Verleger über Kolonialismus-Sachbuch: „Es war bei der Veröffentlichung bahnbrechend“
Der Manifest-Verlag hat Walter Rodneys Klassiker „How Europe Underdeveloped Africa“ neu übersetzt. René Arnsburg geht mit dem Buch auf Lesetour.
taz: Herr Arnsburg, worum geht es in Walter Rodneys Buch „Wie Europa Afrika unterentwickelte“?
René Arnsburg: Es ist eine Darstellung der Entwicklung des afrikanischen Kontinents. Einmal vor der Ankunft der Europäer und einmal nach der Ankunft der Europäer. Er hat die Entstehung des Kolonialismus und wie dieser die Entwicklung der afrikanischen Länder beeinflusst hat in ein Verhältnis von Entwicklung und Unterentwicklung gesetzt. Unterentwicklung versteht er nicht als Abwesenheit von Entwicklung, sondern als Verhältnis zwischen der kapitalistischen Entwicklung innerhalb europäischer Staaten, die basierend auf den Kolonialismus fortgeschritten ist, und des afrikanischen Kontinentes, dessen unabhängige, eigene Entwicklung dadurch gehindert wurde.
taz: Gab es einen bestimmten Anlass, dass jetzt eine neue Übersetzung veröffentlicht wird?
Arnsburg: Das war schon länger geplant. Es gab eine deutsche Übersetzung, die aber teilweise falsch und unvollständig war. Das haben wir jetzt aufgearbeitet. Zum Beispiel lautet der Titel im Original: „How Europe Underdeveloped Africa“. Die erste Übersetzung ist als „Afrika: Geschichte einer Unterentwicklung“ veröffentlicht worden. Das ist eine inhaltliche Verschiebung. Da wollten wir eine korrektere Übersetzung liefern.
Jahrgang 1987, Buchhändler, Bundesvorstand der Sozialistischen Organisation Solidariät (Sol) und Leiter ihres Manifest-Verlags.
taz: Das Buch ist 1972 erschienen. Wie aktuell ist es heute noch?
Arnsburg: Die Dinge, die Rodney untersucht hat, haben weiterhin Bestand. Rodney stützt sich auf dieselben Primärquellen, wie es auch neuere Untersuchungen machen. Sein Text wurde durch neue Forschung ergänzt, aber von allem, was er schreibt, wurde nichts widerlegt.
taz: In Dar es Salaam, wo Rodney lange lebte, war auch der arabische Kolonialismus stark vertreten, gibt es dazu eine Einordnung?
Arnsburg: Das war auch zu seiner Zeit bekannt und ihm auch bewusst, allerdings war sein Fokus die europäische Kolonialisierung. Daher wird das in seinem Buch sehr wenig besprochen. Ihn interessierte der Einfluss des europäischen Kolonialismus.
Walter Rodney: „Wie Europa Afrika unterentwickelte“, Berlin, Manifest-Verlag, 418 S., 20 Euro/ e-Book 14,99 Euro.
Lesungen:
Bremen, 11. 11., 18 Uhr, Uni, Kleiner Hörsaal, Raum HS 1010
Hamburg, 12. 11., 19 Uhr, Kölibri
Kiel, 13. 11., 18 Uhr, Uni, Englisches Seminar, Raum 225
Lübeck, 14. 11., 18 Uhr, Uni, Raum AM S 2
taz: Geschieht in der Neuauflage eine historische Einordnung?
Arnsburg: Ja, Adewale umreißt, was in den 50, fast 60 Jahren seit Erscheinen des Buches passiert ist. Sarbo schreibt über die Bedeutung des Buches und auch über die Bedeutung Rodneys. In meinem Beitrag versuche ich, den Bogen noch größer zu schlagen, und schreibe, was Rodney sich unter kolonialer Befreiung vorgestellt hat. Es ging ihm nicht nur um die formale, nationale Unabhängigkeit, sondern auch um die Befreiung vom Kapitalismus, der die Grundlage für den Kolonialismus war.
taz: Was macht das Buch zu einem Klassiker?
Arnsburg: Es ist eine der ersten Gesamtdarstellungen afrikanischer Entwicklung und afrikanischer Geschichte aus nicht europäischer Perspektive. Es umfasst einen Zeitraum vom antiken Ägypten bis ins 20. Jahrhundert. Es war bei der Veröffentlichung bahnbrechend, weil es dafür gedacht war, dass sich Afrikaner:innen ihre eigene Geschichte und die des Kolonialismus aus afrikanische Perspektive aneignen.
taz: Rodneys Buch ist eine politische Kampfschrift gegen den Kapitalismus, die alternativen sozialistischen Staatsformen, sind allerdings gescheitert …
Arnsburg: Die Frage ist ja, was ist gescheitert: Bürokratisch organisierte Planwirtschaften, die für sich den Begriff „Sozialismus“ in Anspruch genommen haben. Das ist gescheitert, nicht der Sozialismus selbst. Rodney stand für einen Sozialismus, in dem die Armen und Ausgebeuteten die wirkliche Macht haben, deswegen ist er da auch noch aktuell.
taz: Was kam zuerst, der Kolonialismus oder der Kapitalismus?
Arnsburg: Die Entdeckungsreisen und Kolonien wurden von den frühen Kapitalisten, den Handelsmännern finanziert. Der Kolonialismus war so von Anfang an eingebettet in der Entwicklung des europäischen Kapitalismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Plan für Negativ-Emissionen
CO2-Entnahme ganz bald, fest versprochen!
Human Rights Watch zum Krieg in Gaza
Die zweite Zwangsvertreibung