piwik no script img

Sag zum Abschied leise „Doof“

Die Kündigungsurkunden an die FDP-Minister sind verteilt, die gegenseite Enttäuschung wurde zum Ausdruck gebracht – offen bleibt wie es jetzt weiter geht

Von Anna Lehmann

Seit 25 Jahren sitzt Axel Schäfer für die SPD im Bundestag, aber nun versteht er die Welt nicht mehr. „Meine grünen Fraktionsfreunde grüßen mich nicht mal. Jetzt hat wohl der Wahlkampf begonnen.“ So ist es.

Die Grünen ziehen grußlos und ziemlich bedröppelt an dem Mann im roten Schal vorbei und flüchten in die Fahrstühle des Reichstagsgebäudes wie in eine Rettungskapsel. Es ist Mittwoch kurz vor Mitternacht, das Ende eines denkwürdigen Tages, an dem am Morgen Donald Trump als nächster US-Präsident feststand und am Ende alle Ampelfraktionen zu Nachtsitzungen zusammenkamen.

Denn die erste Ampelregierung der Bundesrepublik ist Geschichte. Mittwochabend um 21.15 Uhr gab Bundeskanzler Olaf Scholz das Aus bekannt. Er kündigte an, am 15. Januar im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, im März soll dann neu gewählt werden. Zuvor hatte Scholz Lindner gefeuert, um, wie er sagt, „Schaden von unserem Land abzuwenden“. Zu oft habe dieser „kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“

Das alles stellt Scholz in einer für seine Verhältnisse wortgewaltigen Rede dar. Klar wird: Ganz unvorbereitet war er nicht. Seitdem Lindner in der Vorwoche ein „Wirtschaftswende-Papier“ mit ordoliberalen Maximalforderungen veröffentlicht hatte, gab es Spekulatio­nen über ein Ende der Ampel. Offen war vor allem die Frage, wer zuerst die Nerven verliert: Scholz oder Lindner. Zu zweit trafen sich beide am Sonntag im Kanzleramt, schon damals soll Lindner dem Kanzler vorgeschlagen haben, das Ganze in „Würde zu Ende“ zu bringen.

Doch Scholz beraumte weitere Treffen an, mit Lindner, Vizekanzler Habeck, und am Mittwoch den Koalitions­ausschuss. Parallel dazu feilten FDP und SPD jeweils an ihren eigenen Exit-Drehbüchern.

Im Kanzleramt ging die Befürchtung um, dass Lindner an diesem Freitag ­einen Vorschlag für Neuwahlen öffentlich machen wolle, also zu einem Zeitpunkt, wo Scholz beim EU-Ratsgipfel in Budapest ist. So von der FDP vorführen lassen wollte man sich aber nicht ein zweites Mal.

Also ging der Kanzler mit einem Gegenvorschlag in den Koalitionsausschuss. In einer elfseitigen Agenda für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze reihte er vor allem Vorschläge aneinander, die größtenteils sozialdemokratischer Beschlusslage entsprachen: etwa Strompreise zu senken und einen Pakt für Arbeitsplätze in der Automobilindustrie zu schnüren. Mit dem Vorschlag für Sonderabschreibungen und Investitionsprämien für Unternehmen hoffte man der FDP einen Gefallen zu tun. Kernpunkt des Papiers war aber der Vorschlag, die Ausgaben für die Ukraine aus dem Haushalt herauszurechnen und nach der Wahl Trumps noch mal ein Schippchen draufzulegen.

Signal: Jetzt erst recht. Für insgesamt 15,5 Milliarden Euro sollte der Bundestag einen sogenannten Überschreitensbeschluss beschließen, also eine Ausnahme von der Schuldenbremse. Dass die FDP da freudig mitgehen würde, erwartete niemand im Kanzleramt, deshalb wurden parallel drei Reden vorbereitet: eine für den Fall, dass es klappt, eine für den Fall, dass Lindner hinschmeißt, und eine dritte für den Fall dass Scholz ihn rausschmeißt.

Als sich die Spitzen der Gerade-Noch-Koalition, 17 Partei- und Fraktionsvorsitzende samt Kanzler und Mi­nis­te­r:in­nen, um 18 Uhr in einem Konferenzraum im achten Stock des Kanzleramts trafen, stellte Scholz sie ziemlich schnell nach Eintreffen vor die Wahl: Wir machen den Haushalt mit Schuldenbremse-Ausnahme, oder wir trennen uns. Während die Grünen bereit waren mitzugehen, sperrte sich Lindner. Er schlug zunächst vor, der Ukraine lieber Taurus-Marschflugkörper zu liefern, statt die Hilfen zu erhöhen.

Machte dann den Vorschlag, als Ergebnis der Sitzung gemeinsam den Vorschlag für Neuwahlen zu präsentieren. Scholz erbat sich Bedenkzeit, unterbrach die Sitzung gegen 20 Uhr.

In der Pause ploppte die Meldung dann schon auf den Handys der Teilnehmenden auf. Scholz nutzte die Pause, rief den Bundespräsidenten an, bat diesen, Lindner zu entlassen. Und kehrte anschließend in den Konferenzraum zurück, um dem verdutzten Lindner genau das mitzuteilen.

Laut Angaben von Teil­neh­me­r:in­nen mit den Worten: „Dann, lieber Christian, möchte ich nicht mehr, dass du meinem Kabinett angehörst und werde morgen deine Entlassung einleiten.“ – „Dann haben wir jetzt Klarheit“, soll Lindner geantwortet haben. Und Scholz. „So.“ Pause. „Doof.“

Der Moment der Rührung war nur kurz. Als Scholz dann um 21.15 Uhr im Bundeskanzleramt vor die Medien trat, wirkte er kämpferisch und schonte den Geschassten nicht. „Bundesminister Lindner hat ultimativ und öffentlich eine grundlegend andere Politik gefordert: milliardenschwere Steuersenkungen für wenige Spitzenverdiener und zugleich Rentenkürzungen für alle Rentnerinnen und Rentner. Das ist nicht anständig, das ist nicht gerecht.“ Er, Olaf Scholz, werde die Bürgerinnen und Bürger nicht vor die Wahl stellen: Entweder wir investieren genug in unsere Sicherheit, oder wir investieren in gute Arbeitsplätze, in eine moderne Wirtschaft und eine funktionierende Infrastruktur. Dieses Entweder-oder ist Gift.“ Ein Rede halb schon im Wahlkampfmodus.

Die SPD-Basis jubilierte. „Starke Rede“, „toller Auftritt“. Solche Nachrichten erhält Umweltpolitikerin Nina Scheer (SPD). Sie und die anderen SPD-Abgeordneten treffen sich um 22.30 Uhr auf der Fraktionsebene mit dem Kanzler zur Sondersitzung. Viele gelöst.

Endlich ist es vorbei. Nur dreißig Minuten dauert die Sitzung, dann gibt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ein Statement: Eine schwierige, aber richtige Entscheidung: Der Bundeskanzler habe keine andere Wahl gehabt, als den Finanzminister zu entlassen. Das Blame-Game hat begonnen. Christian Lindner wird kurz danach dem Kanzler einen kalkulierten Koalitionsbruch vorwerfen.

Die Ampel ist aus; wann die Regierung einpackt, ist Teil des politischen Wahlkampfgeschachers. Die Fristen sind klar. Sobald der Kanzler im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt und verloren hat, kann der Bundespräsident innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen. Danach müssen binnen 60 Tagen Neuwahlen stattfinden. Das sind Maximalfristen, es könnte auch schneller gehen. Wann, das ist Teil des politischen Kalküls.

Die Union drückt auf die Tube. Unions­kanzlerkandidat Friedrich Merz fordert von Scholz, die Vertrauensfrage nächste Woche zu stellen. Die Ampelkoalition sei „gescheitert“ und damit sei die Legislaturperiode zu Ende, so der Fraktionschef am Donnerstagmorgen nach einer Fraktionssitzung in Berlin. Merz schlug Neuwahlen für den Bundestag in der zweiten Januarhälfte vor. Das Kalkül: Jetzt noch schnell den Ampel-Verdruss aus den Umfragen mitnehmen und der wahlkampfstarken SPD keine Zeit lassen, Anlauf zu nehmen.

Friedrich Merz schlug Neuwahlen für den Bundestag in der zweiten Januarhälfte vor

Die SPD möchte noch etwas weiterregieren, begründet das mit „geordneten Verhältnissen“. Scholz stellte am Donnerstag erst einmal neue Minister:innen vor. Finanzminister soll sein langjähriger Vertrauter und bisheriger Wirtschaftsstaatssekretär im Kanzleramt Jörg Kukies werden, FDP-Renegat Volker Wissing bleibt Teil des Kabinetts. Kukies leistete bereits vor Bundestagspräsidentin Bärbel Bas den im Grundgesetz vorgesehenen Amtseid.

Erst Mitte Januar will Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und sie möglicherweise mit einer Entscheidung über den Haushalt verknüpfen. Zuvor, so hofft es zumindest Frak­tionschef Mützenich, könne man noch einmal zeigen, was alles ohne die FPD möglich gewesen wäre, etwa eine Reform des Mietrechts. Und sich dafür die nötigen Mehrheiten unter den demokratischen Parteien im Bundestag suchen.

Bei der Union wird man in dieser Frage wohl kaum fündig. Doch diese und Fraktionschef Friedrich Merz werden für Scholz und die SPD nun zum wichtigsten Ansprechpartner. Ausgerechnet den ärgsten Konkurrenten will der Kanzler also als Übergangspartner gewinnen, ihm und der Union vorschlagen, „wichtige Projekte, die keinerlei Aufschub dulden“, mit zu verabschieden. Aus Sicht Scholz’ sind das weitere Hilfen für die Ukraine und Sofortmaßnahmen für die kriselnde Wirtschaft und die Stabilisierung der gesetzlichen Rente. Merz signalisierte zwar Gesprächsbereitschaft, man könne jederzeit über anstehende Tagesordnungspunkte oder Gesetze im Bundestag sprechen. Knüpfte das aber an die Bedingung, dass Scholz in den kommenden Tagen die Vertrauensfrage stelle.

Ein erstes Gespräch im Kanzleramt endete am Donnerstag ohne Ergebnisse. Friedrich Merz war um 12.30 Uhr zu Fuß gekommen. Wenn es nach ihm geht, fährt er künftig mit dem Dienstwagen vor. Während Scholz das Haus zu Fuß verlässt. Die Chancen dafür stehen, den Umfragen zufolge, gut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen