Dünne blaue Linie zur Verharmlosung: Polizist witzelt über den Holocaust

Früher war er Landtagsabgeordneter der AfD: Ein Polizeikommissar aus Schleswig-Holstein verbreitet bei Facebook den Holocaust verharmlosende Bilder.

Claus Schaffer, damals stellvertretender Fraktionsvorsitzende der AfD in Schleswig-Holstein, während einer Pressekonferenz Ende 2018 in Kiel

Spezieller „Humor“: Claus Schaffer, ehemaliger AfD-Grande in Schleswig-Holstein, postet schonmal Witze über die Wannsee-Konferenz Foto: Frank Molter/dpa

Berlin taz | Für Claus Schaffer ist der Holocaust offenbar eine Witzvorlage: Der ehemalige AfD-Landtagsabgeordnete und Polizist aus Schleswig-Holstein fand es wohl lustig, auf seiner Facebookseite ein Bild zu posten, das eine Antwort auf eine Betrüger-SMS zeigt. Darauf zu sehen: eine eingehende Nachricht mit dem Text: „Hallo Papa, das ist meine neue Telefonnummer. Kannst du mir bitte auf WhatsApp eine Test Nachricht schreiben?“ Darauf dann die Antwort: „Hallo, wir haben gerade am Wannsee eine Konferenz abgehalten und über Deine Zukunft gesprochen. Sei lieb gegrüßt, Dein Papa.“ Ein Screenshot des Beitrags liegt der taz vor. Schaffer kommentiert dazu in seinem Facebook-Post: „#Spassmuss“ und „#mademyday“.

Auf der Wannsee-Konferenz hat das NS-Regime unter Adolf Hitler im Jahr 1942 den bereits begonnenen industriellen Massenmord der europäischen Juden im Detail organisiert. Anwesend waren fünfzehn hochrangige Vertreter der Nazi-Regierung und SS-Behörden. In einer Villa am Wannsee ging es um das Wie der Deportationen und der Vernichtung der europäischen Juden. Die deutsche Reichsregierung nannte das „die Endlösung der Judenfrage“.

Warum für den ehemaligen AfD-Abgeordneten das Geheimtreffen zur Planung des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte eine Witzvorlage ist, beantwortete er auf taz-Anfrage nicht. Unklar ist, ob Schaffer selbst die Antwort in dem Screenshot geschrieben hat oder ob er das Bild weiterverbreitet hat. Likes gab es so oder so: 38 Freun­d*in­nen von Schaffer finden das witzig, 5 liken. Gepostet hat Schaffer das am vorvergangenen Donnerstag, zeitgleich zum AfD-Eklat im Thüringer-Landtag, bei dem die autoritär-nationalradikale Partei mit ihrem Alterspräsidenten die antidemokratische Blockade probte.

Die AfD in Schleswig-Holstein ist bei der Landtagswahl 2022 aus dem Kieler Parlament geflogen. Schaffer ist also nicht wieder in den Landtag eingezogen. Das macht sein Facebook-Posting allerdings nicht weniger problematisch: Der 55-Jährige ist als Kriminalhauptkommissar im gehobenen Dienst der Landespolizei Schleswig-Holstein tätig und damit wie alle Po­li­zis­t*in­nen auch auf das Grundgesetz vereidigt. Immer wieder werden problematische Polizeichats bekannt, die zu Disziplinarverfahren führen. Dieses Bild postete Claus Schaffer allerdings auf seiner privaten Facebookseite, einsehbar für Facebook-Freund*innen.

Ins Gesamtbild passt, dass Schaffer auch öffentlich einsehbar auf seinem Facebookprofil über sich schreibt: „Politisch konservativ, im Herzen Cop. #thinblueline“: Die Thin Blue Line ist ein politisch aufgeladenes Symbol, das anschlussfähig für extrem rechte Ideologie und autoritäre Erzählungen ist. Es soll die Polizei als „dünne blaue Linie“ symbolisieren, die als letzter Schutzschild zwischen den Bür­ge­r*in­nen und dem vermeintlichen gesellschaftlichen Chaos steht.

Das Zeichen erfreut sich auch bei einigen deutschen Po­li­zis­t*in­nen großer Beliebtheit, kommt aber ursprünglich aus den USA. Dort fand es vor allem in der Blue-Lives-Matter-Bewegung Anklang, die sich als Gegenbewegung zu den Black-Lives-Matter-Protesten gegründet hat. Die Thin-Blue-Line-Fahnen sind auch in amerikanischen Alt-Right-Kreisen beliebt und wurden von Trump-Anhängern beim Sturm auf das Kapitol getragen, wo unter anderem auch ein Polizist getötet wurde. Anhänger, Patches und Aufnäher mit dieser Symbolik gibt es auch in deutschen Shops für Polizeibedarf. Optimistisch stimmt immerhin, dass Schaffer sich in einem weiteren Facebook-Post über eine zu linke Polizei beschwert.

Inwieweit ist ein Polizeibeamter, der solche Witze macht, als Staatsbediensteter tragbar? Das Innenministerium Schleswig-Holstein antwortet, dass der beschriebene Sachverhalt den Verdacht einer Straftat sowie eines Dienstvergehens begründe. Eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Lübeck sowie dienstrechtliche Maßnahmen würden geprüft. Ob Schaffer einer der acht Be­am­t*in­nen ist, gegen die wegen der Verdachts auf rechtsextreme Gesinnung ermittelt wird, könne die Behörde aufgrund von Persönlichkeitsrechten weder bestätigen noch falsifizieren.

Das Ministerium betont, dass bei der Landespolizei Schleswig-Holstein eine hohe Sensibilität für die benannte Thematik bestehe. Po­li­zei­be­am­t*in­nen verpflichteten sich mit dem Diensteid, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. „Die Landespolizei Schleswig-Holstein verfolgt hierbei eine Null-Toleranz-Linie“, heißt es. Derzeit lägen der Behörde aber noch keine ausreichenden Informationen vor, um eine abschließende Bewertung vorzunehmen. In welchem Bereich Schaffer innerhalb der Polizei eingesetzt ist, beantwortete das Ministerium nicht.

Die AfD Schleswig-Holstein antwortete auf taz-Anfrage, dass Schaffer „seit geraumer Zeit kein Mitglied mehr“ sei. Der stellvertretende Vorsitzende Julian Flak schreibt, dass Schaffer keine Person des öffentlichen Interesses mehr sei und sich dieser daher in der Angelegenheit nicht äußern werde. Als ehemaliger Landtagsabgeordneter der autoritär-nationalradikalen AfD ist Schaffer aber natürlich eine Person der Zeitgeschichte, über einen Wikipedia-Eintrag verfügt er als öffentliche Person ebenfalls. Spätestens mit der Rückkehr in ein Beamtenverhältnis müsste für Schaffer auch wieder das Mäßigungsgebot für Be­am­t*in­nen greifen.

Auf seiner aktuellen Facebookseite ist zumindest auf den der taz vorliegenden Screenshots von Mäßigung oder Distanz zur AfD wenig zu sehen: Sie zeigen hauptsächlich AfD-Inhalte. Ebenso ist er auf Facebook mit zahlreichen Bundestagsabgeordneten der Partei und sogar Mitgliedern aus dem Bundesvorstand befreundet.

Wie seine Facebook-Aktivitäten im Einklang mit dem Mäßigungsgebot für Be­am­t*in­nen stehen sollen, bleibt fraglich. In einem weiteren Posting stellt Schaffer etwa die Unabhängigkeit des Thüringer Verfassungsgerichts und damit die Gewaltenteilung der Bundesrepublik infrage. Unter einer Liste der Thüringer Verfassungsrichter nebst der Information, welche Parteien die Richter vorgeschlagen haben oder welchen sie angehören, kommentiert er offenbar ironisch: „Unabhängigkeit der Justiz“. Die Liste kam ursprünglich von einem Telegram-Kanal aus der Querdenker-Szene.

Darunter kotzt eine Facebook-Freundin mit Emoticons in die Kommentare. Ein anderer Freund beschimpft die Richter mit der Andeutung: „Systemhu…“. Ein weiterer vergleicht die Thüringer Verfassungsrichter unwidersprochen mit den Richtern des Volksgerichtshofes und spricht von „freislerischer Rechtsprechung“. Roland Freisler war ein berüchtigter NS-Jurist, der maßgeblich das NS-Unrecht mitformte und der ebenfalls bei der Wannsee-Konferenz vor Ort war sowie in die Organisation des Holocausts eingebunden war.

Auch der ehemalige AfD-Fraktionsvorsitzende Schleswig-Holsteins, Jörg Nobis antwortet affirmativ: „Wenn sich aber Wahlverlierer zusammenschließen, um den Wahlgewinner zu verhindern, dann ist die Demokratie zumindest schwer beschädigt.“ Dann setzt er unter anderem das Hashtag „#Machtergreifung“.

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