Alles richtig gemacht, aber am Ende ist alles falsch

Ende Juni hat die Ausländerbehörde der Stadt Hannover einen Geflüchteten an die Elfenbeinküste abgeschoben. Dass er seit Jahren bestens integriert ist, hilft ihm nichts. Durch seine Kooperation trägt er zum Erlöschen seines Aufenthaltsstatus bei. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen ist empört.

Wurde in Handschellen in die Elfenbeinküste abgeschoben: Th. F. Foto: privat:

Von Harff-Peter Schönherr

Abschiebung – die Webseite des Bundesinnenministeriums beschreibt diesen Gewaltvorgang betont sanft: „Wer nicht die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt oder besonders schutzwürdig ist, muss unser Land wieder verlassen“, erklärt die Behörde von Nancy Faeser (SPD). Erfolge die Ausreise nicht freiwillig, werde „rückgeführt“.

Am 26. Juni 2024 ist in Hannover genau das passiert. Th. F. (Name der Redaktion bekannt), Geflüchteter aus der Elfenbeinküste, musste Deutschland verlassen. Er wurde bei einem vermeintlich normalen Beratungstermin in der Ausländerbehörde festgenommen und tagelang inhaftiert.

Fast fünf Jahre lang hatte F. in Deutschland gelebt. Seinen Lebensunterhalt finanzierte er selbst, durch Arbeit in Vollzeit. Er zahlte Steuern. Er kann sich gut auf Deutsch verständigen. Er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen. Er ist bestens integriert.

2019 hatte F. einen Asylantrag gestellt, 2022 die Ablehnung bekommen. Abgeschoben werden konnte er nicht, denn er hatte keine Ausweispapiere. Er erhielt eine Duldung. Lange ging das gut.

Aber dann ist da die Sache mit seinem Pass. F. beschafft ihn, wie verlangt, legt ihn der Ausländerbehörde vor. Als er es tut, ahnt er nicht, was er damit auslöst: Er weiß zwar, dass dann die Duldung erlischt. Aber er denkt, dass er dafür in einen höheren Aufenthaltsstatus wechselt. Das Gegenteil geschieht: Er wird frei für die Abschiebung. Als er den Pass abgibt, sagt ihm das niemand. Sein Pass wird einbehalten.

Das Ausstellungsdatum des Passes, der 18. Oktober 2023, wird für F. zum Problem. Die Duldung sei rückwirkend zu diesem Datum erloschen, sagt die Ausländerbehörde. Eine Beschäftigungsduldung nach § 60d Aufenthaltsgesetz sei daher nicht möglich. Die setzt eine vorherige Duldung von mindestens zwölf Monaten voraus. Auf die zwölf Monate kommt F. aber nicht.

Caroline Mohrs, Referentin beim Flüchtlingsrat Niedersachsen, ist empört: „Das ist schockierend und absurd“, sagt sie der taz. „Da hat ein Mensch immer alles richtig gemacht, hat immer bei allem Behördlichen mitgewirkt, und dann wird er abgeschoben. Das ist widersinnig.“

Der Flüchtlingsrat ist der Auffassung, F. habe die Voraussetzungen für eine Beschäftigungsduldung erfüllt. „Es hätte sich im Rahmen des gesetzlichen Ermessensspielraums der Ausländerbehörde eine menschlichere und für alle befriedigendere Lösung finden lassen“, sagt Mohrs. „Wir haben den Eindruck, hier wird dem Ziel zugearbeitet, mit allen Mitteln die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen.“

Der Flüchtlingsrat kritisiert, dass nicht alle Möglichkeiten für ein Bleiberecht ausgeschöpft worden seien, sei besonders bedauerlich, weil mit Hannover eine Kommune verantwortlich sei, die sich im Rahmen des Projekts „Wege ins Bleiberecht“ für Perspektiven langzeitgeduldeter Schutzsuchender einsetzt. Die Abschiebung des Ivorers sei „Ergebnis populistischer Politik, die Forderungen von Hardlinern bedient“.

„Wir haben den Eindruck, hier wird dem Ziel zugearbeitet, mit allen Mitteln die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen“

Caroline Mohrs, Flüchtlingsrat Niedersachsen

Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung verspricht eine „Rückführungsoffensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen“. Die Ausländerbehörde der Stadt Hannover hat das im Fall F. offenbar ziemlich rigoros ausgelegt.

Hätte F. mit der Abgabe des Passes noch gewartet, hätte ihm auch ­§25b des Aufenthaltsgesetzes helfen können. Er sieht eine Aufenthaltsgewährung vor, wenn ein geduldeter Ausländer, sich „nachhaltig“ integriert hat – mindestens sechs Jahre.

Wir erreichen F. per Videocall an der Elfenbeinküste. Bei der Abschiebung seien Handschellen eingesetzt worden, erzählt er, obwohl er sich nicht gewehrt habe. Er wirkt fassungslos. Schüttelt den Kopf, wieder und wieder. Über seine Verhaftung bei der Ausländerbehörde sagt er: „Nur eine Minute, dann stand da die Polizei. Du kommst jetzt mit, hieß es. Rucksack weg, festgehalten. Ich habe mich gefühlt wie ein Tier.“ Dann sagt er: „Ich möchte weinen, weinen. Was mit mir passiert, ist unglaublich.“

F.s Eilantrag gegen die Abschiebung wurde abgelehnt. Rechtlich bleibt wenig Hoffnung. Der Flüchtlingsrat hat die Stadt aufgefordert, F. die Rückkehr zu ermöglichen.

In Berlin ist der ivorische Präsident Alassane Ouattara ein gern gesehener Gast, hier beim „Compact for Africa“-Gipfel 2023. Auch weil sein Land bei der Rücknahme seiner Staatsbürger kooperiert Foto: Britta Pedersen/dpa

Die Rückführung sei „leider Ergebnis einer alternativlosen rechtlichen Lage“, schreibt Hannovers Stadtsprecher Dennis Dix der taz. Es habe „keinerlei Ermessensspielräume“ gegeben. „Der Betroffene war vollziehbar ausreisepflichtig und bereits seit Monaten nicht mehr im Besitz einer Duldung.“ Auch ohne Pass hätte F. ausreisen müssen „Es waren bereits Maßnahmen ergriffen worden, um Passersatzpapiere bei der ivorischen Botschaft zu erhalten, mit denen er – auch ohne Vorlage eines Passes – in das Herkunftsland hätte zurückgeführt werden können und müssen.“

„Wir bedauern, dass es hier keine Möglichkeit gegeben hat, dem Betroffenen eine Bleibeperspektive zu eröffnen“, sagt Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Der Fall verdeutliche, „dass die Bundesgesetzgebung nachbessern muss, um die Ermessensspielräume für gut integrierte Menschen zu erweitern“.

(mit Material von epd)