Kooperation führt zu Abschiebung: „Schockierend und absurd“
Ende Juni hat die Stadt Hannover einen bestens integrierten Geflüchteten an die Elfenbeinküste abgeschoben. Seine Kooperation wurde ihm zum Verhängnis.
Am 26. Juni 2024 ist in Hannover genau das passiert. Th. F. (Name der Redaktion bekannt), Geflüchteter aus der Elfenbeinküste, musste Deutschland verlassen. Er wurde bei einem vermeintlich normalen Beratungstermin in der Ausländerbehörde festgenommen und tagelang inhaftiert.
Fast fünf Jahre lang hatte F. in Deutschland gelebt. Seinen Lebensunterhalt finanzierte er selbst, durch Arbeit in Vollzeit. Er zahlte Steuern. Er kann sich gut auf Deutsch verständigen. Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Er ist bestens integriert.
2019 hatte F. einen Asylantrag gestellt, 2022 die Ablehnung bekommen. Abgeschoben werden konnte er nicht, denn er hatte keine Ausweispapiere. Er erhielt eine Duldung. Lange ging das gut.
Aber dann ist da die Sache mit seinem Pass. F. beschafft ihn, wie verlangt, legt ihn der Ausländerbehörde vor. Als er es tut, ahnt er nicht, was er damit auslöst: Er weiß zwar, dass dann die Duldung erlischt. Aber er denkt, dass er dafür in einen höheren Aufenthaltsstatus wechselt. Das Gegenteil geschieht: Er wird frei für die Abschiebung. Als er den Pass abgibt, sagt ihm das niemand. Sein Pass wird einbehalten.
Caroline Mohrs, Flüchtlingsrat Niedersachsen
Das Ausstellungsdatum des Passes, der 18. Oktober 2023, wird für F. zum Problem. Die Duldung sei rückwirkend zu diesem Datum erloschen, sagt die Ausländerbehörde. Eine Beschäftigungsduldung nach § 60d Aufenthaltsgesetz sei daher nicht möglich. Die setzt eine vorherige Duldung von mindestens zwölf Monaten voraus. Auf die zwölf Monate kommt F. aber nicht.
Caroline Mohrs, Referentin beim Flüchtlingsrat Niedersachsen, ist empört: „Das ist schockierend und absurd“, sagt sie der taz. „Da hat ein Mensch immer alles richtig gemacht, hat immer bei allem Behördlichen mitgewirkt, und dann wird er abgeschoben. Das ist widersinnig.“
Der Flüchtlingsrat ist der Auffassung, F. habe die Voraussetzungen für eine Beschäftigungsduldung erfüllt. „Es hätte sich im Rahmen des gesetzlichen Ermessensspielraums der Ausländerbehörde eine menschlichere und für alle befriedigendere Lösung finden lassen“, sagt Mohrs. „Wir haben den Eindruck, hier wird dem Ziel zugearbeitet, mit allen Mitteln die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen.“
Der Flüchtlingsrat kritisiert, dass nicht alle Möglichkeiten für ein Bleiberecht ausgeschöpft worden seien, sei besonders bedauerlich, weil mit Hannover eine Kommune verantwortlich sei, die sich im Rahmen des Projekts „Wege ins Bleiberecht“ für Perspektiven langzeitgeduldeter Schutzsuchender einsetzt. Die Abschiebung des Ivorers sei „Ergebnis populistischer Politik, die Forderungen von Hardlinern bedient“.
Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung verspricht eine „Rückführungsoffensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen“. Die Ausländerbehörde der Stadt Hannover hat das im Fall F. offenbar ziemlich rigoros ausgelegt.
Hätte F. mit der Abgabe des Passes noch gewartet, hätte ihm auch §25b des Aufenthaltsgesetzes helfen können. Er sieht eine Aufenthaltsgewährung vor, wenn ein geduldeter Ausländer sich „nachhaltig“ integriert hat – mindestens sechs Jahre.
Rechtlich bleibt wenig Hoffnung
Wir erreichen F. per Videocall an der Elfenbeinküste. Bei der Abschiebung seien Handschellen eingesetzt worden, erzählt er, obwohl er sich nicht gewehrt habe. Er wirkt fassungslos. Schüttelt den Kopf, wieder und wieder. Über seine Verhaftung bei der Ausländerbehörde sagt er: „Nur eine Minute, dann stand da die Polizei. Du kommst jetzt mit, hieß es. Rucksack weg, festgehalten. Ich habe mich gefühlt wie ein Tier.“ Dann sagt er: „Ich möchte weinen, weinen. Was mit mir passiert, ist unglaublich.“
F.s Eilantrag gegen die Abschiebung wurde abgelehnt. Rechtlich bleibt wenig Hoffnung. Der Flüchtlingsrat hat die Stadt aufgefordert, F. die Rückkehr zu ermöglichen.
Oberbürgermeister Belit Onay bedauert
Die Rückführung sei „leider Ergebnis einer alternativlosen rechtlichen Lage“, schreibt Hannovers Stadtsprecher Dennis Dix der taz. Es habe „keinerlei Ermessensspielräume“ gegeben. „Der Betroffene war vollziehbar ausreisepflichtig und bereits seit Monaten nicht mehr im Besitz einer Duldung.“ Auch ohne Pass hätte F. ausreisen müssen. „Es waren bereits Maßnahmen ergriffen worden, um Passersatzpapiere bei der ivorischen Botschaft zu erhalten, mit denen er – auch ohne Vorlage eines Passes – in das Herkunftsland hätte zurückgeführt werden können und müssen.“
„Wir bedauern, dass es hier keine Möglichkeit gegeben hat, dem Betroffenen eine Bleibeperspektive zu eröffnen“, sagt Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Der Fall verdeutliche, „dass die Bundesgesetzgebung nachbessern muss, um die Ermessensspielräume für gut integrierte Menschen zu erweitern“.
(mit Material von epd)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen