Wirtschaftsweise Truger über Konjunktur: „Die Ampel darf nicht mehr kürzen“
Notfalls muss die Ampel bei ihrer Wachstumsinitiative draufsatteln, rät Wirtschaftsweise Achim Truger. Denn die Lage hat sich deutlich verschlechtert.
taz: Herr Truger, zuletzt ist die Wirtschaftsleistung in Deutschland leicht um 0,1 Prozent zurückgegangen. Es mehren sich die Stimmen, die vor einer neuen Konjunkturflaute warnen. Wie schlecht ist die Lage wirklich?
Achim Truger: Bereits in unserem Frühjahresgutachten sind wir als Sachverständigenrat für 2024 von einem Miniwachstum von lediglich 0,2 Prozent ausgegangen. Das wäre alles andere als eine kräftige Erholung. Und eine Reihe von Indikatoren deutet darauf hin, dass der erhoffte Aufschwung in diesem Quartal ausbleibt und die tatsächliche Lage noch schlechter ist als zunächst erwartet.
taz: Was lässt Sie so pessimistisch sein?
ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Das fünfköpfige Beratergremium wird auch „die Wirtschaftsweisen“ genannt.
Truger: Der Geschäftsklimaindex des Münchner ifo Instituts ist im Juli das dritte Mal in Folge zurückgegangen. Das heißt, die Unternehmen schätzen die Lage deutlich pessimistischer ein als noch am Anfang des Jahres. Zudem werden die Finanzmärkte volatiler. Das konnte man nicht nur bei den weltweiten Börsenturbulenzen vor einigen Tagen sehen. Auch die Konjunkturerwartungen deutscher Finanzexperten, die das Forschungsinstitut ZEW erhebt, sind deutlich zurückgegangen. Dass die Auftragseingänge in der Industrie zuletzt wieder gestiegen sind, ist da nur ein schwacher Hoffnungsschimmer. Dafür herrscht derzeit auch zu viel Unsicherheit über geopolitische Entwicklungen wie den Krieg im Nahen Osten.
taz: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Juni die Zinswende eingeleitet und das erste Mal seit der Energiepreiskrise ihre Leitzinsen gesenkt. Hat das nicht zur Entspannung der Lage beigetragen?
Truger: Perspektivisch vielleicht ein bisschen. Aktuell leider nein. Bis die Effekte der Zinssenkung in der Wirtschaft ankommen, wird es noch dauern. Zudem haben die kräftigen Reallohnsteigerungen der letzten Monate noch nicht dazu geführt, dass die private Nachfrage wieder anzieht. Allein im ersten Halbjahr 2024 sind die Tariflöhne real um 3,1 Prozent gestiegen. Eigentlich müsste das den Konsum ankurbeln. Dass das nicht passiert, zeigt, dass die Menschen der Situation nicht trauen und ihr Geld lieber sparen als ausgeben. Denn die Reallohnverluste während der Energiepreiskrise sind bei weitem noch nicht kompensiert. Und diese Zurückhaltung beim Konsum führt dazu, dass die Konjunktur weiter stottert.
taz: Deutschland ist aber doch auch eine exportstarke Volkswirtschaft …
Truger: Auch der Export läuft derzeit nicht rund. Zuletzt ist der Wert der Ausfuhren gesunken. Denn auch die Lage in der Weltwirtschaft hat sich verschlechtert. Gleichzeitig konnte die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Monaten, anders als früher, kaum vom Aufschwung in den USA und China profitieren. Und das ist alarmierend. Es ist ein Anzeichen, dass die deutsche Industrie an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat.
taz: Ist das bereits der Beginn einer Deindustrialisierung?
Truger: Für so eine Diagnose ist es noch zu früh. Aber gleichzeitig lässt sich nicht leugnen, dass die hohen Energiepreise insbesondere die energieintensive Industrie vor Probleme stellen. Zudem fällt der deutschen Wirtschaft auf die Füße, dass China sein Geschäftsmodell geändert hat. Das Land expandiert immer mehr in Geschäftsfelder, in denen deutsche Unternehmen stark waren. Dadurch müssen deutsche Unternehmen jetzt viel häufiger mit chinesischen Firmen konkurrieren, und zwar sowohl in China als auch auf anderen Exportmärkten.
taz: Die EU-Kommission hat Anfang Juli vorläufige Sonderzölle auf chinesische Elektroautos verhängt. Ist das die richtige Maßnahme gegen solch neue Konkurrenz aus Fernost?
Truger: Dass die EU Zölle verhängt hat und jetzt verhandelt wird, ist angesichts der massiven Subventionen in China absolut richtig. Gleichzeitig braucht die EU eine ehrgeizige industriepolitische Strategie. Sie muss auch auf das zwei Billionen Dollar schwere IRA-Investitionsprogramm der USA eine Antwort finden. Insbesondere Deutschland muss da liefern. Und die Bundesregierung muss eine Antwort finden, wie die Energiepreise stabilisiert werden.
taz: Was ist, wenn sich die konjunkturelle Lage weiter verschlechtert und Deutschland in eine Rezession gerät?
Truger: Um das zu verhindern, muss die Ampelkoalition endlich ihren Haushaltsstreit beenden. Sie darf nicht weiter kürzen. Sie muss endlich Klarheit schaffen. Es ist ein massives Problem, wenn sich die Bundesregierung nach langen und schwierigen Verhandlungen endlich auf einen Haushalt einigt und der Bundesfinanzminister diesen in Rekordzeit wieder in Frage stellt. Es ist ja immer noch unklar, welche Maßnahmen, die ursprünglich zur Ankurbelung der Wirtschaft gedacht waren, am Ende überhaupt umgesetzt werden. Dabei wird es angesichts der derzeitigen Prognosen Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft brauchen. Sollte sich die Lage weiter verschlechtern, muss die Bundesregierung bei ihrer Wachstumsinitiative noch einmal kräftig draufsatteln.
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