Sportwetten bei der EM: Das Spiel und die Sucht
Werbung für Sportwettenanbieter ist bei der EM omnipräsent. Einer ist sogar Topsponsor der Uefa. Fans weisen auf die Gefahren der teuren Tipperei hin.
Wetten, dass Sie als Zuschauer:in dieser Euro mittlerweile Betano begegnet sind? Es ist ziemlich schwer zu vermeiden. Der Wettanbieter prangt auf Werbebanden, wirbt überall im TV und verlost wöchentlich EM-Tickets. Dass ein Wettanbieter erstmals Hauptsponsor einer EM ist, ist die letzte Konsequenz einer steten Öffnung des Fußballs für die Wettbranche.
Nun hat die Uefa Betano den Schlüssel zum Weihnachtsgeschäft geliefert. Der Deutsche Sportwettenverband erwartet Einsätze von bis zu einer Milliarde Euro – bei 7,7 Milliarden Euro Einsätzen im gesamten letzten Jahr. Der deutsche Glücksspielmarkt machte zuletzt Umsätze von 13,7 Milliarden Euro, und besonders stark gewachsen ist er nach dem Lobbyerfolg des neuen Glücksspielstaatsvertrags 2021, der unter anderem Onlinesportwetten legalisierte.
1,8 Milliarden Euro haben die Deutschen 2023 unterm Strich verzockt; drei Viertel aller Sportwetten entfielen auf Fußball. Die Zahl der Süchtigen ist in die Höhe geschnellt. Laut Glücksspielatlas 2023 sind es rund 1,3 Millionen Menschen. 2021 wurde diese Zahl noch auf 400.000 geschätzt. 6,2 Prozent aller Männer haben im vergangenen Jahr Sportwetten getätigt, aber nur 1,3 Prozent der Frauen.
Wetten ist in der Populärkultur angekommen, dabei gehören Sportwetten zu den Glücksspielen mit der höchsten Suchtgefahr. Wichtigste Geldquelle sind die schwer Süchtigen. Die bezahlen nun einen Teil der EM, mitunter mit ihrem Leben. Je nach Studie unternehmen 10 bis 26 Prozent der pathologischen Glücksspieler:innen einen Suizidversuch.
Bedenken aus der Fanszene
„Sportwetten sind ein Thema, das auf die Stimmung drückt, womit man sich nicht so gerne auseinandersetzen möchte“, sagt Markus Sotirianos. „Nach dem Motto: Ja, wir brauchen halt das Geld, wir wissen schon, das ist irgendwie nicht so gut, aber es ist ja legal.“ Sotirianos ist Mitglied bei Unsere Kurve und beim Bündnis gegen Sportwetten-Werbung, das sich 2022 aus einer Vernetzung von aktiver Fanszene, Wissenschaft und Suchthilfe gegründet hat.
Schon im März protestierte das Bündnis mit einem offenen Brief gegen Betano. Zum ersten spielfreien Tag der Euro ließen Suchtberatungsstellen in Deutschland und Österreich und einzelne Fanorganisationen überdimensionale Geldscheine aus Fenstern regnen. „Wir sind ganz zufrieden, dass wir mit unseren Mitteln einen Impuls setzen konnten. Die Vernetzung so vieler Beteiligter ist ein Anfang.“ Auch wenn das Thema es im Grundrauschen der EM schwer hat.
„Wir kämpfen gegen eine Branche, die Milliardenumsätze generiert, und machen das zum Teil aus dem Ehrenamt“, so Sotirianos. „Ich glaube, unser Fortschritt liegt darin, dass das Thema präsent ist, dass die Folgen von Sportwetten überhaupt in den Fokus rücken.“ Seit einigen Jahren gibt es in Westeuropa eine wachsende Bewegung gegen diese Branche. Schäden durch Spielsucht dürften manchem lebensnäher sein als etwa die Schäden, die die Textilbranche in Südostasien anrichtet.
Das deutsche Bündnis ist vernetzt mit englischen Organisationen wie The Big Step und Gambling with Lives, die dort ein Verbot von Trikotwerbung für Sportwetten ab 2026 erstritten haben. Bewegung gebe es auch in Belgien und den Niederlanden. In Italien und Spanien gibt es seit einigen Jahren restriktive Gesetze gegen Sportwettenwerbung. Wie viel das gebracht hat, dazu gebe es allerdings keine empirischen Befunde. Jedoch würden Erfahrungen aus anderen Suchtfeldern „eine eindeutige, suchtpräventive Sprache sprechen“.
Trigger für Suchtkranke
Wie viel ein Werbeverbot helfen würde, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Klar ist, dass Werbung Markenbekanntheit steigert und zum Anbieterwechsel motiviert. Viele Studien zeigen aber, dass Werbung wenig Einfluss darauf hat, welche Dinge wir grundsätzlich konsumieren; oft gibt es keine Korrelation zwischen Werbeausgaben und Konsummenge. Familie, Freund:innen, sozioökonomischer Status, Kultur und große gesellschaftliche Trends sind viel wichtigere Einflüsse; vor allem, wenn ein Konsumgut schon alltäglich ist.
Zugleich ist klar, dass die Werbeoffensive der Sportwettenbranche Wirkungen hat. Sie ist ein Trigger für Suchtkranke, sie signalisiert Normalität und ist ein Einstiegsfaktor, vor allem im Onlinebereich. Wirken nun Werbeverbote? Eine Metaanalyse des Instituts für Marken- und Kommunikationsforschung von 2019 hält sie für wenig wirksam. Effektiver sei es, mit Gegenwerbung die Risiken bekannter zu machen. Andere Studien argumentieren für die Wirksamkeit: In Finnland, Norwegen, Frankreich und Neuseeland etwa sank nach Tabakwerbeverboten der Konsum deutlich im Vergleich zu Deutschland.
Markus Sotirianos hält zwei erste Schritte für wichtig: die rechtliche Gleichbehandlung von Sportwetten- mit sonstiger Glücksspielwerbung, um Werbung einschränken zu können. Auch Ethikauflagen für Sponsoring seien eine Option. In Deutschland ringt das Bündnis nicht nur mit der Kleinstaaterei. „Wir erleben während der Euro durchaus, dass Aktionen, die wir planen, nicht durchgeführt werden können, wenn die Uefa die Hoheit drüber hat.“
In der Fanzone Frankfurt habe man etwa zwei Präventionsfilme nicht zeigen dürfen, mit dem Argument, die falsche Auto- bzw. Schuhmarke sei im Bild. „Wir haben die Stellen dann verpixelt und erneut eingereicht.“ Die Fanzone Frankfurt antwortet der taz, das Genehmigungshindernis durch die Marken sei mittlerweile beseitigt. Man sei im Austausch „in der Hoffnung, dass wir in der nächsten Woche noch ein Zeitfenster finden, in der die Aktion auf einer unserer Bühnen stattfinden kann“.
Auch sonst tut sich was. Die Berliner Grünen etwa haben gerade im Abgeordnetenhaus einen Antrag eingereicht, nach dem nur noch zwischen 24 und 6 Uhr für Sportwetten geworben werden dürfte. Die Höchsteinsätze sollten gesenkt werden und die Wettanbieter Präventionskosten tragen. Und Sportvereine, die Geld von Wettanbietern kassieren, aus der Sportförderung ausgeschlossen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen