Bildungsgrad und politische Einstellung: Fehlt Durchmischung, wachsen Gräben
Akademikerfamilien wählen progressiv, so das Ergebnis einer neuen Studie. Sie hat die Rolle des Bildungsgrads von Freunden und Familie untersucht.
Wählen wir, was unsere Bekannten wählen? Gerade angesichts des massiven Rechtsrucks in Europa stellt sich die Frage, welchen Einfluss unser Umfeld auf die eigenen politischen Einstellungen hat, besonders dringend. In der Regel stehen dabei explizit die politischen Präferenzen unserer Bekannten im Zentrum.
Zwei niederländische Wissenschaftler konzentrieren sich in einer neuen Studie auf einen anderen Aspekt: den Bildungsgrad unseres Umfelds. Sie zeigen, wie wenig durchmischt die Bildungsschichten in der Gesellschaft sind und wie das zu noch tieferen politischen Gräben führen kann.
Die Studie
Die Wissenschaftler beschäftigten sich mit drei Fragen: Umgeben sich Menschen allgemein eher mit Menschen mit dem gleichen Abschluss? Wie beeinflusst der (formelle) Bildungsgrad dieses Umfelds die eigene politische Haltung? Und: Verändert sich die Einstellung zu einem Thema, wenn sich der Bildungsgrad jenes Umfelds verändert?
Als enges Umfeld werden dabei diejenigen fünf Personen verstanden, mit denen die Befragten in letzter Zeit „wichtige Dinge“ besprochen haben. Für ihre Studie nutzten die Forscher Daten aus einer Langzeitbefragung in den Niederlanden sowie aus zwölf weiteren europäischen Ländern.
Die Resultate der Untersuchung sind eindeutig. Über drei Viertel der Befragten gaben an, dass ihr enges Umfeld überwiegend aus Menschen mit demselben Bildungsgrad besteht. Knapp die Hälfte hat keinerlei enge Verbindung mit anders Gebildeten. Nur knapp ein Viertel bewegt sich in einem Umfeld mit vielen Menschen anderen Bildungsgrads.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die Studie zeigt auch den klaren Einfluss, den der Bildungsgrad des engen Netzwerks auf die politische Haltung hat: Je höher ihr enges Umfeld gebildet ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Befragten progressive politische Haltungen vertreten. Dazu zählen zum Beispiel Einstellungen zur EU und zum Thema Migration. Umgekehrt gilt dasselbe.
Verstärkt wird dieser Effekt, wenn das enge Umfeld völlig homogen ist, also nur aus Menschen mit demselben Bildungsgrad besteht. Erst wer drei oder mehr enge Verbindungen zu anders Gebildeten hat, ist immun gegen diese Beeinflussung. Schaut man auf die Veränderungen des Bildungsgrads, sind die Ergebnisse differenzierter. Steigt das Bildungslevel ihres engen Umfelds, werden die Ansichten der Befragten beispielsweise zu Migration generell progressiver – und umgekehrt. Für andere politische Einstellungen, etwa zur EU, gilt das hingegen nicht.
Was bringt’s?
Die Studie zeigt wieder einmal, dass eine Gesellschaft nicht zufällig politisch auseinanderdriftet. Je homogener unser Umfeld ist, desto tiefer werden die Gräben. Sich immer nur mit Gleichgesinnten – und gleich Gebildeten – einzuigeln ist also keine gute Idee.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen