. Um das Eis zu brechen, erzählt Matt, wie er früher Männern online dabei half, Frauen zu verführen. Ganz langsam öffnet sich auch Joe. Er erzählt von einer gescheiterten Beziehung, die in einem Block endete: eine ins echte Leben übertragene Funktion, die man von Social Media kennt. Sie verursacht, dass man Menschen nur noch als graue Silhouetten sieht. Die Hütte wirkt immer klaustrophobischer, das Gespräch bedrohlicher. Wie waren die Männer dort hingekommen? Woher kennen sich Matt und Joe eigentlich? Obwohl die Folge bereits zehn Jahre alt ist, wirken die „Black Mirror“-typischen Technologien noch so dystopisch wie damals. Wer an Weihnachten neben dem Mindfuck Familie auch den von dieser Serie aushält, für den lohnt sich ein Rewatch. Valérie Catil
„Black Mirror: White Christmas““, Staffel 2, Episode 4, Netflix
Verbotene Gefühle
Weihnachten ist die Zeit der Beisinnlichkeit. Diese Feiertagsfloskel hat für einen Mafioso eine ganz besondere Bedeutung. Für Tony Soprano heißt innere Einkehr, sich beim Blick auf die tosenden Wellen des Atlantiks an einen guten alten Freund zu erinnern, dessen Leiche er in ebendiesen Wellen entsorgt hat. Pussy, wie dieser Freund hieß, hatte schließlich mit dem FBI kooperiert – weshalb Tony und sein Team sich vor fünf Jahren genau an diesem Ort, auf der Promenade von Asbury Park in New Jersey, mit ihm getroffen hatten, um eine Bootsfahrt zu unternehmen, von der der gute alte Freund nie wieder zurückkehrte. Verrat ist harter Tobak. Doch ein Mafiaboss darf selbst an Weihnachten nicht verzeihen. Tony ist nicht irgendein Mafiaboss. Schließlich arbeitet er sich in einer Psychoanalyse nach und nach zu jenen Gefühlen durch, die aus Sicht eines Mafiabosses eigentlich nicht sein dürfen. Deshalb blickt er nun auf der Promenade von Asbury Park versunken aufs Meer, erinnert sich an einen Freund, den er geliebt hat, und spürt so etwas wie: Sehnsucht.
Volkan Ağar
„Sopranos: Save Us All from Satan’s Power“, Staffel 3, Episode 10, WOW
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