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Ausgetretene Linken-Politikerin Quade„Versagen im Kampf gegen Judenhass“

Nach Jahrzehnten verlässt die Hallenser Linken-Politikerin Henriette Quade ihre Partei. Die Vorwürfe gegen ihre Ge­nos­s:in­nen wiegen schwer.

Nach 24 Jahren tritt die Linken-Politikerin Henriette Quade aus der Partei aus Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Berlin taz | 24 Jahre war Henriette Quade aus Halle Mitglied der Linken – davon 13 Jahre als Abgeordnete im Landtag von Sachsen-Anhalt. Bis Montag. Direkt nach dem Bundesparteitag der Linken in Halle schickte sie ihr Austrittsschreiben ans Karl-Liebknecht-Haus. Die Begründung hat es in sich. Von „unerträglichem Antisemitismus in den eigenen Reihen“, schreibt Quade. Sie beklagt „Versagen im Kampf gegen Judenhass im eigenen Laden“. Sie habe den Schritt länger abgewogen, sagt sie der taz.

Einen „großen Ausschlag“ habe der Landesparteitag in Berlin am 13. Oktober gegeben. Dort war die Debatte um einen Antrag gegen Anti­semitismus im Eklat geendet. Quade wollte noch den Bundesparteitag in Halle abwarten. Doch auch dort sah sie „Außenwirkung vor Problembenennung“ beim Thema Antisemitismus. Die Beschlussfassung zu einem Nahost-Antrag nennt sie einen „ziemlichen Tiefpunkt“.

Der „mörderische Antisemitismus, der seit dem ersten Tag des Bestehens des Staates Israel auf dessen Vernichtung drängt“, bleibe unbenannt. Der Parteitag wollte ein „Signal der Einheit und der Geschlossenheit“ senden – um den Preis von Kompromissen mit antisemitischen Strömungen. „Aber bei dem Thema sind Kompromisse für mich nicht tragbar“, sagt Quade.

Zu lesen war, dass sie am Rande des Parteitags von propalästinensischen De­mons­tran­t:in­nen bedroht worden sei. „Das geht gar nicht“, hatte der gerade neu gewählte Linken-Co-Chef Jan van Aken auf der Bühne dazu gesagt, dass Quade den Parteitag „durch die Hintertür“ verlassen musste. Quade weist dies zurück. „Ich bin da ganz klar nicht bedroht worden“, sagt sie. Es sei lediglich „auf der Demo Bullshit über mich erzählt“ worden.

Hate und Zuspruch

Den Hinterausgang habe sie nur benutzt, weil sie keine Lust auf die Begegnung mit den Demonstrierenden gehabt habe. „Es gab aber kein Gespräch mit Jan van Aken, in dem ich mich über Bedrohungen beklagt hätte“, sagt Quade. Van Akens Bekundung sei „sehr freundlich gemeint“. Ihren Austritt als eine „emotionale Reaktion“ auf Demonstration darzustellen „lenkt von meiner inhaltlichen Kritik ab.“ Die Behauptung der Parteiführung, es gebe „keine Antisemiten“ in der Partei, sei „bedeutend schlimmer als eine Demo“, sagt sie.

Wer die Social-Media-Reaktionen auf ihren Schritt liest, ahnt, wie hart die Auseinandersetzung in der Partei ist. Kommentare wie „eine Rassistin weniger“ häufen sich. „Die Reaktionen des Hate-Mob sprechen Bände“, sagt Quade dazu. Sie erreichten aber sehr viele unterschiedliche Nachrichten, „auch sehr freundliche und unterstützende, etwa von Jüd:innnen, die sich von der Linken nicht gut vertreten fühlen“.

Quade hatte über viele Jahre im Landtag von Sachsen-Anhalt auf Aufklärung im Fall des 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Oury Jalloh gedrängt. Sie arbeitete mit den Überlebenden des antisemitischen Terroranschlags in Halle am 9. Oktober 2019. Der Überlebende İsmet Tekin dankte Quade am Sonntag dafür beim Parteitag. Quade ist künftig Fraktionslose im Landtag und will „konsequent antifaschistisch“ bleiben.

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15 Kommentare

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  • Nach dem ehemaligen Berliner Fraktionschef Udo Wolf und dem früheren Bezirksbürgermeister Sören Benn zieht nun die dritte prominente Vertreterin der Partei "Die Linke" die ultimativen Konsequenzen.

    Ich habe ja schon vor ein paar Tagen geschrieben, dass es hier um teilweise fundamental unterschiedliche Positionen geht, die mit Formelkompromissen nicht zugekittet werden können. Für einen Teil der Partei ist Israelfeindschaft bis hin zum Antisemitismus inhärenter Teil eines geschlossenen antiwestlichen Weltbildes.

  • Deutscher Irrsinn im Namen illiberalen deutschen raison d'état und des deutschen Katechismus (Moses) - liberale Demokratien kennen diese bekanntlich nicht. Damit betreibt man einen ethnisch begründeten und bürokratisch eingerichteten anti-Antisemitismus, der nun gerade politische Pluralität der dermassen Ethnisierten nicht anzuerkennen bereit ist (Arendt) und damit politische Diskurse und Interventionen gegen Kritik an spezifischen Politiken zu immunisieren trachtet. Dann nicht mehr erstaunlich, dass in Deutschland dann auch international anerkannte Völkerrechtler, nebst völkerrechtlichen Institutionen, wie die UN, den ICJ oder den ICC diskreditiert werden. Selbst rechtliche Beurteilung derzeitiger und langjähriger Politiken der israelischen Regierungen müssen in Deutschland dann wahlweise unter Israelfeindlickeit, Israelhass, israelbezogenen Antisemitismus, politischen Antisemitismus, Judenhass, Antizionismus oder dergleichen fallen.

  • Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die wenigsten Menschen Antisemiten sind. Aber wenn das Äußern von Kritik an Israels Vorgehen und das Anerkennen der menschlichen Tragödien in Gaza bereits Antisemitismus ist, dann gibt es natürlich viele Antisemiten.

  • Im Ausland hat man den Eindruck, dass Deutschland vor allem damit Schuld auf sich lädt, indem es der Zerstörung und dem Aushungern einer ganzen Bevölkerung de facto tatenlos zusieht und seinem Alliierten Israel nicht entsprechend entgegentritt. Angesichts des Horrors, den die Welt noch sehen wird, wenn irgendwann wieder unbeschränkt Zugang zu Gaza bestehen sollte, wird auch D. sich für diese Unterlassung, rechtfertigen müssen! D. wird seiner historischen Verantwortung gegenüber der jüdischen Weltgemeinschaft und dem Staat Israel, mit dem Zulassen dieser Verbrechen durch israelische Rechtsradikale und Faschisten, nicht gerecht. Wenn Deutschland und seine Parteien wirklich etwas gegen den zunehmenden Antisemitismus unternehmen und der Verantwortung gegenüber dem weltweiten Judentum gerecht werden wollten, müssten sie ihr Verhalten gegenüber Israel verändern. D.h Israel aktiv helfen, wieder zu Völkerrecht, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückzufinden. Dazu gehört, dass man in D. aufhört, die Verantwortung für den Schutz jüdischen Lebens an die bedingungslose Unterstützung der Interessen des ethnonationalistischen Israels, seiner Eliten und Interessensgruppen zu koppeln.

  • Das die SED/PDS/Linke antisemitisch ist, schockiert mich gerade extrem! Wer hätte das ahnen können, bei einer Partei die früher arabischen Terroristen Waffen geliefert hat. Ach so, sorry - das hat ja alles wieder nichts mit allem zu tun und man muss auch mal die Geschichte vergessen können.

  • Es wird immer viel von Antisemitismus gesprochen, aber nie worin dieser im konkreten Fall denn bestanden haben soll. In einer Zeit, in der die Benennung eines Völkermord als solchen schon als Antisemitismus ausgelegt wird, ist das durchaus eine relevante Information zur Einordnung der Vorwürfe.

  • Es wird nicht klar, was Frau Quade konkret mit dem Vorwurf des "linken Antisemitismus" meint. Dies wäre aber notwendig, um das mögliche Problem anzugehen. Meint Frau Quade etwa die linke heftige Kitik an Israels Besatzungspolitik und Kriegsführung mit über 40.000 Toten und 100.000 Verletzten allein in Gaza oder die Kritik der UN an Netanjahus Eskalation im Libanon oder die Kritik an der bedingungslosen Unterstützung der Bundesregierung der israelischen rechtsextremen Politik oder die kritiklose Haltung des Zentralrats der Juden und der deutsch-israelischen Gesellschaft zum militärischen Angriff der israelischen rechtsextremen Regierung auf die UN im Libanon? Wenn dem so wäre, wäre die Kritik an Israels Politik und seiner Unterstützer für Frau Quade gleichbedeutend mit Antisemitismus. Dem widerspricht aber die Jerusalem Erklärung, die deshalb auch von den o.g. Institutionen abgelehnt wird. Wer angesichts der Massentötung durch israelisch-amerikanische Bomben die Kritik daran als Antisemitismus diffamiert, missbraucht den Begriff für machtpolitischen Spielchen im Nahen Osten auf Kosten des palästinensischen und letztendlich auch des isralischen Volkes.

  • Welche der wichtigeren Personen in der Partei sind Antisemiten? Zitate? Ich habe mir jetzt den Freitag und den Samstag des Parteitags angeschaut. Ja, es gibt ein paar Querschläger und die (Gegen -Demo draußen war wohl schon ziemlich danben). Aber die wichtigeren Leute der Partei haben absolut keine antisemitischen Haltungen erkennen lassen. Im Gegenteil. Im Internet wird gerade jegliche Möglichkeit genutzt die Linke in Schutt und Asche zu legen. Be careful what you wish for.

    • @Lui:

      Hier kommt Kritik aus den eigenen Reihen. Eine Person tritt aus und äußert klare negative Erfahrungen, aber anstatt jetzt Selbstreflektion zu üben, kommt nur ein Beißreflex.



      Nicht die Medien spalten die Linke, das jahrelange Ignorieren solcher gesinnungen in den eigenen Reihen spaltet sie jetzt.

      Antisemitismus im linken politischen Spektrum ist nicht neu. Die antiimperialistischen Linke war schon on den 90ern durchsetzt von Judenhassern und Verschwörungstheoretikern.

      Der 7. Oktober und die darauffolgende Eskalationsspirale hat nur ein im verborgenen schwelendes Problem bei vielen Aktivisten zu Tage gefördert. Das gute, alte schwarz/weiß Denken zeigt sich wiedereinmal.



      Auf vielen Demos von linken Aktivisten hört man nicht weniger als die Forderung Israel restlos auszulöschen. Spricht man auch mal mit jüdischen Mitbürger, von wem in Deutschland sie sich bedroht fühlen, wird die politische Linke unter anderem auch oft genannt. Auch wenn es oft eher eine Gefühlte Wahrheit ist, darf es gar nicht sein.

  • Eine Frau mit Charakter.

    Eine der letzten Aufrechten bei der Linken.

    Respekt!

  • Netanyahu-Regierung ungleich Staat Israel ungleich Juden. Es leben mehr Juden außerhalb von Israel/Palästina als innerhalb.

    Hamas ungleich Palästina ungleich Christen/Muslime. Es leben mehr Christen/Muslime außerhalb von Israel als innerhalb.

    Eigentlich ganz einfach. Und man kann sowohl das Hamas-Massaker als auch den brutalen Dauerkrieg Netanyahus gerade verurteilen, zugleich.

    Ganz einfach. Aber das erspart einem bereits, sich wegen einer solchen Sache spalten zu lassen. Die Linke hätte ja eigentlich noch eine wichtige Funktion.

    • @Janix:

      ... sie beklagt „Versagen im Kampf gegen Judenhass im eigenen Laden.“ ...

      Diese Hass ist es, welcher eine solche Differenzierung nicht zulässt.

      • @Benzo:

        Für Sie gerne nochmal: das Vorgehen der Netanyahu-Regierung kritisieren, das Gebaren des Staates Israel kritisieren ist im Regelfall kein "Judenhass". Genauso wie Kritik an der Hamas im Regelfall kein "Palästinenserhass" wäre.



        Aufpassen muss man da nur mit verschiedenen Maßstäben aufgrund von Herkunft, Pass, Religion, ...



        Universalismus hat auch da der Linken immer gut getan.

        Und jetzt wieder zurück zum echten Konflikt: dem von schwerreich und arbeitend.

    • @Janix:

      Henriette Quade solch einen Basic Punkt vorwerfen, die über Jahrzehnte verdiente antifaschistische Politik gemacht hat ist beleidigend.

      Er hat übrigens nichts damit zu tun, warum sie ausgetreten ist. Fakt ist, dass es der Antisemitismus in der Partei war, welcher ihren Austritt befördert hat.

      • @ToSten23:

        Ich trete nur deutlich der suggerierten Mär entgegen, dass man "Judenhasser" wäre, wenn man Netanyahu oder Israel kritisiert (die Konstruktion baut Netanyahu ja ständig auf und spielt der Hamas damit in die Klauen).

        Kann in Fällen sein, muss aber sicher nicht sein.



        Der Austritt, den ich ja offensichtlich wie Sie bedaure, sollte also _nicht in diese Richtung geschoben werden. Vielleicht sind wir da also gar nicht so weit auseinander.