Deutschlandfähnchen bei der EM: Flaggen am rechten Kotflügel
Wer Fahnen hisst, markiert damit sein Revier. Wenn Schwarz-Rot-Gold gezeigt wird, setzt sich die Mehrheitsgesellschaft über andere Gruppen hinweg.
Z u einem Drittel sehen wir nun wieder schwarz, vier Wochen lang. Der Rest wird rot und gold sein, und auch der wird uns als Flaggenschmuck über die Fußball-EM begleiten. Das kennen wir von 2006, als in Deutschland die WM stattfand. Es war die Zeit, als mit Rudi Völler, Christian Wulff, Jürgen Klinsmann, Jogi Gauck und Joachim Löw ständig die Bundespräsidenten und -trainer wechselten. Ein Horst Köhler, der damals den Job bekleidete, hatte sich gefreut: „Ich finde gut, dass ich nicht mehr der Einzige bin mit einer Flagge am Auto.“
Doch gemäß der „Anordnung über die deutschen Flaggen“ dürfen solche „Stander“ nicht nur vom Bundespräsidenten, sondern auch etwa vom Bundeskanzler oder der Bundestagspräsidentin am Dienstauto angebracht werden; am rechten Kotflügel übrigens. Was den Bundespräsidenten besonders macht, ist, dass er eine „Standarte“ spazieren fährt, andere staatliche Respektspersonen hingegen eine Bundesdienstflagge. Das geht dann schon eher in Richtung dessen, was demnächst wieder mit viel Gehupe und Man-wird-doch-wohl-noch-Gekläffe dieses Land prägen wird.
Flaggen markieren territoriale Besitzansprüche. Alles, wohin sie wehen, gehört uns. Diese Symbolik gilt nicht nur, wenn eine Flagge etwa auf dem Mond, einem erstbestiegenen Berggipfel oder einer Insel gehisst wird, das gilt auch für Autos. Wer ein Deutschlandfähnchen am Fenster einklemmt, über den Rückspiegel streift oder gar auf den Kühler legt, möchte damit sein Reich markieren. Wo dieses Auto fährt, da regiert sein Fahrer. Das ist doch auch die Botschaft der „Anordnung über deutsche Flaggen“.
Vier Wochen tobt die Männerfußball-EM durch das Land und die taz schaut ganz genau hin. Wer gewinnt gegen wen? Und warum? Was für ein Verein ist diese Uefa eigentlich? Und was macht das Ganze mit den Deutschen?
Das Erobern öffentlicher Räume gehört zur modernen Gesellschaft. Ob Demo oder Jubelkorso nach politischen oder sportlichen Erfolgen oder mit viel Gehupe gefeierte türkische Hochzeit – die Botschaft ist, dass in diesem Moment der umkämpfte öffentliche Raum dieser Gruppe gehört. Wer ihn sich nicht nimmt, überlässt ihn nur anderen – das gilt unabhängig von allen Inhalten.
Zu einem Drittel sehen wir schwarz
Nicht selten machen sich hier Sozialgruppen hör- und sichtbar, die sonst gesellschaftlich keine Berücksichtigung finden. Dazu gehören auch Fußballfans. Nach einer Meisterschaft oder einem Aufstieg können plötzlich Leute das Gesicht einer Stadt bestimmen, die sonst mit ihren Kutten, Vokuhilas und Vereinsflaggen null Berücksichtigung finden. Sie gelten schlicht nicht als umworbene Zielgruppen und sind auch keine vorzeigbaren Repräsentanten ihrer Kommune.
Nun aber das Phänomen, von der Vereins- einfach auf die Nationalflagge zu verlängern, wäre falsch. Es ist ja nicht die an den gesellschaftlichen Rand gedrängte Gruppe der Fußballfans, die ihre weithin als folkloristisches Auslaufmodell gehandelte Kultur inszeniert – wer will, darf die gerne auch proletarische Öffentlichkeit nennen. Nein, mit den Deutschlandfähnchen gurkt ja gerade nicht der loyale Club-Anhang über die Straßen dieses Landes, sondern da gibt plötzlich beinah die gesamte Nation Gas.
Das ist der Unterschied: Nicht eine Randgruppe fordert mit Flaggen und ähnlichem Symbolzeug, endlich wahrgenommen zu werden, sondern die Mehrheit zeigt plötzlich marginalisierten, als nicht normal wahrgenommenen Gruppen, dass diese hier nichts mehr zu lachen haben.
Es passt zu den jüngsten Wahlergebnissen. Mindestens zu einem Drittel sehen wir schwarz.
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