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Linke wählen neue SpitzeLetzter Parteitag vor dem Nirwana?

Die Wahl des neuen linken Spitzenpersonals gilt vor dem Parteitag zumindest als unumstritten. Das war es aber schon mit der Harmonie.

Sind noch zuversichtlich: die voraussichtlichen neuen Linken-Parteivorsitzenden Ines Schwerdt­ner und Jan van Aken Foto: Stefan Boness/Ipon

BERLIN taz | Wird das noch was? Diese Frage dürften sich viele der über 500 Delegierten stellen, die sich an diesem Wochenende zum Bundesparteitag der Linken in Halle an der Saale versammeln. Mit einer neuen Führung soll der weitere Absturz der chronisch zerstrittenen Partei ins außerparlamentarische Nirwana gestoppt werden.

Ines Schwerdt­ner und Jan van Aken, die voraussichtliche neue Doppelspitze, geben sich unverdrossen zuversichtlich. „In der ganzen Breite der Partei scheinen inzwischen alle den Schuss gehört zu haben und bereit zur Zusammenarbeit zu sein“, so Schwerdt­ner im taz-Interview. Das könnte sich allerdings als bloßer Zweckoptimismus erweisen.

Immerhin: Die Wahl der 35-jährigen Berlinerin Schwerdt­ner und des 63-jährigen Hamburgers van Aken gilt als unumstritten. Zwar haben ein Handwerksmeister aus Thüringen und ein Heilpraktiker aus Hessen ebenfalls ihre Ambitionen auf den Bundesvorsitz angemeldet. Aber ihnen werden nicht einmal Außenseiterchancen zugebilligt.

Auch bei den vier Stell­ver­tre­te­r:in­nen dürfte nur interessant sein, mit welchen Wahlergebnissen der wieder kandidierende Bundestagsabgeordnete Ates Gürpinar, die sächsische Landtagsabgeordnete Luise Neuhaus-Wartenberg sowie Sabine Ritter und Maximilian Schirmer, Landesvorsitzende in Hamburg und Berlin, gewählt werden. Bislang sogar ohne Ge­gen­kan­di­da­t:in­nen sind die beiden Berliner Janis Ehling, der als Bundesgeschäftsführer kandidiert, und Sebastian Koch, der als Schatzmeister antritt.

Gerangel gibt es hingegen um die verbleibenden 18 Plätze im Bundesvorstand, für die sich nach derzeitigem Stand 37 Kan­di­da­t:in­nen bewerben. Hier wird sich zeigen, wie viel von der postulierten Bereitschaft zu einem gemeinsamen Neuanfang zu halten ist. Reicht sie bis hin zur friedlichen Koexistenz beispielsweise des Bremer Landessprechers Christoph Spehr, eines Befürworters militärischer Unterstützung der Ukraine, und der bayerischen Gewerkschafterin Ulrike Eifler, einer entschiedenen Gegnerin von Waffenlieferungen? Oder scheitern die Delegierten an der Aufgabe, die gesamte Spannbreite der Partei in ihrer neuen Führung widerzuspiegeln?

Wie geht die Partei mit dem Nahostkonflikt um?

Die Haltung zum russischen Überfall auf die Ukraine ist nicht der einzige Konfliktpunkt, der der Partei schwer zu schaffen macht. Es gibt viele Sprengsätze, die auf dem Parteitag zünden könnten. Zuvorderst gilt das für den äußerst emotional geführten Streit über einen angemessenen Umgang mit dem Nahostkonflikt, der bereits auf dem Berliner Landesparteitag am vergangenen Wochenende zu einem Eklat geführt hat.

Nachdem mit äußerst knappen Mehrheiten aus einem Antrag die Formulierung, der Terror der Hamas und der Hisbollah sei von einem „eliminatorischen Antisemitismus“ angetrieben, ebenso herausgestrichen wurde wie alle Hinweise auf einen linken Antisemitismus, verließen rund 40 Delegierte den Parteitag, darunter Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und der frühere Berliner Kultursenator Klaus Lederer.

In der Folge erklärte am Dienstag der langjährige Berliner Fraktionsvorsitzende Udo Wolf seinen Parteiaustritt. Für ihn sei „eine persönliche Schmerzgrenze überschritten“, schreibt er in seiner Abschiedserklärung. „Der Kampf gegen JEDEN Antisemitismus ist für meine Vorstellung von linker Politik konstitutiv“, so Wolf weiter.

Sowohl die alte wie auch die designierte neue Parteiführung versuchen derzeit intensiv, hinter den Kulissen die Wogen zu glätten. „Wir sind jetzt mit allen Seiten im Gespräch und werden auf dem Bundesparteitag einen Antrag vorlegen, der sicherlich von fast allen in der Partei unterstützt werden kann“, sagte van Aken dem Spiegel. Das wird auch nötig sein. Denn klar ist: Kommt es in Halle zu einem Knall wie in Berlin, dann dürften auch die letzten Hoffnungen verflogen sein, dass die Linkspartei ihren Abwärtstrend in die Bedeutungslosigkeit noch aufhalten kann.

Sie wünsche sich eine Debatte auf dem Parteitag, die „geprägt ist von Empathie“ gegenüber Israelis wie Palästi­nen­ser:in­nen, die unter dem Terror und dem Krieg leiden, sagte die scheidende Vorsitzende Janine Wissler auf ihrer gemeinsamen Abschiedspressekonferenz mit Noch-Co-Chef Martin Schirdewan am vergangenen Montag. Sie werbe „für Respekt für die Menschen, die in schwierigster Situation versuchen, die Fahne der Humanität hochzuhalten, die gemeinsam sich für Frieden einsetzen“.

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