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Deutschlandfähnchen bei der EMFlaggen am rechten Kotflügel

Wer Fahnen hisst, markiert damit sein Revier. Wenn Schwarz-Rot-Gold gezeigt wird, setzt sich die Mehrheitsgesellschaft über andere Gruppen hinweg.

Hier fährt nicht unbedingt der Bundespräsident: Deutschlandfähnchen an einem Auto Foto: Wolfgang Maria Weber/Imago

Z u einem Drittel sehen wir nun wieder schwarz, vier Wochen lang. Der Rest wird rot und gold sein, und auch der wird uns als Flaggenschmuck über die Fußball-EM begleiten. Das kennen wir von 2006, als in Deutschland die WM stattfand. Es war die Zeit, als mit Rudi Völler, Christian Wulff, Jürgen Klinsmann, Jogi Gauck und Joachim Löw ständig die Bundespräsidenten und -trainer wechselten. Ein Horst Köhler, der damals den Job bekleidete, hatte sich gefreut: „Ich finde gut, dass ich nicht mehr der Einzige bin mit einer Flagge am Auto.“

Doch gemäß der „Anordnung über die deutschen Flaggen“ dürfen solche „Stander“ nicht nur vom Bundespräsidenten, sondern auch etwa vom Bundeskanzler oder der Bundestagspräsidentin am Dienstauto angebracht werden; am rechten Kotflügel übrigens. Was den Bundespräsidenten besonders macht, ist, dass er eine „Standarte“ spazieren fährt, andere staatliche Respektspersonen hingegen eine Bundesdienstflagge. Das geht dann schon eher in Richtung dessen, was demnächst wieder mit viel Gehupe und Man-wird-doch-wohl-noch-Gekläffe dieses Land prägen wird.

Flaggen markieren territoriale Besitzansprüche. Alles, wohin sie wehen, gehört uns. Diese Symbolik gilt nicht nur, wenn eine Flagge etwa auf dem Mond, einem erstbestiegenen Berggipfel oder einer Insel gehisst wird, das gilt auch für Autos. Wer ein Deutschlandfähnchen am Fenster einklemmt, über den Rückspiegel streift oder gar auf den Kühler legt, möchte damit sein Reich markieren. Wo dieses Auto fährt, da regiert sein Fahrer. Das ist doch auch die Botschaft der „Anordnung über deutsche Flaggen“.

EM-taz

Vier Wochen tobt die Männerfußball-EM durch das Land und die taz schaut ganz genau hin. Wer gewinnt gegen wen? Und warum? Was für ein Verein ist diese Uefa eigentlich? Und was macht das Ganze mit den Deutschen?

Das Erobern öffentlicher Räume gehört zur modernen Gesellschaft. Ob Demo oder Jubelkorso nach politischen oder sportlichen Erfolgen oder mit viel Gehupe gefeierte türkische Hochzeit – die Botschaft ist, dass in diesem Moment der umkämpfte öffentliche Raum dieser Gruppe gehört. Wer ihn sich nicht nimmt, überlässt ihn nur anderen – das gilt unabhängig von allen Inhalten.

Zu einem Drittel sehen wir schwarz

Nicht selten machen sich hier Sozialgruppen hör- und sichtbar, die sonst gesellschaftlich keine Berücksichtigung finden. Dazu gehören auch Fußballfans. Nach einer Meisterschaft oder einem Aufstieg können plötzlich Leute das Gesicht einer Stadt bestimmen, die sonst mit ihren Kutten, Vokuhilas und Vereinsflaggen null Berücksichtigung finden. Sie gelten schlicht nicht als umworbene Zielgruppen und sind auch keine vorzeigbaren Repräsentanten ihrer Kommune.

Nun aber das Phänomen, von der Vereins- einfach auf die Nationalflagge zu verlängern, wäre falsch. Es ist ja nicht die an den gesellschaftlichen Rand gedrängte Gruppe der Fußballfans, die ihre weithin als folkloristisches Auslaufmodell gehandelte Kultur inszeniert – wer will, darf die gerne auch proletarische Öffentlichkeit nennen. Nein, mit den Deutschlandfähnchen gurkt ja gerade nicht der loyale Club-Anhang über die Straßen dieses Landes, sondern da gibt plötzlich beinah die gesamte Nation Gas.

Das ist der Unterschied: Nicht eine Randgruppe fordert mit Flaggen und ähnlichem Symbolzeug, endlich wahrgenommen zu werden, sondern die Mehrheit zeigt plötzlich marginalisierten, als nicht normal wahrgenommenen Gruppen, dass diese hier nichts mehr zu lachen haben.

Es passt zu den jüngsten Wahlergebnissen. Mindestens zu einem Drittel sehen wir schwarz.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
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12 Kommentare

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  • Ich halte wenig von nationaler Symbolik und werde deshalb bestimmt nicht irgendeine Form von Schwarz-Rot-Gold zeigen.

    Aber was der Autor sich hier zusammen reimt, ist schlicht abwegig. Die Wenigsten, die in den kommenden Wochen die Landesfarben zeigen, wollen damit ausgrenzen. Es geht einfach darum, eine Mannschaft zu unterstützen. Auf eine Art und Weise, die international absolut üblich ist. Dahinter einen tieferen Sinn zu vermuten, geht ins Leere.

    Aber die AfD wird den Text bestimmt dankbar für die anstehenden Wahlkämpfe verwenden...

    PS: Grenze ich heterosexuelle Menschen aus, wenn ich eine Regenbogenfahne hisse?

  • "die Mehrheit zeigt plötzlich marginalisierten, als nicht normal wahrgenommenen Gruppen, dass diese hier nichts mehr zu lachen haben"

    Wie kommt man auf so einen Gedanken? Wenn halb Dänemark den Danebrog flaggt, ist das dann auch eine Dominanzhaltung?

    Macht euch mal locker.

  • Das ist nicht nur in der Argumentation ziemlich übertrieben albern (Flaggenfetischismus kann auch sehr links sein) sondern auch sehr ausgrenzend. Können marginalisierte nicht überzeugte Deutsche und/oder Fans der dt. Nationalmannschaft sein?

    Das ist auch statistisch Unsinn:



    Selbst wenn jeder einzelne deutsche Mann (das sind diejenigen die ihre Autos schmücken) ein deutschnationaler Fussballfan wäre, wäre das nicht die Mehrheit der Bevölkerung (50% von 72 Mio. Deutschen = 36 Mio.; 36/84 Mio. Bevölkerung = 42%)

  • Was ist denn das für ein Artikel? Wieviele Deutsche mit Migrationshintergrund spielen für Deutschland? Was sollen die denn für ein Land vertreten?



    Ich weiß ja das Berliner und taz Kommentatoren häufig ein Problem mit Deutschland haben aber das ist ja mal völlig am Ziel vorbei geschossen.

  • Der Artikel zeigt typisches Deutschland bashing . Bloss keine Flagge zeigen , kein Stolz und kein Heimatgefühl. Typisch linke Forderungen, und sich dann über die Ergebnisse der letzten Wahl wundern.

  • Wer verstehen will, warum Links die Wahlen am vergangenen Wochenende unter anderem verloren hat, lese diesen Artikel...

  • Ich bin persönlich werde mir zwar auch kein Fähnchen an mein Auto machen, kann aber mit der Sichtweise des Autors hier überhaupt nichts anfangen. Wo genau ist sein Problem? Fußballfans machen sich Fähnchen ihres Teams ans Auto während einer Europameisterschaft; wie kommt man bitte darauf, dass dies geschieht um den Marginalisierten zu zeigen, dass sie hier nichts mehr zu lachen hätten? Was für ein Schwachsinn: In erster Linie geht doch darum seine Unterstützung für das eigene Team zum Ausdruck zu bringen und nicht um mehr. Unter hinter diesem Team können sich auch sehr viele marginalisierte Gruppen vereinen; der Autor mag es sich nicht vorstellen können, aber es soll unter den Unterstützern des DFB-Teams sogar Schwarze, Schwule, Behinderte, Non-Binäre etc geben. Es soll sogar Leute geben, die nicht hier geboren sind und das Team unterstützen. Was soll also dieser Kommentar? Soll er alle Fähnchenfreunde als AfD-Wähler diskreditieren? Super, dann treibt man denen noch mehr Wähler zu, wenn sich jetzt schon jeder dafür rechtfertigen soll.

  • Nette Glosse, ich wär fast drauf reingefallen.



    Aber spätestens mit "Nicht selten machen sich hier Sozialgruppen hör- und sichtbar, die sonst gesellschaftlich keine Berücksichtigung finden. Dazu gehören auch Fußballfans." war klar, dass man diesen Text nicht ernst nehmen soll.

  • Eine typische Sichtweise aus der Berliner Urban-Provinz, möchte man meinen. Wer mal in Normaldeutschland - von Freiburg bis Rostock - ein wenig die Äuglein gespitzt hat, wird diese verschwurbelte Gegenüberstellung von "Randgruppe Fußballfans" und "Manspreadende Deutschlandfans" sofort als extrem gewollt und völlig unrealistisch verstehen. Wer auch immer meint, die sehr extrovertiert kommunizierte Loyalität zum örtlichen Fußballclub sei "randständig", spaziere einfach mal abends mit einem blau-weißen Schal durch die Dortmunder Innenstadt. Oder nehmen wir Freiburg: Grünenhochburg, überregional zusammengewürfelte Unistadt, einer der schönsten Flecken Europas - und an jeder Ecke, auf gefühlt jedem Auto und in allen Anwohnerherzen prangt das schwarz-weiße Greifenlogo des SCF. Randgruppe??

    Mit diesen beiden Beispielen wird auch das Gegenmodell zur nationalhegemonialen Auslegung der Autofähnchen des Autors offensichtlich: Die Freiburger zumindest haben in aller Regel nichts gegen Fans anderer Clubs. Sie verstehen, dass z. B. der aus dem Hessischen zugezogene Studi zwar den SCF sympathisch findet, aber weiter primär seiner Eintracht die Daumen drückt. Das hat NICHTS Territoriales.

    • @Normalo:

      Nach dem Artikel hatte ich schon befürchtet die Kommentare setzen noch eins drauf. Stimme dir zu, wer eine Nationalflagge schwingt hebt nicht automatisch den rechten Arm unsittlich.



      Das Gleiche gilt für das singen der Hymne.

  • Sorry, aber das ist doch verkopfter Unsinn. WEr sich zur EM oder WM ein Deutschlandfähnchen ans Auto hängt, will damit zeigen, dass er sich auf das Sportereignis freut und die deutsche Nationalmannschaft unterstützt. Nicht mehr, nicht weniger...

  • Schade, dass der Autor so ein negatives Verständnis zur Flagge hat. Im Ergebnis müsste er dann auch Nationalteams abschaffen.