gemeinnützigkeit
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Riskante Demokratiearbeit

Zunehmend im Visier der AfD, unsichere Finanzierung, die Gemeinnützigkeit gefährdet: Initiativen gegen rechts sehen sich vielfach in ihrer Arbeit bedroht

„Sonneberg zeigt Haltung“: eine Kundgebung gegen Rechtsextremismus am 7. April 2024 Foto: Müller-Stauffenberg/imago

Von Konrad Litschko

Der jüngste Hilferuf kommt aus Sonneberg in Thüringen. Aus der Stadt, in der seit vergangenem Jahr die AfD mit Robert Sesselmann den Landrat stellt. Man werde das Social-Media-Profil „sofort einstellen“, erklärte dort am Wochenende „Sonneberg gegen Nazis“. „Es ist zu gefährlich geworden. Hasskommentare, persönliche Anfeindungen und sogar Morddrohungen sind mittlerweile an der Tagesordnung.“ Seit 11 Jahren betreibe man die Seite. „Aber so schlimm wie jetzt war es noch nie. Wir müssen letztendlich uns und unsere Familien schützen.“

Die Gruppe war für Nachfragen nicht erreichbar. Aber schon zuletzt hatte die Thüringer Opferberatungsstelle ezra gewarnt, dass sich Sonneberg seit der Wahl des AfD-Landrats zu einem „Hotspot“ rechter Gewalt entwickelt habe. 20 Angriffe zählte die Stelle im vergangenen Jahr. In Sonneberg werde „wie unter einem Brennglas sichtbar, wie rechte Gewalt dort zunimmt, wo Täter erkennen, dass ihre Taten eine breite Unterstützung der Bevölkerung haben“, warnte ezra-Projektleiter Franz Zobel.

Und auch Felix Steiner, Sprecher der Mobilen Beratung Thüringen, zeigt sich alarmiert: „Dass engagierte Menschen wie ‚Sonneberg gegen Nazis‘ sich nach mehr als 10 Jahren Positionierung gegen die extreme Rechte aus Sicherheitsgründen zurückziehen, ist mehr als ein Alarmsignal.“

Tatsächlich ist Sonneberg kein Einzelfall. Bundesweit beklagen derzeit Initiativen, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren, dass sie unter Druck stehen wie lange nicht mehr. Die AfD nehme sie dabei zunehmend ins Visier, die Bundesregierung lasse sie allein.

Gerade erst verschickten 108 Initiativen einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Forderung, endlich eine im Ampel-Koalitionsvertrag versprochene Reform des Gemeinnützigkeitsrecht umzusetzen – um ihre Existenz nicht zu gefährden, sobald sie sich gegen rechts engagieren. Darunter sind Sportvereine, AWO-Verbände, Naturschutzvereine, Kultur- oder Jugendprojekte. Finanzämter machten Druck, weil sie Demonstrationen organisiert hätten, heißt es in dem Schreiben. Oder der Landesrechnungshof drohe mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit, weil der Einsatz für Grundrechte „einseitig“ sei. „Das macht Angst, denn ohne den gemeinnützigen Status steht unsere Existenz auf dem Spiel.“

Man denke daher über jede Aktion zweimal nach, so das Schreiben weiter. Engagement für die Demokratie gehe so verloren. Und die Bundesregierung habe bisher versäumt, mit einer Reform des Gemeinnützigkeitrechts diese Arbeit zu schützen. Das aktuellen Jahressteuergesetz 2024 sei dafür die letzte Chance, vor der Bundestagswahl – aber dort stehe dazu „kein Wort“, so die Initiativen. „Wir sind bestürzt.“ Der Einsatz für demokratische Werte müsse gesetzlich „endlich eindeutig gemeinnützig“ sein.

Die rechtliche Unsicherheiten in diesem Feld hatte sich zuletzt die AfD zunutze gemacht. So wurde der Verein „München ist bunt“ von der AfD beim Finanzamt angezeigt, nachdem sich dieser wiederholt gegen die Partei positioniert hatte. Er gehe davon aus, dass am Ende die Gemeinnützigkeit aberkannt werde, erklärte der frühere AfD-Abgeordnete Uli Henkel. „Was tut schon mehr weh als der Entzug von Spendengeldern?“ Laut dem Bündnis um den Scholz-Brief, „Zusammen gegen rechts“, gibt es „mehrere“ weitere Initiativen, die zuletzt von der AfD bei Finanzämtern angezeigt wurden. Im Fall einer Gewerkschaftsjugend in Thüringen soll ein Finanzamt auch von sich aus die Gemeinnützigkeit entzogen haben – wegen Unterstützung einer Demonstration zum 1. Mai oder einer gegen den FDP-Politiker Thomas Kemmerich.

Auch der Verein Miteinander in Magdeburg hat den Brief unterzeichnet und kennt das AfD-Vorgehen. Dort hatte sich die Partei in einer Enquete-Kommission im Landtag wiederholt über die Finanzen des Vereins erkundigt. „Natürlich zielte das auch auf den Entzug von Geldern und Gemeinnützigkeit“, sagt David Begrich von Miteinander der taz. „In unserem Fall war es nur eine Drohung. Aber für die AfD ist es Teil der politischen Agenda: Wenn sie die Machthebel dafür haben, werden sie diese nutzen, um politische Gegnern die Finanzen und Arbeitsgrundlagen zu entziehen.“

Das zuständige Bundesfinanzministerium gab sich zuletzt bedeckt zur versprochenen Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, verwies auf laufende Gespräche. SPD und Grüne aber machten am Montag Druck. „Der Hilferuf aus der Zivilgesellschaft muss ernst genommen werden“, erklärte die Grünen-Politikerin Sabine Grützmacher. „Es kann nicht sein, dass kleine Vereine, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren, zum Verstummen gebracht werden.“ Wenn man von diesen ein Lautwerden gegen Rechtsextremismus einfordere, müsse man auch die versprochene Rechtssicherheit liefern. „Das Gemeinnützigkeitsrecht braucht ein Update.„Auch die SPD-Abgeordnete Nadine Heselhaus sagte der taz, sie hätte sich eine schnellere Umsetzung der Reform gewünscht. Der Brief zeige noch mal die Dringlichkeit. „Vereine und Initiativen brauchen Rechtssicherheit, wenn sie zu Demonstrationen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufrufen.“

„Ohne den gemein­nützigen Status steht unsere Existenz auf dem Spiel“

Offener Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz

Mehrere Initiativen beklagen aber auch, dass das von der Ampel ebenfalls versprochene Demokratiefördergesetz bis heute nicht da ist, das eine Finanzierung langfristig absichern würde. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hatten hier bereits Ende 2022 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Seitdem blockiert es die FDP, die das Gesetz für zu weitgehend hält und auf die Wiedereinführung einer „Extremismusklausel“ pocht.

Und erst vor wenigen Tagen startete eine Petition, mit der zivilgesellschaftliche Projekte verhindern wollen, dass ihnen im Zuge der Haushaltsdebatte die Förderung gestrichen wird, etwa im Bundesprogramm „Demokratie Leben“. Es drohten „massive Kürzungen oder gar das Aus“, heißt es dort. 73.500 Personen unterzeichneten die Petition bisher.

Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, warnt, dass sich die Situation für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus durch die Erfolge der AfD in Ostdeutschland immer weiter zuspitze. In vielen Städten und Gemeinden könne die Partei jetzt mit darüber bestimmen, welche Träger gefördert oder welches Engagement eingestellt werden soll. „Deswegen wäre eine Unterstützung vonseiten des Bundes jetzt ein wichtiges Signal“, so Reinfrank. „Der Bund muss endlich sicherstellen, dass das Engagement für die Ziele unseres Grundgesetzes mit dem Gemeinnützigkeitsrecht vereinbar ist.“