Alle gegen alle gegen alle

Bei den Pride-Veranstaltungen am Wochenende wird der Nahostkonflikt eine große Rolle spielen. Das hängt auch mit der Sensibilität der Szene für Diskriminierung zusammen

Auf der Demo „Free Palestine will not be cancelled“ im vergangenen November Foto: Florian Boillot

Von Lilly Schröder

Wer am Wochenende zur Pride geht, wird an der ein oder anderen Kufiya und Davidstern nicht vorbeikommen. „Das Thema Nahost bewegt die queere Community krass“, sagt Marcel Voges, Vorstandsmitglied des Berliner CSD e. V. „Es gibt eine besondere Sensibilität für Diskriminierung, das hängt mit unseren eigenen Erfahrungen zusammen. Ich habe das Gefühl, dass es deshalb eine hohe Solidarität auf beiden Seiten gibt.“

Zudem gebe es einen „immensen Positionierungszwang“, betont Antisemitismus-Experte und Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung, Stefan Lauer. „Es gibt zig Konflikte auf der ganzen Welt, aber niemand muss sich zu den Uiguren oder im Kongo positionieren.“ Im Nahostkonflikt hingegen schon, denn dieser sei in der queeren Community ein „Brennglas“, in dem unterschiedliche Aspekte verstärkt zusammenkämen: ein gemeinsamer Nenner aus Postkolonialismus und Queer Theory.

Der Protestforscher Simon Teune beobachtet, dass das Thema Nahost in vielen Demos auf der Tagesordnung steht, ob in der Klimabewegung, der Clubkultur oder der queeren Szene. „Der Konflikt wird da für alle Politikfelder durchbuchstabiert.“ So auch bei den anstehenden Pride-Demonstrationen, dem Dyke March, dem Christopher Street Day (CSD) und seiner antikapitalistischen Alternative, der Internationalistischen Queer Pride (IQP).

Die IQP positioniert sich eindeutig propalästinensisch. Teil des ursprünglichen Bündnisses der seit 2021 stattfindenden Demonstration waren die Israel-Boykottbewegungen „BDS Berlin“ und „Palästina spricht“. In der Vergangenheit wurden Vorwürfe der Israelfeindschaft laut, im Aufruf für Samstag heißt es „No Pride in Genocide & Apartheid“. Die Mitglieder des diesjährigen Bündnisses wurden bislang nicht bekannt gegeben. Der taz gegenüber möchte IQP sich zu ihrer Haltung im Nahostkonflikt nicht äußern.

„Die müssen nicht mehr mit Namen dabei sein, es ist klar, wer dahintersteckt“, sagt Stefan Lauer. „Die IQP ist ein Coup für die BDS-Kampagne.“ Auf dem Demoplakat ist eine Wassermelone abgebildet, die aufgrund ihrer Farben zum propalästinensischen Symbol geworden ist. Darin befindet sich eine Silhouette Israels, eingefärbt – ausschließlich – in Hamas-Grün. In dem Aufruf steht jedoch auch: „Queer Jews Against Genocide“. Lauer vermutet dahinter eine Gruppierung, die der „Jüdischen Stimme“ nahesteht, einem in der jüdischen Community isolierten Verein, dem manche Terrorverharmlosung vorwerfen.

„Es hat sich eine Logik der Feindschaft entwickelt“, sagt Protestforscher Teune. „Es gibt gar keine öffentlich sichtbare dritte Position mehr, die den Antisemitismus im Angriff des 7. Oktober genauso betont wie das Leid und die Situation in Gaza.“ Stefan Lauer spricht von einem „eindeutigen Schwarz-Weiß-Narrativ“ von Unterdrücker und Unterdrückten, jedoch mit einem „blinden Fleck“ mit Blick auf Antisemitismus.

Auch beim Dyke March, einer Demo für lesbische Sichtbarkeit, die am Freitag zum 11. Mal stattfindet, war es im Vorfeld zu Spannungen gekommen. Hintergrund war ein Fundraising-Event in der Bar Möbel Olfe am Kottbusser Tor Anfang Juli. Eine Gruppe von, laut Organisator*innen, „überwiegend weißen, überwiegend nicht-jüdischen Lesben“ hatte einen Tisch mit einer Regenbogen-Flagge mit Davidstern bedeckt und einem Zettel mit der Aufschrift: „Safe table for Jews and Israelis.“ Laut Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen folgte eine verbale Auseinandersetzung unter den Gästen, die „zu eskalieren drohte“. Der Soli-Abend wurde vorzeitig beendetet.

In einer Stellungnahme auf Instagram betonte das Orga-Team, dass die Aktion aus ihrer Sicht nur eine Motivation hatte: „Provokation und Spaltung“. Sie wünschen sich am Freitag eine hassfreie Dyke-Demo. Fahnen und Flaggen sowie Schilder mit rassistischen, antisemitischen, antimuslimischen Inhalten sind nicht erwünscht. Die East Pride, eine proisraelische queere Gruppe, kündigte jedoch bereits an: „Wir überlassen den Dy­ke*­M­arch Berlin nicht Antisemitinnen und Israelhasserinnen. Wir treffen uns an der großen Regenbogenfahne mit Davidstern auf dem Karl-Marx-Platz.“

„Es hat sich eine Logik der Feindschaft entwickelt“

Simon Teune, Protestforscher

Mit der Polizei seien für die Demo am Freitag bereits Kooperationsgespräche geführt worden. Auch der CSD hat sich bereits mit der Polizei auf ihre Demo am Samstag vorbereitet. Zudem werden sie von der Beobachtungsstelle democ unterstützt, die vor Ort hilft antisemitische, muslimfeindliche oder rassistische Aussagen und Symbole zu erkennen und einzuordnen.

„In Berlin wird der Konflikt in einem immensen Ausmaß verhandelt“, sagt Stefan Lauer. Zurückzuführen sei das auf die große internationale Szene. Protestforscher Teune betont, dass es sich dabei jedoch nicht um eine Massenbewegung handle. „Der Kreis an Leuten, der das Thema in alle Demos reinträgt, ist überschaubar“ – aber präsent.

Manuela Kay, Mitorganisatorin des Dyke March, kritisiert, dass der Nahostkonflikt in der queeren Community „total unsachlich“ geführt werde. „Das Thema wird sich angeeignet und instrumentalisiert, um andere Konflikte auszutragen.“ Wie so häufig bei Konflikten in der Community hätten viele „einfach ein großes Bedürfnis zu spalten“. Es werde weder einander zugehört noch in den Dia­log getreten oder zugelassen, dass es eine andere Meinung gibt. „Indem wir uns spalten und gegenseitig diffamieren, spielen wir letztlich den Rechten in die Hände.“