: „Auf demLandhabeichvielmehrFreiheiten“
Vor 50 Jahren zog es viele junge Leute aus der Stadt in Wohngemeinschaften auf dem Land, die meisten gingen zurück. Der Metallkünstler Andi Feldmann, der einst den Stoff für die „Werner“-Comics seines Bruders lieferte, blieb. Ein Besuch auf seinem Hof an der Schlei
Interview Ralf LorenzenFotos Angelika Oetker-Kast
taz: In einem Ihrer letzten Videos auf Youtube bereiten Sie mit zwei Kollegen ein Motorrad 45 Minuten lang auf den ersten Startversuch vor. Dabei wird fast jede Düse und Schraube noch mal inspiziert. Was ist das Besondere an dieser Maschine?
Andi Feldmann: Diese Norton ist eine Hommage an die 1960er und 1970er Jahre, als Enthusiasten wie ich in Amerika und in England solche Motorräder selbst gebaut haben. Da gab es immer tolle Rennen über eine Viertel- oder Achtelmeile. So was zu bauen ist nicht ganz ohne. Man fängt aus dem Nichts an, das einzige Originalteil an diesem Motorrad ist der Norton Commando 850 Motor. Der hat von mir noch einen Kompressor gekriegt, der ihn auf 40 Prozent mehr Leistung bringt. Aber ohne helfende Hände würde man so ein Projekt nicht hinkriegen.
taz: Wo haben Sie die Teile besorgt?
Feldmann: Der Kompressor kommt aus Japan, viele Teile kommen aus England, aber man kann auch Industrielles nehmen. Bloß das Individuelle, dieses Fahrwerk zu bauen, den Rahmen zu bauen, das ist alles Handarbeit. Für mich ist das ein Kunstwerk, weil ich jedes Detail und jede Schraube bearbeite. Ich mache mir an der Drehbank die Muttern schön und rund und blank und alles wird verchromt. Für mich ist es eine Erfüllung, so ein Motorrad zu bauen.
taz: Das Bauen selbst, oder nachher das Ergebnis zu sehen?
Feldmann: Natürlich freut man sich an dem fertigen Objekt, aber die Zeit, die ich daran arbeite, ist oft erfüllender.
taz: Haben Sie das Gefühl, dass die Objekte auch als Kunst gewürdigt werden?
Feldmann: Mittlerweile ja, in den Kommentaren unter den Videos wird oft gesagt: das sind Kunstwerke. Aber die stehen eben nicht nur da wie ein Bild, sondern sie funktionieren auch.
taz: Wollen Sie mit der Norton an Rennen teilnehmen?
Feldmann: Ja. Eigentlich war das dieses Jahr schon geplant, in Glemseck bei Stuttgart gibt es eine Veranstaltung, wo viele gleichgesinnte Menschen sind, die sich auch ihre Motorräder zusammengebaut haben und sich damit messen. Aber auch beim Motorradbauen läuft nicht alles immer wie geplant, deshalb ist noch nichts draus geworden. Eine Testfahrt habe ich aber schon gemacht. Da ging mir der Arsch auf Grundeis, obwohl der Kompressor noch gar nicht drin war.
taz: Als wir uns vor 45 Jahren das letzte Mal getroffen haben, haben Sie mich auf eine Fahrt in einem zweisitzigen englischen Sportwagen mitgenommen. Da ging mir der Arsch auf Grundeis.
Feldmann: Den habe ich immer noch, ein Austin-Healy. Den habe ich als Fragment in San Diego auf einem Schrottplatz gekauft, als ich mit meinem Bruder und einem Freund in den USA einen Schrottplatzurlaub gemacht habe. Den habe ich dann Stück für Stück restauriert und mit einem größeren Motor ausgestattet. An dem schraube ich manchmal immer noch rum, obwohl der eigentlich vollendet ist.
taz: Wie sind Sie darauf gekommen, Ihre Arbeit zweimal die Woche auf Youtube zu zeigen?
Feldmann: Mein erster Gedanke war, dass diese Schrauberkunst nur noch ältere Leute interessiert. Die Jugendlichen sind ja gar nicht mehr so hinterher, nachhaltig zu sein, auch mal einen alten Roller, ein Moped oder irgendetwas anderes wieder in Gang zu kriegen. Denen wollte ich zeigen, dass es Spaß bringt, schön in der Werkstatt zu stehen und etwas zu bauen. Eine Lampe aus einem Topfdeckel zum Beispiel. Ich wollte, dass die Leute mal wieder weg von den Medien kommen und sich mit Freunden in der Werkstatt entspannen. Und irgendwie ist mir das auch ein bisschen geglückt, wenn ich mir so die Kommentare durchlese.
taz: Auch bei jüngeren Leuten?
Feldmann: Ja, auch bei ganz jungen. Auch hier im Dorf schrauben jetzt einige wieder an ihren Mofas. Die fahren hier dann lang, grüßen, hupen und finden es toll, dass ich hier bin und sie inspiriert habe. Manchmal halten die dann auch an und brauchen einen Tipp von mir. Dann schraube ich auch mal mit ihnen und zeige ihnen was.
taz: Die klopfen einfach ohne Anmeldung an die Tür?
Feldmann: Ja, nicht nur die. Manchmal ist mir das auch schon zu viel geworden, gerade wenn die Leute in der Urlaubszeit nicht wissen, was sie machen sollen. Dann klopfen sie an die Tür, schleppen eine Kiste Bier mit und wollen die mit mir trinken. Manche rufen auch vorher an und wollen sich die Motorräder angucken. Dann fühle ich mich wie ein Museumswärter.
taz: Wer sind Ihre Mitschrauber in den Filmen?
Feldmann: Das sind Freunde von mir, die hier in der Nachbarschaft wohnen, mit denen ich schon immer geschraubt und gebastelt habe. Es gibt ein Hauptteam, aber wir haben jetzt zum Beispiel auch den alten Herrn Schröder dabei, der ist 84 Jahre alt, ebenfalls Motorradfanatiker und wohnt auch hier im Dorf. Der wird von den Usern auf Youtube geliebt.
taz: Ich bin wieder auf Sie gestoßen, weil ich in einem Ihrer Filme gesehen habe, wie Sie mit drei anderen Mitsechzigern in einer halsbrecherischen Aktion einen selbstgebauten Eisschlitten vom morschen Heuboden der alten Scheune meines 1970 gestorbenen Opas geholt haben.
Feldmann: Der Schlitten hat den Motor eines alten Triumph Bonville-Motorrads. Wir wollten endlich mal wieder mit dem aufs Eis, aber das ging hier nicht mehr. Dann kam ein TV-Produzent und sagte: Das ist eine geile Story, ich finanziere das. Im April sind wir fast 5.000 Kilometer nach Nordschweden gefahren, um auf einem gefrorenen See eine Szene aus einem „Werner“-Film nachzuspielen: Der Eisschlitten gegen einen Bentley. Dabei ist der Bentley fast in einem Wasserloch versenkt worden.
taz: Stichwort „Werner“: Wie war das Anfang der 1980er Jahre, als die „Werner“-Figur entstanden ist? Welchen Anteil haben Sie daran gehabt?
Ich habe meinen Bruder Rötger von Anfang an unterstützt, indem ich bei vielen Dialogen für die Bücher und auch für die Filme mitgearbeitet habe. Ich habe ihm immer Geschichten von Meister Röhrich erzählt, bei dem ich als Heizungsinstallateur gelernt habe. Die hat er dann auf Werner gemünzt.
taz: Man trifft überall in Deutschland Leute, die sich noch an die „Werner“-Geschichten erinnern. Was macht die Faszination dieser Figur aus?
Feldmann: In erster Linie, dass er ein Outlaw ist, der sich nichts gefallen lässt. Außerdem können sich viele Lehrlinge und Leute mit einem Handwerkberuf damit identifizieren, weil sie auch mal so einen verrückten, komischen Meister hatten. Und die norddeutsche Sprache spielt sicher auch eine Rolle.
taz: Die Polizeistation in den „Werner“-Comics stand in dem Örtchen Schnarup-Thumby. So nannte sich später auch mal eine autonome Kneipe in Berlin-Friedrichshain.
Feldmann: Die fanden den Namen wohl genauso lustig wie wir. Hier oben gibt es ja viele davon, Kollerup, Scheggerott und wie sie alle heißen.
taz: Es gibt einige Ausdrücke bei Werner, von denen man heute nicht mehr weiß, ob der Volksmund sie aus den Comics übernommen hat oder umgekehrt – zum Beispiel Bölkstoff, Flasch Bier, Tass Kaff oder vergriesgnaddelt, wenn eine Schraube sich nicht lösen lässt.
Feldmann: Das kommt alles von uns, Tass Kaff hat zum Beispiel meine Oma immer gesagt. Der Flensburger Slang ist ja noch mal anders als der Kieler oder Hamburger, weil die da so dicht an der dänischen Grenze wohnen.
taz: Stimmt es, dass Sie während der Schneekatastrophe im Winter 1978/79 hier in der Gegend gelandet sind?
Feldmann: Ja, ich musste aus meiner Flensburger Mietwohnung raus, weil Oma Müller, die über mir wohnte, sie während meiner Abwesenheit mit einer kaputten Waschmaschine unter Wasser gesetzt hatte, das durch die Kälte auch noch gefroren ist. Eine Freundin von mir war mit anderen Frauen auf einen großen Hof in Kius gezogen. Da kriegte ich anfangs zwar nur eine kleine Dachkammer, aber es gab große Schuppen und Werkstätten, das war für mich wichtiger als ein ordentliches Zimmer. Das Zimmer habe ich dann mit Zeitungspapier tapeziert und mich nach und nach in schönere Räume hochgewohnt.
taz: Ihre Wohngemeinschaft war damals in der Gegend bekannt für wilde Partys und die Fucking Kius Band, in der Sie anfangs mitgespielt haben. Wie haben Sie zu der Zeit Ihr Geld verdient?
Feldmann: In vielen Gewerken. Als Heizungsinstallateur und Motorradmechaniker, aber auch als Tellerwäscher in einem Glücksburger Hotel. In Schleswig habe ich in einer Blitzschutzfirma gearbeitet und den Dom ausgerüstet. Aber eigentlich wollte ich schon immer etwas mit meiner Stahlkunst machen. Ich habe früher in der Mittagspause bei Meister Röhrich aus alten Schrauben und Muttern Figuren wie die da geschweißt (zeigt auf ein Regal fantasievoller Miniaturen). So fing das an, und mit der Zeit wurden die Objekte größer und größer.
taz: Haben Sie von Ihren Objekten etwas verkauft?
Feldmann: Ja, viel. Ich habe mich dann irgendwann selbstständig gemacht und von diesen Sachen gelebt. Ich habe alles Mögliche gebaut: Zäune, Heizkörper, ganze Büros mit Regalen und Tresor habe ich aus Metall eingerichtet. Ich hatte gute Aufträge.
taz: Hat dabei die Bekanntheit Ihres Namens über die „Werner“-Geschichten geholfen?
Der Mensch
Andi Feldmann, Jahrgang 1957, lebt als Metallkünstler auf einem kleinen Hof im Dorf Ulsnis an der Schlei im Norden Schleswig-Holsteins. Er teilt sich den Platz mit drei Katzen und etwa 50 selbstgebauten motorisierten Fahrzeugen aller Art. Seine Erlebnisse als Installateurslehrling in Flensburg bildeten Anfang der 1980er Jahre die Grundlage für die „Werner“-Comics seines Bruders Rötger, genannt Brösel.
Das Werk
Auf seinem Youtubekanal „Andis Funktionspunk“ zeigt Feldmann mit ein paar Kumpels aus dem Dorf, was er alles aus Metallschrott neu entstehen lässt: meistens PS-starke Motorräder und Autos, aber auch einen Eisschlitten und Hausrat. Aus Tausenden von alten Eisenteilen ist auch sein „Riese von Ulsnis“ entstanden, eine fast sechs Meter hohe Metallskulptur, die seit 12 Jahren als Wahrzeichen mitten im Dorf steht.
Feldmann: Na ja, der Name Andi Feldmann war ja nicht so bekannt wie der von meinem Bruder, ich rangierte ja unter „ferner liefen“. Ich habe mir meinen Namen über die Kunst gemacht. Durch die Videos lebt auch Werner wieder ein bisschen bei mir auf, aber das läuft jetzt auf meiner Schiene. Ich mache mein eigenes Ding und das ist mir wichtig.
taz: Wie sind Sie nach der WG-Zeit auf diesem Hof gelandet?
Feldmann: Ich bin oft mit dem Motorrad hier langgefahren, weil ich diese kleine, enge Straße toll fand. Ich habe dieses Haus bewundert und gedacht, dass man sich hier verwirklichen kann. Der Hof, auf dem wir mit der WG gewohnt haben, wurde dann verkauft, und genau in dem Jahr stand hier ein Schild: zu verkaufen. Eine göttliche Fügung.
taz: Als ich heute hier ankam, dachte ich an eine Mischung aus Villa Kunterbunt und einer Ritterburg. Hatten Sie früh im Kopf, wie das hier mal aussehen soll?
Feldmann: Das ist über die Jahre so gewachsen. Erst mal ist man froh, dass man ein Dach über dem Kopf hat, und dann fängt man an, sich Platz zu schaffen. So sind die ganzen Gebäude nebenan entstanden, immer Stück für Stück habe ich mir es so aufgebaut, wie es jetzt ist.
taz: Viele Menschen, die kreative Sachen machen, zieht es irgendwann wieder in die Stadt. Hatten sie auch mal diesen Gedanken?
Feldmann: Ich will nie wieder in der Stadt wohnen. Ich merke immer, wenn ich in der Stadt bin, dass mir das gar nicht gut tut. Mir sind die Menschen zu viel. Der Verkehr ist mir zu viel. Da sieht man den ganzen schlimmen Kommerz. Neulich war ich mal wieder in Berlin, da habe ich fast wieder eine Krise gekriegt. Auf dem Land habe ich viel mehr Freiheiten. Du würdest ja in der Stadt nicht auf die Idee kommen, ein Baumhaus oder so ein tolles Gewächshaus zu bauen.
taz: Wie sind Sie hier in das Dorf eingebunden?
Feldmann: Seit ich den Riesen gebaut habe, bin ich voll akzeptiertes Mitglied der Dorfgemeinschaft, die bei uns noch gut funktioniert. Früher in der Wohngemeinschaft waren wir die Drogensüchtigen und Terroristen, jetzt grüßen mich alle freundlich und sind nett zu mir.
taz: Was ist das für eine Geschichte mit dem Riesen?
Feldmann: Es gibt eine Sage, nach der sich zwei Riesen, Vater und Sohn, einmal auf beiden Seiten der Schlei gegenüberstanden, der eine hier in Ulsnis, der andere drüben in Rieseby. Die haben sich mit Steinen beschmissen, weil der eine die größere Kirche gebaut hat. Irgendwann kam der Vorsitzende des Kulturausschusses der Gemeinde, Professor Schattke, zu mir und sagte: Wir brauchen ein Wahrzeichen für unser Dorf, lass dir doch mal was einfallen. Meine Freundin las mir diese Sage vor, und ich habe mir den Riesen sofort genau vorgestellt: Mit dem Stein über dem Kopf und wie er diesen Stein wegschmeißt.
taz: Mussten Sie viel Überzeugungsarbeit für Ihre Idee leisten?
Feldmann: Ich habe ein eineinhalb Meter großes Modell gebaut, dann sind wir durchs Dorf getingelt und haben die Bank und Handwerksbetriebe angesprochen. Da ist ordentlich Geld zusammengekommen. Dann haben wir noch eine Tombola veranstaltet und das Modell versteigert, das hat noch mal 1.500 Euro eingebracht. Da konnte man schon sehen, wie viel Begeisterung in dem Dorf für den Riesen vorhanden war. Im Sommer ist das mittlerweile ein beliebtes Ziel für Ausflüge. Manchmal halten ganze Reisebusse an, um den Riesen zu fotografieren
taz: Der fertige Riese misst mit dem Stein fast sechs Meter. Wie haben Sie den gebaut?
Feldmann: Ich habe mit den Schuhen angefangen und habe erst mal überlegt, wie groß die für einen Riesen sein müssen. Der Riese wurde dann aus ganz vielen kleinen verschiedenen Formstücken zusammengesetzt. Dabei hat mir ein 14-jähriger Junge aus dem Dorf geholfen, der unbedingt schweißen lernen wollte.
taz: Anfang Oktober ist der Riese zwölf geworden. Gab es eine Geburtstagsparty?
Feldmann: Ja, das wird jedes Jahr gefeiert. Der Bürgermeister kommt und dann haben wir immer so ein schönes Dorffest. Diesmal waren bestimmt 100 Leute da, es gab Essen und Trinken und schöne Ansprachen. Wenn der Riese 15 Jahre alt wird, gibt es wieder ein großes Fest mit Band und richtigem Festzelt. Ein Riesenfest.
taz: Was sagen denn die Leute in Rieseby auf der anderen Seite der Schlei dazu?
Feldmann: Bei der Einweihung vor zwölf Jahren hat der Bürgermeister von Rieseby gesagt, dass sie so etwas auch haben möchten. Das wurde seitdem oft wiederholt, es ist aber nie etwas daraus geworden, das müsste denen eigentlich längst peinlich sein. Es wäre doch eine tolle Sache, wenn zu dem Vater in Ulsnis der Sohn in Rieseby kommt. Ich habe schon Zeichnungen gemacht, wie er aussehen soll: mit kurzer Hose und einer Zwille in der Hand, mit der er einen Stein rüberschießt.
taz: Und wenn der Bürgermeister von Rieseby doch noch anruft und einen Riesen will?
Feldmann: Wenn der Auftrag erteilt wird, kann ich sofort loslegen.
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