Potsdamer Geheimtreffen: Gefährlicher Ausländer darf rein

Das Einreiseverbot für den österreichischen Rechtsextremisten Sellner ist voraussichtlich rechtswidrig. Das entschied ein Gericht in Potsdam.

Sellner mit einem Mikrofon in der Hand und einem erhobenen Zeigefinger.

Der Rechtsextremist Martin Sellner spricht auf einer Kundgebung der Identitären Bewegung Foto: Sebastian Willnow/dpa

Das Einreiseverbot für den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner ist voraussichtlich rechtswidrig. Das entschied das Verwaltungsgericht (VG) Potsdam Ende Mai in einem Eil-Beschluss und hob das Einreiseverbot vorläufig auf.

Der 35-jährige Sellner ist prägende Figur der Identitären Bewegung, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Als Referent stellte er im November 2023 bei dem Potsdamer Treffen von Rechts­ex­tre­mis­t:in­nen seinen Plan zur „Remigration“ von Aus­län­de­r:in­nen vor, zu denen er auch „nicht assimilierte“ deutsche Staats­bür­ge­r:in­nen mit Migrationsgeschichte zählte.

Am 14. März erteilte die Potsdamer Ausländerbehörde ein dreijähriges Einreiseverbot gegen Sellner, das deutschlandweit Geltung hatte. Die Behörde begründete das Verbot vor allem mit dem von Sellner vertretenen Konzept des „Ethnopluralismus“, wonach die Vermischung von Völkern eine Gefahr für deren Identität sei und deshalb jedes Volk in seinem angestammten Raum bleiben solle. Dies widerspreche laut Ausländerbehörde der Garantie der Menschenwürde und dem Staatsvolk-Verständnis des Grundgesetzes, wonach das deutsche Volk aus allen deutschen Staats­bür­ge­r:in­nen besteht, also auch aus eingebürgerten Deutschen.

Sellner stellte gegen das Einreiseverbot sofort einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Potsdam, dem die Richter nun stattgaben. Das Einreiseverbot sei nach einer ersten groben Prüfung als rechtswidrig zu bewerten. Die Potsdamer Behörde habe nicht aufgezeigt, dass von Sellner eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe, was nach dem EU-Freizügigkeitsgesetz Voraussetzung für ein Einreiseverbot für EU-Bürger:innen ist.

Volksverhetzung reicht nicht

Das Gericht betonte, dass EU-Bürger:innen sich in den 27 Staaten der Europäischen Union grundsätzlich frei bewegen können. Ausnahmen seien daher eng auszulegen. Der Europäische Gerichtshof verlange, dass „Grundinteressen“ der Gesellschaft gefährdet sein müssen. Nach Auffassung des VG Potsdam ist hierfür in der Regel eine strafbare Handlung erforderlich, weil der Staat im Strafrecht bestimme, welches Verhalten einem „Unwerturteil“ ausgesetzt ist. Sellner sei bisher aber nicht vorbestraft. Ermittlungsverfahren wurden stets eingestellt.

Soweit die Behörde den Anfangsverdacht auf Volksverhetzung anführe, reiche dies für ein Einreiseverbot nicht aus. Das VG Potsdam hatte Mitte Mai entschieden, dass bei Nicht-EU-Ausländer:innen, wie dem britisch-palästinensischem Arzt Ghassan Abu Sittah, ein Schengen-Einreiseverbot mindestens den Verdacht auf Begehung „schwerer Straftaten“ erfordere. Dies gelte für EU-Bürger:innen erst recht.

Ebensowenig rechtfertige das Ziel, die Leserschaft für Sellners Buch „Remigration“ zu begrenzen, ein Einreiseverbot. Da das Buch am freien Warenverkehr der EU teilnehme, wäre es widersprüchlich, mit dem Buch eine Einschränkung der Freizügigkeit des Autors zu begründen, so das VG. Auch der Vorwurf, Sellner mache verfassungsfeindliche Ideologien „salonfähig“, genügt laut VG nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Der Potsdamer Eil-Beschluss hat zur Folge, dass Sellner bis zur Entscheidung in der Hauptsache wieder nach Deutschland einreisen kann. Die Eil-Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig. Die Stadt Potsdam kann binnen zwei Wochen noch Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entscheiden würde.

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